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Kleinteiliges zum Gesamtkunstwerk Gefahrguttransport ab 2019

Gefahrguttransport auf der Straße
Fotolia/ assedesignen

Der Grenzbereich zum Gefahrstoffrecht, der Transport gefährlicher Güter, war und ist durch die speziellen Anforderungen des Transportes und der Logistik schon immer eine interessante Schnittstelle gewesen. Durch die – zwangsweise und durchaus global bezogene – Internationalität der Materie werden die für sich mitunter sinnvollen technischen Vorschriften durch die verschiedensten Interessenslagen derart verzerrt, dass der Vorschriftentext schlussendlich für alle Beteiligten schwere Kost wird. Den Kern, also die Gefahrenabwehr, zu erkennen, wird aufgrund der detaillierten Vorschriften immer schwerer, der Fokus in der Praxis liegt leider oftmals nur am organisatorischen Bereich, wie z. B. richtiger (d. h. in diesem Fall exakter) Kennzeichnung. Natürlich ist diese richtige Kennzeichnung auch wichtig und nützlich, jedoch fehl am Platz, wenn das Gebinde nicht geeignet ist.

Der ganz normale Wahnsinn

Die Vorschriften 2019 bringen eine ganze Reihe zum Teil skurriler Erklärungen und Definitionen. Kurzer Auszug gefällig?

  • In 1.8.3 wurde nun endgültig klargestellt, dass der Absender einen Gefahrgutbeauftragten benötigt.
  • Bei der Berechnung der Bruttomasse bei den Kleinmengen müssen Handhabungseinrichtungen nicht zugerechnet werden, an den Gegenständen befestigte Vorrichtungen wie Handgriffe jedoch schon. Hier wurde sicher einem Gerichtsurteil Rechnung getragen, hoffentlich wurde seinerzeit mit genormter Waage gewogen!
  • In Teil 7 bezieht sich die Ladungssicherung auf den CTU-Code, also den Code of Practice for Packaging of Cargo Transport Units.
  • Neu sind die UN 3223 bzw. UN 3224 für den Transport energetischer Stoffe für Prüfzwecke. Dies betrifft organische Peroxide, hier gilt es die Packing Instruction P 520 mit der Sondervorschrift PP 95 genau zu beachten!
  • Und eine neue Verpackung hat ebenfalls das Licht der Gefahrgutwelt erblickt: Die umformte Flasche, das außen umschäumte Gebinde für den Transport von Flüssiggas.

Absender (des Gefahrgut-Abfalls) benötigt doch einen Gefahrgutbeauftragten 

Vorsicht ist bei der Entsorgung von Gefahrgutabfall ab 1.1.2019 geboten: Zumeist wird das an einen Entsorger bzw. Beförderer delegiert, der auch die Verpackung beistellt und für richtige Kennzeichnung sorgt. Fall erledigt, möchte man meinen. Gefahrgutrechtlicher Absender ist aber das Unternehmen, das im Beförderungspapier aufscheint! Steht dort der Entsorger drin: Alles in Ordnung. Steht dort der physische Abfallverursacher drin, heißt es, wie für alle anderen Absender auch, einen Gefahrgutbeauftragten zu bestellen.

Gefahrgutklasse 8 – Ätzende Stoffe – Neuerungen

Aber es kommen auch eine Reihe von breiter anwendbaren und wichtigeren Neuerungen auf den Anwender zu: In 2.2.8.1.6 werden im Gefahrgutrecht erstmals alternative Berechnungsmethoden, wie es sie bereits im Umgangsrecht gibt, ermöglicht. Dabei sind vorliegende tatsächliche Testdaten, die von einem ätzenden Gemisch bestimmt wurden, jedoch immer vorrangig für die Klassifizierung zu sehen. Die Diskrepanz zwischen der Einstufung von ätzenden Gemischen im Gefahrgutrecht und in der CLP-VO, die ja das UN-GHS als Grundlage hat, ist zwar geblieben, jedoch wurde jetzt als erster Annäherungsschritt eine neue Zuordnungstabelle in 2.2.8.1.6.1 ADR 2019 aufgenommen. Trotzdem bleibt die korrekte Zuordnung auch im GHS bzw. die zugehörige Klassifizierung im Gefahrgut eine heikle, da unharmonisierte Angelegenheit. Warum? Dafür existieren mehrere Gründe: In der EU, also bei Anwendung der CLP-VO, existiert im Anhang VI eine Liste mit legal bindenden Einstufungen, die nur in der EU so gelten.

Südkorea, China und Japan haben, bezogen auf das GHS, aber auch solche jeweils(!) eigenen Listen, die damit die wirkliche Vereinheitlichung wieder hinfällig machen. Aber mit den Listen kann auch das Gefahrgutrecht aufwarten: Während ADR/RID und ADN einheitlich sind, besitzt der Hochseeverkehr im IMDG-Code Spezialvorschriften (die wiederum wenigstens international gelten) sowie die ICAO/IATA, ebenfalls international, im Teil 3 bzw. Teil 4 der IATA-Vorschriften eigene Zuweisungen. Die Bestimmung des pH-Wertes codiert nicht automatisch die Klasse 8: Bei den Eigenschaften: Ätzwirkung auf Augen und bei extremen pH-Wert ohne physiologische Wirkung liegt kein Gefahrgut vor. Um es so richtig kompliziert zu machen, gilt für die Kategorie 1A eine Konzentrationsgrenze von 5 %, liegt beim Gefahrgut ein 1A-Stoff zwischen 1 % bis 5 % in der Mischung vor, führt dies schon zu Verpackungsgruppe II. Die Tabelle 1 versucht den „specific concentration limits“ im GHS als auch im Gefahrgutrecht bei Mischungen von ätzenden Substanzen und ihrer Zuordnung im Gefahrgutrecht zu den Verpackungsgruppen Rechnung zu tragen. Abgestimmt mit der Zuordnung im GHS/CLP-VO-System ist das leider nicht.

