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Arbeitspsychologie

Bedürfnisse als Basis für Motivation

Für die Arbeit von Präventionsexperten:-expertinnen ist es entscheidend, die Unterstützung der Führungskräfte zu gewinnen und die Beschäftigten zur Beteiligung zu motivieren. Das fällt leichter, wenn man sich auf Grundlage psychologischer Erkenntnisse an tiefer liegenden Bedürfnissen des Gegenübers orientiert.

eine Frau leitete einen Vortrag, zwei Teilnehmende diskutieren freundlich mit ihr
© Adobe Stock / (JLco) Julia Amaral

Was können wir als Präventionsexperten:-expertinnen tun, um besser auf Führungskräfte einzugehen und Beschäftigte optimal zu erreichen? Wenn wir uns mit psychologischem Fachwissen an deren tieferliegenden Bedürfnissen orientieren, dann fällt es uns viel leichter, Personen zu motivieren und an ihren tatsächlichen Interessen anzudocken. Wie das genau geht, lesen Sie hier.

Vor etwa 10 Jahren wurde eine Arbeitspsychologin von einem großen Unternehmen mit der Evaluierung psychischer Belastungen beauftragt. An der Projektplanung nahmen 21 Stakeholder:innen teil, darunter Vorstandsmitglieder, Arbeitsmediziner:innen, Sicherheitsvertrauenspersonen und Betriebsräte:-rätinnen. Die Herausforderung bestand darin, sich auf die Vorgehensweise für die Evaluierung zu einigen, da unterschiedlichste Vorstellungen auf dem Tisch lagen. Nach langer Diskussion einigte sich die Gruppe schließlich auf eine Online-Befragung. Der Rücklauf war jedoch extrem gering. Seitens der internen Projektleitung wurde vermutet, dass die Beschäftigten Anonymitätsbedenken hatten. Also wechselte man zu einer Papierbefragung mit verschlossenen Einwurfboxen – ohne Erfolg. In den folgenden Monaten stellte die Arbeitspsychologin mit dem Vorstand und dem internen Projektleiter regelmäßig Überlegungen an, wie dafür eine Lösung gefunden werden könnte. Aber es gelang nicht, die aktive Beteiligung in der Belegschaft zu erhöhen. Das Projekt wurde nach 13 Monaten ohne Ergebnisse eingestellt.

Diese Arbeitspsychologin war ich, Veronika Jakl. Auch jetzt, 10 Jahre später, bedauere ich immer noch, dass ich die wahren Bedürfnisse der anderen Stakeholder nicht ausreichend berücksichtigt habe. Heute weiß ich, dass das offizielle Commitment und die Unterstützung der Leitung allein nicht ausreichen. Lassen Sie mich darum hier beschreiben, wie solche Fehler vermieden werden können.

Psychische Bedürfnisse als Ausgangspunkt

Bedürfnisorientierte Prävention bedeutet, die Motive der Stake­holder:innen zu erkennen und berücksichtigen. Das hat zur Folge, dass Beratung als hilfreich erlebt wird, Angebote angenommen und Präventionsmaßnahmen tatsächlich umgesetzt werden. Ein Bedürfnis ist die Wahrnehmung eines Mangels verbunden mit dem Wunsch, diesen zu beheben. Dieses Bedürfnis kann grundlegend oder akut sein und wird manchmal synonym mit Motiv verwendet, was einen stabilen Antrieb für Verhaltensbereitschaft bedeutet. Solche Motive können bewusst oder unbewusst sein.

Es ist daher wichtig, sich bei Präventionsprojekten an den Bedürfnissen von Beschäftigten und Führungskräften zu orientieren, denn diese sind die Grundlage für Motivation. Schließlich sollen die Beteiligten ja motiviert werden, sich sicherer und gesünder zu verhalten.

Grundbedürfnisse von Menschen

Es gibt verschiedene psychologische Modelle über menschliche Grundbedürfnisse. Die Bedürfnispyramide nach Maslow ist dabei wohl das bekannteste Modell, jedoch ist die wissenschaftliche Evidenz dazu nicht ausreichend vorhanden. Vor allem die hierarchische Struktur können Sie getrost vergessen. Diese drei psychologischen Grundbedürfnisse werden in fast allen Theorien genannt:

  1. Leistung
  2. Macht 
  3. Beziehung

In Tabelle 1 finden Sie eine Übersicht einiger wichtiger psychischer Bedürfnisse inkl. dazugehöriger Beispiele für Einstellungen und Verhaltensweisen. Diese und weitere Bedürfnisse existieren nebeneinander und gleichzeitig. Sie sind bei verschiedenen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt. 

