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Ergonomie

Stillgestanden!?

Andauernde Steharbeitsplätze stellen in vielen Fällen eine besondere Belastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar. Dementsprechend suchen Präventivfachkräfte hier nach Unterstützungsmöglichkeiten und Gestaltungsvarianten für solche Arbeitsplätze, um die Gesundheit und Sicherheit zu erhöhen. Nur zu gerne möchte man da Versprechen Glauben schenken, die hier Verbesserungen verheißen. Doch was davon ist auch wahr? Dieser Artikel beschäftigt sich mit Arbeitsplatzgestaltung mit trittelastischen Bodenmatten – eine Betrachtung von Steharbeitsplätzen über zehn Jahre.

Schuhe bei Steharbeit
Für die erste Studie wurden drei unterschiedliche Bodenbedingungen herangezogen und verglichen: der Hallenboden, eine „weiche“ Bodenmatte aus Polyurethanschaum und eine „harte“ Matte aus Nitrilkautschuk. J. Eder

Steharbeit ist nicht gleich Steharbeit. Zunächst empfiehlt es sich genau hinzusehen, von welcher Art Steharbeit denn gesprochen wird. Der deutsche Länderausschuss für Arbeitssicherheit (LASI) definiert in seiner 2009 erschienenen Handlungsanleitung die „Andauernde Steharbeit“ als die Arbeit, die in der Körperhaltung Stehen durchgeführt wird. Dies allerdings ohne die Möglichkeit, sich weniger als 20 cm zur Seite, nach vorne oder nach hinten bewegen zu können und ohne die zeitweilige Entlastung durch Gehen oder Sitzen, wodurch diese Art des Stehens zur Zwangshaltung wird. Zusammengefasst ist die Möglichkeit, sich frei bewegen zu können, bei andauernder Steharbeit massiv eingeschränkt. Diese Handlungsanleitung enthält auch einen Evaluierungsbogen.

So „streng“, wie hier beschrieben, muss Steharbeit aber gar nicht gesehen werden. Es genügt, überwiegend stehen zu müssen, und das tagtäglich acht Stunden lang. Zwar ist es in vielen Fällen theoretisch möglich, auch mehr als 20 cm weit die eigene Position zu verändern, doch es wird real kaum gemacht oder kann nicht gemacht werden, weil die Tätigkeit an sich diese Flexibilität verhindert.

Als Beispiel kann man sich eine Person an einem Fließband vorstellen. Die Person hätte zwar die generelle Möglichkeit bzw. den Platz, sich zu bewegen, jedoch schränken die Taktung sowie die fixe Position des Werkstücks und die für die Bearbeitung benötigten Arbeitsmittel den Bewegungsraum deutlich ein. So konnte bei Beobachtungen gesehen werden, dass es hier zu einer statischen Haltung direkt vor dem Werkstück kommt. Und das recht konsequent die ganze Arbeitszeit über.

Steharbeit in dieser Studie

Um gut vergleichbare Arbeitsplätze zu finden, haben Expertinnen und Experten der AUVA in zahlreichen Betrieben Begehungen durchgeführt und die Arbeitsplätze bewertet. Laborstudien lagen bereits einige vor und haben ebenfalls Erkenntnisse gebracht, auf denen aufgebaut werden konnte. Daher wurde diese Studie direkt im Betrieb als Feldstudie durchgeführt. Im Labor ist die Versuchsanordnung recht einfach, denn da findet jede Versuchsperson dieselben Bedingungen vor. Im echten Arbeitsleben ist jeder Job anders. Macht man allerdings im Vorfeld eine genaue Erhebung des Arbeitsplatzes und zeichnet dabei alle Aspekte mit auf, die einen Einfluss auf die Steharbeit haben könnten, so kann man dann mit diesen Aspekten auch arbeiten – sie also entweder konstant halten oder zu Gruppen zusammenfassen. Werden die verschiedenen Aspekte nicht berücksichtigt, kann am Ende der Studie eine Vielzahl an Informationen vorhanden sein, die nicht mehr zueinander in Bezug gesetzt werden können. Erkenntnisse, warum etwas so ist, wie es ist, ließen sich so nicht gewinnen.

