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Wenn’s rüttelt und schüttelt: Aber bitte mit Dämpfer!

Traktor bei der Arbeit am Feld
Adobe Stock

Das Video, das auf der Teststrecke der Bundesanstalt für Landtechnik (BLT) in Wieselburg gedreht wurde, ist beeindruckend. Aus einiger Entfernung betrachtet sieht es gar nicht so ungemütlich aus, als der Traktor zuerst langsam, dann schneller über die am Untergrund montierten Holzstreben rumpelt. Diese simulieren einen „ruppigen Feldweg“ und einen „bombierten, welligen Acker“, so DI Michael Wichtl, Mitarbeiter der sicherheitstechnischen Prüfstelle der AUVA und Geschäftsführer der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Ergonomie (ÖAE). Nahaufnahmen der neben dem Sitz angebrachten Kamera zeigen allerdings, wie stark die Vibrationen sind, denen der Fahrer ausgesetzt ist – obwohl es sich um einen neuen Traktor mit luftgefedertem Sitz handelt.

Der optische Eindruck wird durch die Ergebnisse der Vibrationsmessungen bestätigt. Bei richtig gewählter Sitzeinstellung und moderater Geschwindigkeit von drei bis maximal fünf km/h wird der Expositionsgrenzwert auf dem simulierten Acker erst nach acht Stunden erreicht. Dieser Wert darf in der Praxis nicht überschritten werden. Bereits nach zwei Stunden entspricht die Belastung dem Auslösewert, ab dem ein Gesundheitsrisiko besteht. „Bei höherer Geschwindigkeit und falscher Sitzeinstellung erreicht man den Expositionsgrenzwert nach einem halben Tag, den Auslösewert nach knapp unter einer Stunde. Eine zu harte Sitzeinstellung wirkt sich ungünstiger aus als eine zu weiche“, kommentiert Wichtl die Messergebnisse.

Gezeigt wurde das Video am 24. Juni 2021 beim 15. Mostviertler Kultur- und Ergonomie-Symposium zum Thema „Gesundheitliche Auswirkungen von Vibrationen bei der Arbeit“ in der BLT. Die hybrid abgehaltene Veranstaltung fand im Rahmen des AUVA-Präventionsschwerpunkts „Packen wir’s an!“ (www.auva.at/mse) zur Vermeidung arbeitsbedingter Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) statt, der vom Frühjahr 2021 bis zum Herbst 2022 läuft und an die europäische Kampagne der EU-OSHA „Gesunde Arbeitsplätze – Entlasten Dich!“ anknüpft.

Ganzkörpervibrationen

Portrait Ing. Thomas Manek, MBA
Ing. Thomas Manek, MBA, stellvertretender Leiter der Abteilung für Unfallverhütung und Berufskrankheitenbekämpfung in der AUVA-Hauptstelle R. Reichhart

Dass bei dem Symposium ein Traktor als Beispiel herangezogen wurde, hat nicht nur mit dem Fokus der Veranstaltung auf den landwirtschaftlichen Bereich zu tun. „Ganzkörpervibrationen werden primär durch Fahrzeuge verursacht, die Schwingungen hängen stark vom Untergrund ab“, erklärt Ing. Thomas Manek, MBA, stellvertretender Leiter der Abteilung für Unfallverhütung und Berufskrankheitenbekämpfung in der AUVA-Hauptstelle. Starken Vibrationen ist man nicht nur im Traktor ausgesetzt, sondern ebenso als Fahrerin bzw. Fahrer von forstwirtschaftlichen Arbeitsmaschinen, Baufahrzeugen oder Gabelstaplern, die auch im Gelände fahren.

