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Explosionsschutz

Grundlegende Überlegungen zum Explosionsschutz: vom Konzept zum Explosionsschutzdokument (ExSD)

Beim Explosionsschutz interagieren verschiedenste technische Disziplinen und Beurteilungskonzepte mit einem gemeinsamen Ziel: der Verhinderung einer Explosion in allen Betriebszuständen einer Anlage, eines Betriebes oder Arbeitsplatzes.

Symbolbild Explosion
Adobe Stock/Montage: R. Reichhart

Explosionsschutz erfordert umfangreiche Kenntnisse. Diese umfassen neben chemischen und sicherheitstechnischen Kenngrößen und verfahrenstechnischen Gegebenheiten auch physikalisches, elektrostatisches und elektrotechnisches Wissen in Bezug auf Anlagen, Maschinen und Umgebungsbedingungen. 

Der umfassende Explosionsschutz war und ist ein elementarer Ansatz in Hinblick auf die Sach- und Güterversicherungen. Für den Schutz von Beschäftigten finden sich die Bestimmungen z. B. im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG). Explosionsgefahren und erforderliche Maßnahmen werden insbesondere in der Verordnung über den sicheren Umgang mit explosionsfähigen Atmosphären (VEXAT) dargestellt. Der organisatorische Endpunkt eines gelebten Explosionsschutzes ist das Explosionsschutzdokument gemäß § 5 VEXAT, das keinesfalls allein der „Administrationsbefriedigung“ dienen sollte. 

Explosionsschutzkonzept (ExSK): „Die Mutter des Dokumentes“

Wie bei allen lebensgefährlichen Situationen ist auch in Bezug auf Explosionen die Vermeidung oberste Maxime. Für die Erstellung des Explosionsschutzkonzepts muss neben einer Analyse der Ist-Situation mit den gesetzten Maßnahmen zusätzlich auch eine Risikobeurteilung inklusive der Beurteilung der Restgefahren durchgeführt werden. Schlussendlich wird ein Explosionsschutzkonzept erstellt, das jedoch keinesfalls als finales Dokument gewertet werden darf. Darin besteht auch einer der häufigsten Fehler von Explosionsschutzdokumenten. Sie werden oft nur „brav“ archiviert oder abgelegt, sind aber ohne die tatsächliche Umsetzung aller erforderlichen Maßnahmen, die eine Sicherheit hinsichtlich Explosionsgefahren gewährleisten, keine brauchbaren sowie rechtskonformen Explosionsschutzdokumente.

Wie erfolgt die Risikobeurteilung?

Nur eine sorgfältige Evaluierung kann die Grundlage hinsichtlich des Einsatzes von brennbaren Stoffen bzw. Chemikalien bilden. Bildet sie die Realität nur unzureichend ab (was in der Praxis durchaus vorkommt) oder fehlt ganz, ist sie zuerst richtig zu erstellen!

Im Explosionsschutz unterscheidet man zwischen Explosionen von Dampf-Luft-Gemischen und der Explosionen von Stäuben. Beide Konfigurationen haben unterschiedliche Voraussetzungen und können tückischerweise auch gleichzeitig, als sogenanntes hybrides Gemisch, auftreten. Dies hat die äußerst unangenehme Begleiterscheinung, dass die sicherheitstechnischen Ex-Kenngrößen der jeweiligen Einzelphänomene in diesem speziellen Fall nicht anwendbar sind. Für die Ermittlung, ob brennbare Flüssigkeiten zur Entstehung beachtenswerter explosionsfähiger Atmosphären führen, sind immer die eingesetzten Mengen relevant. Jedoch wird selbst von Experten immer wieder unterschätzt, welch geringe Menge einer Substanz für die Schaffung eines explosionsfähigen Dampf-Luft-Gemisches ausreichend sein kann.

Weiters ist die Analyse der einzelnen Verfahrensschritte einer Anlage erforderlich. Dabei sind jedwede Beschickungsvorgänge und das Anlagendesign festzuhalten. Zu klären sind Fragen wie z. B.: Wo ist welcher Anlagenteil, welche Pumpe ist eingebaut, welche Steuerung liegt vor? Zudem müssen alle Maschinen, Geräte, Anlagenteile sowie Einbauten erfasst werden. Dabei ist auch die vorhandene oder eben nicht vorhandene Gerätekategorie (nach ExSV) zu erheben. Nicht passend kategorisierte Teile dürfen in Ex-Zonen weder eingebaut, verbaut noch verwendet werden.

Die Beschreibung des Arbeits- bzw. Prozessablaufs ist sowohl für das Explosionsschutz-Konzept als auch später für das Explosionsschutz-Dokument grundlegend. Diese Betrachtungsweise gilt für den Normalbetrieb, für Wartungen sowie für vorhersehbare Störungen. Ein verfahrenstechnisches Fließbild hilft bei der Visualisierung der ablaufenden Prozesse enorm. 