Expertenbegehung

In der Feldstudie konnten nun Arbeitsplätze gefunden werden, bei denen Personen tatsächlich die überwiegende Zeit stehen, im vorliegenden Fall mindestens sechs Stunden pro Tag. Die Studie konzentrierte sich auf die Arbeitsplatzgestaltung. Dazu wurden alle relevanten Parameter erhoben und aufgezeichnet. Das war auch deswegen wichtig, weil trittelastische Bodenmatten schon mehrfach untersucht wurden, aber eben entweder im Labor oder nur mit sehr wenigen Versuchspersonen (durchschnittlich ca. 25 Personen) oder auch mit geringer Stehdauer (durchschnittlich ca. zwei Stunden). Dagegen war es das Ziel der vorliegenden Studienreihe, die Situation direkt im Betrieb zu erfassen, viele Versuchspersonen zu untersuchen und die Auswirkungen einer langen Stehdauer zu betrachten.

Methoden

Vor Beginn dieser Studienreihe wurde zunächst erhoben, wie bisherige Untersuchungen zu dem Themenbereich durchgeführt wurden und was diese ergeben haben. Ein deutliches Ergebnis beim Stehen auf einer trittelastischen Bodenmatte war, dass sich die subjektive Befindlichkeit der Versuchspersonen verbessert hat. Auch die Durchblutung wurde jedenfalls etwas angeregt. Die konstanten sehr kleinen Ausgleichsbewegungen durch den weichen Untergrund stehen außer Frage. Jedoch ist die Umsetzbarkeit auf betriebliche Bedingungen fraglich. Einige Ergebnisse waren durchaus kontrovers, also nicht so eindeutig, wie es für verwertbare Informationen über die Gestaltung von Arbeitsplätzen in Betrieben wohl notwendig wäre. Auch Langzeitergebnisse liegen nicht vor. Worin sich die Befindlichkeitsverbesserung konkret äußert, bleibt auch verborgen. Somit war es notwendig, Fragestellungen und Messmethoden zu suchen, die hier Informationen liefern können.

Studienreihe

Das war der Beginn der vorliegenden Studienreihe, die inzwischen 13 Jahre lang andauert und die verschiedensten Ansätze verfolgt, auf Basis der sorgfältigen und ständig begleitenden Literaturrecherche. Mit diesem Wissen ausgestattet, begann die Suche nach Betrieben, die bereit waren, mitzuarbeiten. Die Mischung aus notwendigem Eigeninteresse, großem Engagement des Betriebs (von der Geschäftsführung bis hin zu freiwillig teilnehmenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) bis hin zu passenden Arbeitsplätzen in möglichst großer Anzahl musste stimmen. Zum Glück finden sich in Österreich etliche höchst engagierte Betriebe, sodass für die erste Untersuchung fünf Betriebe, für die Messreihe sieben Betriebe und für die zweite Untersuchung nach zehn Jahren wieder drei Betriebe gewonnen werden konnten.

Information

Je nach Betriebskultur wurde die Kommunikation im Unternehmen gemeinsam durchgeführt. Freiwilligkeit und ausführliche Information waren entscheidende Faktoren bei dieser Studie. Bei der Messserie wurden auch schriftliche Zustimmungen jedes einzelnen Beschäftigten eingeholt, denn hier wurden auch Elektroden geklebt und z. B. Wadenumfangsmessungen direkt an der Person durchgeführt, was nur mit deren Zustimmung möglich ist. Werden persönliche Daten abgefragt, garantiert das Befragungsinstrument die Ano­nymität, doch bei einer Messung an der Person ist diese nicht mehr anonym für den Untersuchenden. Eigene Ethikkommissionen bewilligen solche Studien und bieten somit Rechts- und Qualitätssicherheit für alle Beteiligten.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer

So konnten also für die erste Befragung mittels Fragebogen 51 Personen gewonnen werden, für die Messserie 100 Personen und für die zweite Befragung 164 Personen. Expertenbegehungen wurden sowohl für die Arbeitsplätze der ersten 51 Personen als auch für die der 164 Personen durchgeführt und dokumentiert. Die physikalische Messserie dazwischen fand ohne Dokumentation der Arbeitsplätze statt, jedoch wurden auch hier nur Personen an Arbeitsplätzen mit mehr als sechs Stunden Stehtätigkeit herangezogen.