 

Möglich sind auch Gefährdungen an stationären Arbeitsplätzen, wenn sich diese neben großen Maschinen befinden, z. B. Steuerstände an Kompressoren oder Stanzen. Mittlerweile würden Vibrationen durch ortsfeste Maschinen aber nur eine geringe Rolle spielen, weiß Manek: „Im Regelfall sind diese Maschinen schwingungsarm gelagert, meist handelt es sich um für die Gesundheit unkritische Vibrationen.“

Wie eine Schwingung in den Körper gelangt, wird durch die Position der betreffenden Person bestimmt. Bei sitzenden Tätigkeiten sind die Einleitungsstellen für Ganzkörpervibrationen das Gesäß und der Rücken, beim Stehen die Füße und beim Arbeiten im Liegen der Kopf und der Rücken. Entscheidend ist abgesehen von der Einleitungsstelle, ob bzw. wie man in einem Fahrzeug angeschnallt ist, z. B. mit einem Dreipunkt- oder einem Hosenträgergurt, ob man sich abstützen kann und welche Sitzhaltung man einnimmt. Die Belastung variiert je nach Stärke, Frequenz und Einwirkdauer der Schwingung und wird durch die Tätigkeit, die die Person ausübt, beeinflusst.

Schwingungsfrequenzen

„Kleine, leichte Strukturen schwingen in höheren Frequenzen als große, schwere“, so DI Eva Ruppert Pils vom Fachbereich Lärm der AUVA Wien. Eine Schwingung in der Eigenfrequenz eines Organs kann dieses in seiner Funktion beeinträchtigen und bei längerer Einwirkung schädigen. Beim Magen liegt die sogenannte Resonanzfrequenz bei 2 bis 7 Hertz (Hz), Schwingungen in diesem Bereich führen bei manchen Menschen dazu, dass sie „seekrank“ werden. Von Schwingungen zwischen 40 und 100 Hz sind die Augen betroffen, was ein Zittern des wahrgenommenen Bildes verursacht. Resonanzerscheinungen der Wirbelsäule treten bei Schwingungen in einem Frequenzbereich von 2,5 bis 5 Hz auf, die Stauchungen, Streckungen und Biegeschwingungen der Wirbel bewirken. „Beschäftigte, die Schwingungsbelastungen in einem erheblichen Umfang längerfristig ausgesetzt sind, z. B. beim Führen von Baumaschinen mit statischen Sitzen, weisen im Vergleich zu bekannten alterungsabhängigen degenerativen Veränderungen ein signifikant erhöhtes Risiko für Wirbelsäulenerkrankungen auf“, stellt Wichtl fest. Betroffen ist vor allem die Lendenwirbelsäule.

Auslösewert und Expositionsgrenzwert

Um die Einwirkdauer von Vibrationen so weit zu beschränken, dass keine Gesundheitsgefährdung besteht, sind in der Verordnung Lärm und Vibrationen ein Auslösewert und ein Expositionsgrenzwert festgelegt worden. Für Ganzkörpervibrationen gilt ein Auslösewert von 0,5 m/s², der sich auf einen Zeitraum von acht Stunden bezieht. Der Auslösewert sollte, soweit es nach dem Stand der Technik möglich ist, nicht überschritten werden. Ist das doch der Fall, müssen entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen und die Beschäftigten informiert und unterwiesen werden. Der Expositionsgrenzwert für Ganzkörpervibrationen beträgt 1,15 m/s²; bei Jugendlichen gilt der Auslösewert als Expositionsgrenzwert. Eine Überschreitung dieses Tagesexpositionswerts ist auch bei Unterschreitung im Wochenmittel nicht zulässig. Falls der Expositionsgrenzwert überschritten wird, muss die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um die Exposition unter diesen Wert zu senken, und die Ursache für die Überschreitung ermitteln. Weiters sind die Präventions- und Schutzmaßnahmen anzupassen, damit eine erneute Überschreitung verhindert wird.