Bedürfnisse in der Präventionsarbeit und weitere Einflussfaktoren

In der Prävention arbeiten wir mit verschiedenen Stakeholdern:-holderinnen zusammen. Sie alle haben unterschiedliche Grundbedürfnisse, Persönlichkeiten, berufliche Rollen und damit einhergehend unterschiedliche Ziele und Interessen. Für eine erfolgreiche Präventionsarbeit ist es wichtig, diese unterschiedlichen Grundbedürfnisse zu erkennen und in der Projektorganisation und Kommunikation darauf einzugehen. Hier einige – vereinfachte und bewusst zugespitzte – Beispiele:

  • Ich als Präventionsexperte:-expertin will mit meinem Fachwissen die Arbeitswelt verbessern.
  • Der:Die Geschäftsführer:in will andere anführen und recht haben.
  • Der Leitungsperson der Personalabteilung sind Strukturen und Regeln wichtig. Sie plant gerne und ist schnell genervt von chaotischen Projekten.
  • Die obersten Führungskräfte wollen Dinge selbst entscheiden und autonom handeln.
  • Der:Die Arbeitsmediziner:in möchte respektiert werden.
  • Die Beschäftigten wollen gemocht werden und Wertschätzung für ihre Arbeitsleistung erhalten.
eine Grafik zeigt tabellarisch verschiedene Grundbedürfnisse und Beispiele dazu
Tabelle 1: Auszug der psychischen Grundbedürfnisse

In der Regel suchen wir uns unsere Rolle in der Arbeitswelt auch aus, um unsere Grundbedürfnisse gut zu erfüllen. Menschen mit einem hohen Bedürfnis nach Macht und Autonomie werden in der Regel nicht ihr Leben lang Hilfstätigkeiten ausführen.

Umgekehrt gehen mit unserer beruflichen Rolle auch Interessen und Ansprüche einher. Als Geschäftsführung eines Konzerns wollen Sie wahrscheinlich eine gewisse Macht ausstrahlen und autonom handeln können. Nicht nur die Bedürfnisse prägen unser Handeln, sondern auch viele weitere Aspekte:

  1. Soziale Dynamiken und soziale Lernerfahrungen: Wer behält oft das letzte Wort? Herrscht psychologische Sicherheit in der Gruppe? Welche Argumente sind in Diskussionen oft erfolgreich?
  2. Selbstwert-Erhaltung: Werde ich positiv wahrgenommen oder kritisiert? Wenn ja: von wem? Finde ich diese Person trotzdem sympathisch oder beeinträchtigt das unsere Zusammenarbeit?
  3. Bewusstsein und Wirkung: Bin ich mir meiner zugrunde liegenden Motive bewusst? Passt das zu meiner beruflichen Rolle? Welche Wirkung will ich nach außen erzielen?

Daran sieht man annähernd, wie komplex die menschliche Psyche ist und wie vorsichtig man mit schnellen Schlüssen sein sollte.

In der Praxis erleben wir aber immer wieder das Kernproblem: Es kommen immer die gleichen Personen zu Workshops oder Gesundheitstagen, greifen in den Obstkorb und melden sich für Brandschutzübungen an. Wie erkennen Sie nun die Bedürfnisse derer, die sonst nicht oder eher widerwillig mitmachen? Wie können Sie die motivieren, die sonst „leider keine Zeit“ haben?

eine Frau und ein Mann, beide mit Schutzweste unterhalten sich
Stakeholder:innen haben alle unterschiedliche Grund­bedürfnisse, berufliche Rollen, Ziele und Interessen. Für eine erfolgreiche Präventionsarbeit ist es wichtig, auf diese Unterschiede in der Kommunikation einzugehen © Adobe Stock / AnnaStills

Wie man Bedürfnisse erkennt

Wir können keine Gedanken lesen. Daher ist es wichtig, genau zuzuhören und aufmerksam zu beobachten, wie unsere Gesprächspartner:innen agieren und reagieren. Dazu ein Beispiel – eine Besprechung mit einem Abteilungsleiter. Thema waren die psychischen Belastungen in seinem Team. Bevor ich ihm die Workshop-Ergebnisse präsentierte, unterhielten wir uns ein wenig über seine eigene Arbeitssituation.

Im Laufe des Gesprächs erwähnte er mehrfach, dass er frühzeitig Nachfolgeplanung betreibe, für sich selbst, aber aktuell auch für zwei ältere Beschäftigte. Sein Büro zeugte ebenfalls von Ordnung, auch elektronische Ablagesysteme kamen zur Sprache. Der Abteilungsleiter berichtete, dass er frühzeitig alle großen Projekte des Folgejahres plane und diese dann an seine Beschäftigten verteile. Er erwähnte, dass er nicht verstehen könne, wenn diese den Überblick verlören und sich die Arbeitsmenge nicht gleichmäßig über das Jahr aufteilten.

All das waren für mich Hinweise darauf, dass ihm Ordnung bei sich selbst und bei seinen Beschäftigten wichtig ist und er gerne „in Ruhe“ arbeitet. Bei der Interpretation ist es wichtig zu bedenken, dass ein einzelnes Verhalten auf unterschiedliche Bedürfnisse zurückgeführt werden kann. Manchmal bestehen Menschen auf der strikten Einhaltung von vereinbarten Deadlines, weil ihnen Ordnung und Struktur extrem wichtig sind. Es kann jedoch auch sein, dass sich die Projektleitung dadurch Anerkennung vonseiten der Geschäftsführung sichern will. Diese sogenannte Multikausalität von Verhalten gilt es zu berücksichtigen. 