Bei der Erhebung 2006 (siehe dazu auch Sichere Arbeit 2/2008), wo 51 Personen über drei Wochen lang jeweils eine Woche auf einer anderen Bodenbedingung standen und dann gewechselt haben, konnten signifikante Ergebnisse festgestellt werden. Sowohl in den Füßen als auch in den Fußgelenken verringerten sich die Schmerzen lt. Angaben der untersuchten Personen. Auch die Beinschwellungen gingen bei den weicheren Matten signifikant zurück. Die Müdigkeit in den Beinen und die Schmerzen im unteren Rücken zeigten eine statistische Tendenz zur Verbesserung, ebenso wie die Müdigkeit im Laufe eines Tages. Die Aktiviertheit war bei der weicheren Matte signifikant höher. Die Zufriedenheit mit der Matte war bei beiden Modellen ebenfalls signifikant höher als mit dem Hallenboden, ebenso waren sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicher, mit diesen Matten weiterarbeiten zu wollen.

Auch die Einschätzung des jeweiligen Bodenbelags über eine Eigenschaftswortliste zeigte, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Studie zwischen den verschiedenen Bodenbedingungen gut und treffsicher unterscheiden konnten und die Situation auch mit einer Expertenbewertung übereinstimmte.

In der Messstudie (siehe dazu auch Sichere Arbeit 2/2010), die in den darauffolgenden Jahren für die AUVA extern vom damaligen Forschungsinstitut für Orthopädietechnik (FIOT) von Mag. Michaela Strebl (heute Ergonomin in der AUVA) durchgeführt wurde, kamen mehrere Messinstrumente zum Einsatz. So wurde die Muskelaktivität durch Elektromyogrammmessungen (EMG) ermittelt und die Stabilität beim Stehen mittels Schwankungsmessung erfasst. Mit einem Maßband wurde der Wadenumfang vermessen und ein kurzer Fragebogen kam auch zum Einsatz. Die Ergebnisse der Muskelaktivitätsmessung zeigten am Ende eines Arbeitstages ohne Matte, dass die Muskulatur eine signifikant größere Aktivitätsabnahme aufwies, als beim Stehen am Tag mit der Matte. Bei der Messung der Körperstabilität zeigte sich beim Stehen auf der Matte eine Verbesserung der Koordination. Das bedeutet auch eine Ökonomisierung der Bewegungssteuerung und eine Steigerung des Reaktionsvermögens. Der Wadenumfang war am Ende eines Arbeitstages, der stehend auf einer trittelastischen Bodenmatte verbracht wurde, auch deutlich geringer als am Ende eines Tages ohne Bodenmatte. Der kurze Fragebogen brachte ähnliche Ergebnisse wie schon zuvor die Kurzzeitstudie 2006, wie die Grafiken zeigen.