Guter Sitz

Die wichtigste Maßnahme zum Schutz vor Ganzkörpervibrationen wird laut DI Manfred Nadlinger vom BLT oft außer Acht gelassen – die Ausstattung eines Fahrzeugs mit einem ergonomisch günstigen Sitz, der auf die Fahrerin bzw. den Fahrer eingestellt ist. Bei einem mechanisch gefederten Sitz sind insbesondere leichte Personen starken Schwingungen ausgesetzt. „Der Sitz wird meist auf denjenigen eingestellt, der am öftesten fährt, und nicht umgestellt“, nennt Nadlinger ein zusätzliches Problem, das vor allem leichtere, seltener fahrende Personen betrifft. Im Unterschied dazu stellt sich ein luftgefederter Sitz auf das Gewicht der bzw. des Fahrenden ein, ist aber teurer. Noch tiefer in die Tasche greifen muss man für einen semiaktiv gefederten Sitz, bei dem auch die Dämpfereinstellung automatisch geregelt wird. Aktive Systeme halten darüber hinaus die Sitzposition durch Zufuhr von pneumatischer bzw. hydraulischer Energie konstant. Bei allen Arten von Sitzen sollte man auf eine regelmäßige Wartung achten, da sich die Dämpfungseigenschaften oft unbemerkt verschlechtern.

Vibrationen können den Stütz- und Bewegungsapparat schädigen

Auf Baustellen oder in Lagern kommt es häufig zu einem Fahrerwechsel, was bei einem mechanisch gefederten Sitz ein wiederholtes Umstellen erforderlich machen würde. In der Praxis geschieht das laut Dr. Christian Freitag, Leiter des Fachbereichs Vibrationen am Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), kaum. „Wenn ich den Sitz jedes Mal auf mein Gewicht einstellen müsste, würde ich überhaupt nicht mehr zum Arbeiten kommen.“ Oft gehörte Aussagen wie diese lässt Freitag nicht gelten – man müsse sich daran gewöhnen, vor dem Losfahren nicht nur die Spiegel, sondern auch den Sitz richtig einzustellen. Abgesehen von der Investition in gute Sitze kann das Unternehmen auch durch Beseitigung von Fahrbahnunebenheiten dazu beitragen, die Vibrationsbelastung zu reduzieren. Die Fahrerin bzw. der Fahrer schont die Wirbelsäule durch Vermeidung unebener Stellen, Reduktion der Geschwindigkeit und eine möglichst aufrechte Sitzposition. Bei gewissen Tätigkeiten sei diese jedoch nur schwer aufrechtzuerhalten, so Freitag: „Auf dem Stapler sitzt man meist in gedrehter Haltung, auf dem Van Carrier verdreht und mit Blick nach unten.“ Lösungen, bei denen Kameras eine gerade Sitzposition gewährleisten, werden von Fahrerinnen und Fahrern derzeit nicht angenommen – ihnen fehlt dabei das Gefühl für das Fahrzeug.

Bauarbeiter mit einem vibrierenden handgeführten Gerät
Lange andauernde Arbeit mit vibrierenden handgeführten Geräten kann zur „Weißfingerkrankheit“ führen. Adobe Stock

Hand-Arm-Vibrationen

Bewusstseinsbildung und Information ist nicht nur bei der Vermeidung von Ganzkörpervibrationen, sondern ebenso in Bezug auf Hand-Arm-Vibrationen gefragt. Prof. DI Dr. Stephan Letzel, Vorstand des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, bringt ein Beispiel: „Forstarbeiterinnen und Forstarbeiter, die in ihrer Ausbildung über Schäden durch Vibrationen aufgeklärt worden sind, stellen ihre Tätigkeit ein, wenn sie bemerken, dass ihre Finger weiß werden, dann ist das Weißfingersyndrom reversibel. Angelernte Arbeiterinnen und Arbeiter machen oft weiter, dann ist die Erkrankung nicht mehr reversibel.“ Die von Letzel angesprochene „Weißfingerkrankheit“, das vibrationsbedingte vasospastische Syndrom, wird durch lange andauernde Arbeit mit vibrierenden handgeführten Geräten verursacht. Aufgrund anfallsartiger stark verminderter Durchblutung färben sich die Finger weiß – ein Alarmsignal, bei dem die Tätigkeit sofort unterbrochen werden sollte. Da Kälte ein wesentlicher Faktor für diese Durchblutungsstörung ist, hilft es, sich aufzuwärmen – z. B. in einem geheizten Bauwagen. Ignoriert man die Beschwerden, können bleibende Gefühllosigkeit und Bewegungseinschränkungen der Finger die Folge sein.