Zusammenspiel unterschiedlicher Disziplinen

Die besondere Herausforderung im Explosionsschutz besteht ferner im Zusammenspiel nicht nur verschiedenster naturwissenschaftlicher Disziplinen, sondern auch in der Berücksichtigung verschiedenster Akteure, die in den 3 Hauptbetrachtungssystemen unterschiedlich aktiv werden können bzw. müssen. Das sind zum einen die Hersteller von Maschinen, Geräten, Anlagen, Schutzsystemen, die die Grundprinzipien des Maschinenschutzes (Konformitätsverfahren mit abschließender CE-Kennzeichnung) zu erfüllen haben. Werden diese Maschinen etc. in ex-gefährdeten Bereichen verwendet, dann müssen die zusätzlichen Anforderungen für den Explosionsschutz erfüllt werden.

Zum anderen beginnt Explosionsschutz schon bei der Planung einer Anlage, eines Prozesses bzw. einer wirtschaftlichen Tätigkeit, bei der das Auftreten einer explosionsfähigen Atmosphäre (efA) vorliegt oder auftreten könnte. Leider fehlt dafür in der Praxis oft die Expertise. Sowohl bei der verfahrenstechnischen Planung einer Anlage als auch bei den Kenntnissen und dem Bewusstsein über die Bedeutung der sicherheitstechnischen Kenngrößen bestehen manchmal erhebliche Lücken.

Die genannten Einschränkungen führen dazu, dass man beim aktiven Explosionsschutz in bestehenden Systemen meist eher reparierend als vorsorgend tätig ist. Aber auch hier zahlen sich technische Lösungen, die die explosionsfähige Atmosphäre eliminieren, wirklich aus! Weder der sekundäre Ex-Schutz (Zündquellenanalyse und deren Ausschluss) noch der konstruktive Ex-Schutz (bauliche und gerätetechnische Maßnahmen) ist einfach mach- und administrierbar.

Diese Maßnahmen erfordern schon aufgrund des höheren Schulungsbedarfs für die Maßnahmen des sekundären Ex-Schutzes und des erforderlichen Wissens wesentlich mehr Kosten und Aufwand und sind daher weder billiger noch, verglichen mit den primären Ex-Schutz-Maßnahmen, risikoärmer!

Trotz aller Maßnahmen im primären Ex-Schutz verbleiben räumlich-zeitlich kritische Raumbereiche, besser bekannt als Ex-Zonen. Deren Kategorisierung und Kennzeichnung hat nichts mit einem Sicherheitsbereich zu tun. Es gibt keine Relation zwischen dem tatsächlichen Auftreten oder der Heftigkeit der Explosion und einer Zone! Die Zone gibt lediglich die Eintrittswahrscheinlichkeit einer efA an: Für die Explosion fehlt dann aber noch ein wesentlicher Faktor: die wirksame Zündquelle! Man könnte es auch so ausdrücken: Nur weil in England um 4 pm „tea time“ ist, heißt es noch lange nicht, dass Sie zu dieser Zeit auch einen Tee trinken müssen bzw. angeboten bekommen! Lediglich die Wahrscheinlichkeit für „tea time“ ist größer als in Resteuropa: England ist Teezone! Und es heißt schon gar nicht, wenn Sie dann zu dieser Uhrzeit dort tatsächlich einen Tee angeboten bekommen, dass Sie sich tatsächlich den Mund verbrennen (im Ex-Schutz wäre damit die Wärme als Zündquelle anzusehen).

Der sekundäre Explosionsschutz ist mit der Zündquellenvermeidung, der daraus resultierenden Geräteauswahl, den elektrischen Installationsanforderungen, der Analyse prozessbedingt auftretender Abwärme, Energieeinschätzungen und Berechnungen recht aufwendig.  

Grundsätzlich sind für Normalbetrieb, Wartung und Störung Gerätelisten zu erstellen und im Notfallplan zu vermerken. Die Nummer der Gerätekategorisierung ist immer um die Zahl 1 höher als die der Zone, in der das Gerät/Maschine/System verwendet werden darf. Dies führt in der Praxis zu Verwirrung. Die Zonengrenzen, wie z. B. einer Behälterwandung, in der ein Temperaturfühler eingebaut ist, wirken sich auf die Kategorie aus.

Bei 13 möglichen Zündquellen liegt der (Fehler-)Teufel oft im Detail: Die vollständige Betrachtung der vorhersehbaren Störungen bei einer tiefgreifend verketteten Anlage ist nicht ganz einfach zu bewerkstelligen! Eine Wärmebildkamera kann z. B. heiße Stellen in einer Anlage zuverlässig erkennen und dadurch eine Zündquelle sichtbar machen.