Studienergebnisse nach 10 Jahren

Nach zehn Jahren Stehen auf einer trittelastischen Bodenmatte sah die Faktenlage dann schon etwas anders aus. Gewöhnung war eingetreten und messbare Verbesserungen im Bereich der Schmerzen zeigten sich nun keine mehr. Leider war es nach so langen Jahren nicht mehr möglich, dieselben Personen aus 2006 im Jahr 2016 wieder zu befragen. Lediglich drei Menschen konnten über einen verschlüsselten Code wieder zugeordnet werden, doch über eine so geringe Anzahl ist keine seriöse Auswertung möglich. Daher wurde in Anbetracht dieser (leider zu erwartenden) Umstände vorsichtshalber (schon vorab) in den Fragebogen auch die Abfrage eingebaut, wie lange schon auf einer tritt­elastischen Bodenmatte gearbeitet wird, um eventuelle Unterschiede bezogen auf die Stehdauer ermitteln zu können. Doch zeigten sich hier keine nennenswerten Unterschiede, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die Gewöhnung an die trittelastische Bodenmatte bereits nach recht kurzer Zeit des Stehens eintritt. Lediglich im Bereich der Hüfte wurden bei einer Arbeitsdauer von mehr als zehn Jahren (zu unserem Bedauern) mehr Schmerzen angegeben. Die Lokalisation „Hüfte“ ist aber – wie die Rücksprache mit Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmedizinern zeigt – für die meisten Menschen eine sehr schwierige und oft werden etwa Schmerzen im unteren Rückenbereich bzw. dem Steißbein versehentlich der Hüfte zugeschrieben. Hier müssten Arbeitsmedizinerinnen oder Arbeitsmediziner in einem Betrieb mit vielen Steharbeitsplätzen nun gezielt Untersuchungen machen und der wahren Ursache für die rückgemeldeten „Hüftschmerzen“ auf den Grund gehen.

Abbildung: Messstudie Ergebnisse Fragebogen
Messstudie Ergebnisse Fragebogen, Quelle: Mag. Michaela Strebl, AUVA
Abbildung: Ergebnisse der Befragung

Erfreulich ist jedenfalls, dass die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Matte über die Jahre kontinuierlich ansteigt. Das soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Menschen gibt, die mit trittelastischen Bodenmatten Probleme haben. Da diese Ablehnung von Matten über die ­Jahre immer wieder aus Betrieben rückgemeldet wurde, wurde in den Fragebogen extra eine Abfrage inte­griert, die gezielt nach der Ablehnung der Matte fragt. Damit möglichst treffsichere Antworten gegeben werden können, wurde bei der Fragebogenerstellung eine erfahrene Physiotherapeutin hinzugezogen, die Expertin für dieses Thema ist. Die Grafik zeigt übersichtlich, warum einige Menschen trittelastische Bodenmatten ablehnen und macht auch deutlich, dass es wichtig ist, diese Ablehnung ernst zu nehmen, um Unfälle oder massives Unbehagen zu vermeiden.

24 Personen haben hier Angaben gemacht. Nachdem Unfälle, die zu Sturz oder Fall führen, noch immer an der Spitze der AUVA-Unfallstatistiken stehen, liegt nahe, dass Personen, die angeben, grundsätzlich leicht umzukippen, möglichst davor geschützt werden sollten. Das Stehen auf einem leicht beweglichen Untergrund ist hier nicht förderlich, doch die Grundidee einer trittelastischen Bodenmatte ist genau diese Beweglichkeit im Untergrund. Bei den Personen, die Matten nicht ablehnen, zeigt sich aber deutlich, dass sie mit der trittelastischen Bodenmatte auch weiterarbeiten möchten. Sie können darauf nach eigenen Angaben drehende Bewegungen gut ausführen und glauben daran, dass sich diese Matten positiv auf ihre Gesundheit auswirken. Sie meinen sogar, dass Vibrationen von Matten gut abgefangen werden können – auch wenn das physikalisch nicht möglich ist. Das sind durchaus gute Gründe, trittelastische Bodenmatten weiterhin zu verwenden.

Person mit Hüftschmerzen
Hüftschmerzen an Steharbeitsplätzen offensichtlich ein großes Thema

Abfrage Arbeitsschuhe

Da es sich bei allen Steharbeitsplätzen um Produktionsarbeitsplätze handelt, herrscht dort überwiegend auch Tragepflicht von Sicherheitsschuhen. Leider gibt es – ganz im Gegensatz zu Sportschuhen – hierzu recht wenige spezielle Untersuchungen. Somit galt auch den an den Steharbeitsplätzen getragenen Schuhen besonderes Augenmerk. Es zeigte sich in der Bewertung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich der Trend, der auch generell bei (Berufs-)Schuhen zu beobachten ist: Sicherheitsschuhe werden beweglicher, weicher, bequemer und leichter. Auch diese Ergebnisse sind statistisch signifikant. Ebenso wird auch die Sohle 2016 als leichter, beweglicher mit guter Abrollbarkeit und der Halt statistisch signifikant besser beschrieben als noch 2006.