Hand-Arm-Schwingungen lösen auch andere Knochen- und Gelenksveränderungen von den Fingern bis zum Schultergelenk aus, etwa das Karpaltunnelsyndrom, bei dem der Nerv, der durch den Karpaltunnel am Handgelenk verläuft, geschädigt wird. „Es kommt zu degenerativen Veränderungen, die deutlich früher auftreten als in der Allgemeinbevölkerung“, erklärt Letzel. Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen und andere Erkrankungen durch Erschütterung sowie erschütterungsbedingte chronische Erkrankungen von Schleimbeuteln und Sehnen können als Berufskrankheit anerkannt werden.

Schutzmaßnahmen

Damit es erst gar nicht so weit kommt, muss man auch bei Hand-Arm-Vibrationen die Dauer der Belastung beschränken und entsprechende Schutzmaßnahmen setzen. Als Richtwerte dienen der Auslösewert von 2,5 m/s² und der Expositionsgrenzwert von 5 m/s². Für Maßnahmen gilt die STOP-Rangfolge: Substitution vor organisatorischen und technischen Maßnahmen und zuletzt personenbezogene Maßnahmen. „Gibt es ein schwingungsärmeres Arbeitsverfahren, welches unter Berücksichtigung der Randbedingungen vergleichbar effektiv ist?“ Auf diese Frage nennt Ing. Dr. Frank Gillmeister vom Ingenieurbüro Gillmeister in Dortmund, der auch für „Die Ergonomie.Experten.de“ und das deutsche Ergonomie-Kompetenznetzwerk (ECN) tätig ist, mehrere Möglichkeiten. So lässt sich mitunter eine Schlagbohrmaschine durch einen Bohrhammer ersetzen, eine Stichsäge durch eine Kreissäge und Nieten durch Verschrauben.

Bei den technischen Maßnahmen steht laut Gillmeister eine Trennung der bzw. des Beschäftigten von der Maschine im Vordergrund. Das kann z. B. durch eine Abstützung von Abbauhämmern und schweren Bohrhämmern auf Lafetten erfolgen. Lässt sich eine Tätigkeit durch eine ferngesteuerte Maschine erledigen, etwa einen Rasenmäher oder eine Rüttelwalze, bedeutet das einen kompletten Wegfall der Vibrationsbelastung. Mit nachträglich angebrachten schwingungsisolierten Handgriffen erzielt man oft nicht den gewünschten Effekt.

Die Arbeit mit vibrierenden Handmaschinen auf mehrere Personen aufzuteilen, um die Expositionszeit zu verkürzen, ist die wichtigste organisatorische Maßnahme. Wie lange tatsächlich mit einer Maschine gearbeitet wird, kann durch einen in die Versorgungsleitung eingebauten Betriebsstundenzähler genau erfasst werden. Die als persönliche Schutzausrüstung getragenen Antivibrationshandschuhe sieht Gillmeister nur bedingt als sinnvoll an: „Für die meisten kraftbetriebenen Handwerkzeuge ist die Reduktion der Vibrationen vernachlässigbar.“ Der Vorteil von Handschuhen sei eher darin zu sehen, dass sie die Hände vor Kälte schützen. Nachteilig wirkt sich eine durch die Polsterung verminderte Sensibilität aus, die dazu führt, dass oft eine höhere Andruckkraft aufgewendet wird. Diese wiederum verstärkt die Belastung durch Vibrationen. Wichtiger sei es, in schwingungsgedämpfte Werkzeuge zu investieren und ein Bewusstsein für die Gefahren durch Vibrationen zu schaffen, denn: „Billig kommt teuer und Information hilft immer.“

Zusammenfassung

Vibrationen können den Stütz- und Bewegungsapparat schädigen. Ganzkörpervibrationen, denen man vor allem in Fahrzeugen ausgesetzt ist, wirken sich auf die Wirbelsäule negativ aus. Von handgeführten Werkzeugen ausgehende Hand-Arm-Vibrationen können Erkrankungen von Hand, Arm und Schultergelenk verursachen, unter anderem die Weißfingerkrankheit. Welche Schutzmaßnahmen dagegen helfen, wurde beim Mostviertler Kultur- und Ergonomie-Symposium gezeigt.


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