Neue Ausgabe der ÖNORM EN 1127-1

Mit August 2019 wurde die neue Ausgabe der ÖNORM EN 1127-1: 2019 Explosionsfähige Atmosphären – Explosionsschutz – Teil 1: Grundlagen und Methodik veröffentlicht. Diese ÖNORM ist sowohl für Hersteller als auch für Betreiber von Maschinen, Geräten, Anlagen und Systemen in Hinblick auf den Explosionsschutz von zentraler Bedeutung. Sobald Stoffe, Substanzen und Bedingungen eine explosionsfähige Atmosphäre entstehen lassen können, ist die Methodik der

  • Risikobewertung und
  • Risikoverringerung

anzuwenden. Dies schließt auch die Betrachtung von Störungen mit ein.

Die Methode der Risikominderung

  • beginnt bereits bei der Planung und Konstruktion von Systemen (Einschränkung von Stoff-Freisetzungsquellen und Zündgefahren),
  • bewertet technische Schutzmaßnahmen,
  • beinhaltet die Festlegung von (wiederkehrenden) Wartungs-/Instandhaltungs- und Prüfaufwänden, deren Umfang und Anforderungen an das Personal,
  • berücksichtigt mögliche Überwachungs- und Notfallmaßnahmen
  • und endet mit dem richtigen Verhalten von Personen.

Bei der Schaffung von Bedingungen, die es letztendlich einem/r Arbeitgeber/in ermöglichen, dass Explosionen verhindert werden, sollen die Grundsätze der EN 1127-1 angewandt werden. Der Teil 2 der EN 1127 ergänzt Grundlagen und Methodik des Explosionsschutzes in Bergwerken.

Die neue Ausgabe der EN  1127-1: 2019 enthält u. a. nachfolgende Änderungen gegenüber der Vorgängerversion EN 1127-1 mit Ausgabedatum 2011:

  • Die Thematik der „Dichtheit“ von Systemen und Geräten kommt neu definiert hinzu.
  • Die Ausführung und Verwendung der korrekten Begriffe hat spätestens bei der Ex-Zonen-Festlegung oder beim angestrebten Ausschluss einer Ex-Zone und der dementsprechenden Auswahl und/oder der Notwendigkeit von ATEX-zertifizierten Geräten eine große Bedeutung.
  • In der alten EN 1127-1: 2011 wurde die Beurteilung der „Dichtheit“ durch die Begrifflichkeiten „dauerhaft technisch dicht“ und „technisch dicht“ bestimmt.
  • Mit der Ausgabe 2019 wurde die Beurteilung der „Dichtheit“ durch die neuen Begriffe „Normale Dichtheit“ und „Erhöhte Dichtheit“ bestimmt.
  • Die Aussage über eine Dichtheit und ob dementsprechend eine Freisetzung/Leckage eines brennbaren/entzündbaren Stoffs zu erwarten ist, wird vom Hersteller eines Systems bestimmt/bescheinigt.

Weitere Änderungen in der Neufassung der EN 1127-1: 2019 sind:

  • Nennung der Explosionsfähigkeit hybrider Gemische, Aerosole, Nebel und Schwebstoffe mit Partikelgrößen größer 0,5 μm
  • Ergänzung von explosionsschutzrelevanten Stoffkenngrößen und Zündeigenschaften
  • Ergänzung von möglichen Situationen und Parametern, welche die Auswirkung einer möglichen Explosion bestimmen
  • Konkretisierung von Zündgefahren und deren Bewertungskriterien betreffend „statische Elektrizität“, „kathodischer Korrosionsschutz/elektrische Ausgleichsströme“, Zündgefahren durch diverse Strahlungsquellen und Ultraschall
  • ergänzende/geänderte Querverweise auf aktuelle technische Standards, Verwendung aktueller Begrifflichkeiten und Definitionen

Beim konstruktiven Explosionsschutz existieren eine Reihe von Explosionsunterdrückungssystemen, Quench-Systemen und ähnlichen Lösungen, die aber in letzter Konsequenz nur nach Ausschöpfung der primären und sekundären Ex-Schutz-Maßnahmen greifen müssen. Diese Systeme sind zumeist sehr teuer! Bei Siloanlagen, wo brennbare Schüttgüter gelagert werden, ist konstruktiver Ex-Schutz gesetzlich vorgeschrieben.

Die organisatorischen Ex-Schutz-Maßnahmen, das Personalmanagement und die Unterweisung von Personen bieten auch gerade im Explosionsschutz ein breites Betätigungsfeld. In Ex-Zonen ist von Reinigungskräften bis hin zu Facharbeitern eine Vielzahl an Personen beschäftigt, welche auch hinsichtlich Ex-Schutz zu unterweisen sind. Deren Tätigkeiten sind aufeinander abzustimmen. Menschliche Fehler haben öfter zu Explosionen geführt als technische Fehler!

Zusammenfassung

Der Autor zeigt auf, wie ein Betrieb seinen Explosionsschutz bestmöglich organisiert.


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