Leider lässt sich aus den Daten nicht ableiten, ob spezielle Sicherheitsschuhe eventuell trittelastische Bodenmatten an Arbeitsplätzen ersetzen könnten, wo zum Beispiel keine Matten ausgelegt werden können. Das wäre aber ein sehr interessanter, untersuchungswerter Ansatz.

Schlussfolgerung

Es liegt die Vermutung nahe, dass die Ergebnisse der Studie auf einen Gewöhnungseffekt bei trittelastischen Bodenmatten zurückzuführen sind, mit dem bei der Arbeitsplatzgestaltung gearbeitet werden kann und soll. Messbare positive Wirkung auf das Schmerzgeschehen entfaltet sich also durch die Matten im Kurzzeitbereich und nicht mehr nach längerer Zeit, was automatisch zu der Schlussfolgerung führt, dass man Arbeitsplätze variieren sollte. Abwechslung bei der Arbeitsplatzgestaltung ist das Stichwort. Diese kann auf verschiedenste Arten erreicht werden, jedoch sollte man sich im Vorfeld den Arbeitsplatz sehr gut und genau ansehen. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören unbedingt miteinbezogen, denn auf von Anderen aufgezwungene Veränderungen wird zumeist mit Skepsis und Ablehnung reagiert. Gewohnheit hat den großen Vorteil, dass dadurch jede Arbeit leichter – „wie im Schlaf“ – von der Hand geht. Jede Veränderung erfordert, wenn auch manchmal nur geringfügig, umlernen oder neulernen, und das ist aufwendig, manchmal anstrengend und sehr oft ungeliebt. Aber es hilft, den Körper gesund zu erhalten.

Wie die Grafiken der Statistik-Abteilung der AUVA zeigen, hat Gewohnheit einen positiven Sicherheitseffekt, denn Gewohnheit schafft Sicherheit. Deutlich erkennbar passieren die meisten Unfälle zu Beginn des Arbeitslebens, wenn noch alles ungewohnt ist.

Veränderung ist für unseren Körper eine die Gesundheit erhaltende Maßnahme, muss jedoch immer im sicheren Bereich durchgeführt werden und möglichst ohne Zeitdruck, da sonst die Unfallgefahr zunehmen kann!

Experiment Veränderung

Als Beispiel für Umlernen im Privatbereich sei eine kleine Verletzung an der rechten Hand eines Rechtshänders (oder links für Linkshänder) herangezogen: Plötzlich muss mit der „schwächeren“ Hand geschrieben, gekämmt, gearbeitet und Zähne geputzt werden. Erste Versuche gehen meistens sogar schief und man glaubt, es „nie zu lernen“, doch schon bald wird man geschickter und die Bewegungen klappen (fast) so gut wie mit der üblichen Hand. So ein Experiment lässt sich jederzeit auch ohne Verletzung durchführen. Der große Vorteil ist, dass sich die üblicherweise bevorzugte Hand in der Zeit wirklich erholen kann und die ungeübte Hand plötzlich Dinge kann bzw. lernt, die auch im übrigen Alltag oder Berufsleben von Vorteil sind. Abgesehen davon, dass man damit in Summe mit beiden Händen geschickter wird, findet auch ein Belastungswechsel statt. Denkt man gleich weiter und betrachtet dieses Experiment als Präventionsmaßnahme, sind wir mitten im Thema des alternsgerechten Arbeitens. Eine Beobachtung kleiner Kinder beim Spielen zeigt bei diesen auch eine dominante und eine weniger dominante Hand, jedoch ist der Unterschied noch lange nicht so groß wie bei so manchem älteren Menschen, der teils schon massive Einschränkungen erlebt an den Körperteilen, die er nie benutzt.