Gleichzeitig kann auch ein und dasselbe Bedürfnis auf unterschiedliche Arten gestillt werden. So kann etwa ein:e Mitarbeiter:in das Bedürfnis nach Anerkennung bei der Geschäftsleitung dadurch zu decken versuchen, dass er:sie viele Überstunden macht und dadurch von der – ebenfalls noch spät anwesenden – Geschäftsleitung lobende Worte erntet („Auch lang im Büro? Super! Sie setzen sich richtig ein!“).

Das macht es schwieriger, die Bedürfnisse von Gesprächspartnern:-partnerinnen zu erkennen. Menschen und ihre Psyche sind nun einmal nicht einfach. Betrachten Sie es als Herausforderung und verstehen Sie Ihre Interpretationen als ständig zu überprüfende Hypothese, die beim nächsten Gespräch mit einer Person schon wieder verworfen werden kann. Je mehr Hinweise Sie für ein bestimmtes Bedürfnis entdecken, desto wahrscheinlicher ist es.

Grafik zeigt verschiedene Einflussfaktoren auf Verhalten
Abb. 1: Auszug der Einflussfaktoren auf Verhalten © Veronika Jakl

Bedürfnisorientiert handeln

Was machen wir jetzt mit der fundierten Vermutung darüber, was unserem Gegenüber wichtig ist? Wir passen unsere Vorgehensweise und auch unsere Kommunikation genau darauf an. Ich will dies anhand des vorherigen Beispiels mit dem ordentlichen Abteilungsleiter schildern:

Bei der Entwicklung der Maßnahmen habe ich darauf geachtet, dass diese gut strukturiert sind. Es bedurfte keiner langen Diskussionen, wissenschaftlichen Erklärungen und Auswahlmöglichkeiten. In der Besprechung war es für ihn hilfreich, eine klare Empfehlung und einen klaren Arbeitsauftrag zu bekommen, wie er den Teamgeist stärken und seinen Beschäftigten Wertschätzung zeigen kann (Teammeeting alle 2 Wochen, montags für 30–60 Minuten mit den Jahresprojekten als Tagesordnung).

Für diese Empfehlung war er sehr dankbar und er erkundigte sich auch, ob er immer am Ende Lob aussprechen solle, weil er gehört habe, dass das motivierend sei. (Ist es nicht, aber das ist ein anderes Thema.)

verschiedene Ursachen für Verhalten
Abb. 2: Multikausalität von Verhalten © Veronika Jakl

Fazit

Wenn Sie glauben, dass gesetzliche Vorgaben oder Anweisungen der Geschäftsführung reichen, um Menschen zur Aufmerksamkeit bei Unterweisungen, zum Umsetzen von Maßnahmen oder zum Mitmachen bei Gesundheitszirkeln zu bewegen, machen Sie es sich gedanklich leicht, aber in der Praxis viel schwerer.

Hören Sie genau zu und beobachten Sie Ihr Gegenüber aufmerksam. Selbst wenn Ihnen eine Vorgehensweise zunächst seltsam, ablehnend oder nicht hilfreich für die Prävention erscheint: Vielleicht entdecken Sie das zugrundeliegende Bedürfnis. Eines ist sicher: Ihre Gesprächsführung wird dadurch empathischer!

Bleiben Sie dabei immer neugierig und gleichzeitig kritisch gegenüber Ihren eigenen Annahmen. Denn alle Ihre Gedanken über die Bedürfnisse Ihres Gegenübers sind nur Vermutungen, die Sie, wie bei einem Experiment, immer wieder anhand von Gesprächen und Beobachtungen überprüfen können.

Ein Tipp für den Einstieg:

Überlegen Sie sich, wie Sie die Grundbedürfnisse Ihrer Stake­holder:innen nach Macht, Leistung und Beziehung in Ihrer Vorgehensweise berücksichtigen können:

  1. In welchem Bereich können die Stakeholder:innen Dinge für andere entscheiden, das letzte Wort haben, die Initiative übernehmen und andere Personen anführen?
  2. Wie können die Stakeholder:innen ihre Leistung zeigen, also ihr Wissen und ihre Kompetenzen unter Beweis stellen? Wo müssen sie anspruchsvolle Aufgaben oder knifflige Probleme lösen?
  3. Wie können die Stakeholder:innen miteinander und mit Ihnen in Kontakt treten, informell und formell? Halten Sie den Kontakt zu ihnen und organisieren Sie Meetings?

Wenn Sie diese 3 Aspekte in Ihrer Planung und Vorgehensweise berücksichtigen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Ihre Arbeit auf viel Akzeptanz stößt und die Beteiligten gerne bei Ihren Präventionsprojekten mitmachen.

Zusammenfassung

Bedürfnisorientierte Prävention wird praxisnah erläutert. Die Autorin beschreibt, wie man Motive der Stakeholder:innen in Arbeitssicherheit und Gesundheitsmanagement durch aufmerksames Zuhören erkennt. Abschließend wird empfohlen, in der Planung und Kommunikation die Bedürfnisse nach Macht, Leistung und Beziehung zu berücksichtigen, um Akzeptanz und Beteiligung zu fördern.


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