Alternsgerechte Arbeitsplatzgestaltung

Veränderung wirkt auch als Prävention und alternsgerechte Arbeitsplatzgestaltung. Die Variation in der Nutzung der anderen Hand ist ja nur eine Möglichkeit von vielen, Arbeitsplätze und damit Belastungssituationen zu verändern. Man kann Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsbereiche erweitern, Umgebungen umgestalten, zwischen Arbeitsplätzen wechseln, Arbeitsrichtungen ändern und noch vieles mehr. Präventivfachkräfte sollten dies mit Führungskräften und vor allem mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an deren jeweiligen Arbeitsplätzen besprechen und prüfen, welche Möglichkeiten im betreffenden Fall ideal sind. Jedoch ist mit Widerstand zu rechnen, wenn nicht wirklich sehr deutlich wird, dass es dabei um die Gesundheit und Schmerzreduktion der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters selbst geht. Also ist gute Vorarbeit, ausführliche Information, aber auch richtige Kommunikation notwendig, um zu verstehen, was das Ziel ist. Leider sind wir es bislang nicht gewohnt, in Belastungen und Ressourcen zu denken, sondern wir denken in Produktionszahlen oder in Tätigkeiten. Um die Aufmerksamkeit auf Belastungen und Ressourcen zu lenken gibt es glücklicherweise Hilfsmittel wie das eingangs beschriebene Instrument zur Erfassung von Steharbeit. Mit seiner Hilfe lässt sich konkret feststellen, worin genau die Belastung am jeweiligen Arbeitsplatz besteht. Betrifft sie etwa den unteren Rücken durch die Notwendigkeit, leicht vorgeneigt zu stehen? (Solche Arbeitspositionen sollten jedenfalls verbessert werden.) Dann ist es wichtig, hier Abwechslung zu schaffen durch eine Jobrotation oder einen Tätigkeitswechsel, bei der/dem der untere Rücken ent- und ein anderer Körperbereich belastet wird. Das könnte in unserem Fall zum Beispiel eine Tätigkeit in einer sitzenden Position mit guter Abstützung im Lendenwirbelbereich sein. Auf diese Weise wird Steharbeit erträglich und Gewöhnung durchbrochen. Das sichert langfristig gesundes Arbeiten, beugt Einseitigkeiten vor und lässt Menschen ein Arbeitsleben erfolgreich durchstehen und auch die Freizeit noch genießen.

Der Effekt der Gewohnheit ist allerdings nur einer der in dieser dreizehnjährigen Studienreihe gefundenen Aspekte. Natürlich bietet dieses Datenmaterial aus über 55.000 Datensätzen noch einige andere spannende Aspekte rund um die Steharbeit. In folgenden Beiträgen wird SICHERE ARBEIT über diese berichten. Für Beratungen und Schulungen zum Thema Arbeitsplatzgestaltung stehen die Ergonominnen und Ergonomen der AUVA gerne zur Verfügung.
www.auva.at/ergonomie

Zusammenfassung

Dreizehn Jahre Forschungsarbeit zum Thema trittelastische Bodenmatten an Steharbeitsplätzen in der Produktion bringen spannende Erkenntnisse zutage. Forschung direkt in österreichischen Betrieben stellt eine spannende Herausforderung dar, die den Betrieben viele praktische Informationen aus dem konkreten Arbeitsalltag liefert. Doch sollte man bei der Interpretation der Informationen sehr sorgsam vorgehen. Kurzzeitige positive Effekte stellen sich bei längerer Betrachtung als vorübergehend heraus. Zahlreiche Einflussfaktoren erschweren die Forschungsarbeit. Dennoch erhält man konkrete Gestaltungshinweise für Präventivfachkräfte als Erkenntnisse und diese können auch gleich wieder vor Ort umgesetzt werden. Gewöhnung – im Sinne einer einseitigen Belastung – zu durchbrechen und variable Arbeitsplatzgestaltung im Sinne eines aktiven Belastungswechsels durchzuführen ist nur eine Möglichkeit, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lang und körperlich gesund bis zur wohlverdienten Alterspension im Unternehmen zu halten.


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