Lithiumbatterien

Das Thema Transport von Lithiumbatterien ist nach wie vor, im Unfallgeschehen sogar im wahrsten Sinn des Wortes, brandaktuell. Neben den technischen Vorschriften gibt es eine wichtige Kennzeichnungsneuerung: Für UN 3060, 3091, 3480 und 3481 muss ab 1.1.2019 der Gefahrzettel 9A (jener mit der Abbildung der brennenden Li-Batterien als Symbol) zwingend verwendet werden, Übergangsvorschrift in 1.6.1.42 läuft mit 31.12.2018 aus.

Tatsächliche Gefahr oder „nur“ Risiko? Beispiel ADN

Von den zahlreichen redaktionellen Änderungen ist die unterschiedliche Begriffsauffassung von Risiko und Gefahr wohl die interessanteste. So wurde in der Sondervorschrift PP 52 das Wort „Explosionsgefahr“ auf „Explosionsrisiko“ ausgebessert – wahrlich nicht dasselbe! Vergleicht man die Sprachversionen zwischen Englisch, Französisch und Deutsch quer durch den ADR-Text, fällt bei den technischen Beschreibungen auf, dass – je nach Sprachversion – die Begrifflichkeiten unterschiedlich bestimmt sind bzw. wurden. Auf das Ergebnis dieser technischen Sprachexploration und ihre Anwendbarkeit bzw. ihren Anwendungsraum in der Praxis darf man somit gespannt sein. Tatsächlich treten bei Verpackungsvorgängen, Be- und Entladungen sowie Befüllungen von Gefahrguttransporteinheiten explosionsgefährdete Bereiche auf, die einerseits, per Definitionsausschluss, in der österreichischen VEXAT nicht geregelt sind, anderseits aber im ADR und anderen Gefahrgutvorschriften nur mangelhaft oder gar nicht abgedeckt sind.

Dies stellt, vor allem für den ungeübten Anwender, eine gefährliche Lücke dar, da leider die meisten Gefahrgutausbildner auf die organisatorisch-oberflächliche Vorschrifteneinhaltung abzielen und nicht auf eine wirklich evaluierte Gefahrenauseinandersetzung und -vermeidung sowie Maßnahmensetzung. In der Binnenschifffahrt-ADN kommen auf die Schiffsbetreiber in 1.2.1 ADN durch das Entgasen an Annahmestellen Vorschriften im Explosionsschutz zu.  Spannenderweise gilt die österreichische VEXAT per Definition nicht für den Transport gefährlicher Güter im Binnengewässer. Blöd, dass dies die Moleküle nicht wissen, und sich so verhalten, wie sie es überall sonst auch tun: Sie bilden explosionsgefährliche Bereiche.  

Gegenstände mit gefährlichen Gütern: Wird Ihre Waschmaschine Gefahrgut!?

Und damit allen Freunden gediegener technischer Abendunterhaltung in lustigen Überstunden auch Rechnung getragen wird, hat man sich im zentralen Vorschriftengesetzgebungsprozess natürlich wieder etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Mit den turnusmäßigen Änderungen für 2019 werden Gegenstände, die gefährliche Güter enthalten, neu geregelt. Einfach zu befolgen wird das sicher nicht: Jeder Einzelne von Ihnen hat jede Menge Gefahrgut in Haushalt – es grenzt an Glück, dass Sie privater Nutzer sind …

Abbildung: Specific concentration limits
„Specific concentration limits“ im GHS als auch im Gefahrgutrecht bei Mischungen von ätzenden Substanzen und ihrer Zuordnung im Gefahrgutrecht zu den Verpackungsgruppen. Quelle: Dr. Kessler, Fa. 3 M Deutschland Quelle: Dr. Kessler, Fa. 3 M Deutschland

Dieses „Glück“ haben die gewerblich-industriellen Vorschriftenempfänger natürlich nicht: Die SV 673 zu den neuen Gefahrgutgegenständen gibt hier zum Glück weitgehend Auskunft über mögliche Freistellungen zu den Gefahrgutgegenständen:

Ein einfaches(?) Kochrezept:

  1. Gibt es zu dem Gegenstand einen konkreten Eintrag, dann ist diese UN-Nummer anzuwenden: UN 3091, Gerät mit Lithiumbatterie.
  2. Wenn in dem Gegenstand das Gefahrgut nur im Rahmen der „begrenzten-Menge-Regelung“ nach 3.4 enthalten ist, dann ist es der UN-Nummer UN 3363 zuzuordnen: Im ADR, RID und ADN ist die Beförderung nun freigestellt, jedoch – Vorsicht(!) – nicht im Hochseeverkehr und in der Luftfahrt. Es unterliegt dem IMDG-Code und den IATA-Regelungen!
  3. Ist mengenmäßig mehr als der beim jeweiligen Gefahrgut erlaubte LQ-Code im Gegenstand enthalten, erfolgt eine Zuordnung zu 12 neuen UN-Nummern von UN 3537 bis UN 3548. Und die zugehörigen, die Gefahr wiedergebenden Gefahrzettel müssen natürlich außen auf dem Gegenstand angebracht werden.

Sollten Sie mit und in Ihrer Waschmaschine nun hochprozentige Spirituosen schmuggeln wollen, dann wären das UN-3540-Gegenstände, die einen entzündbaren flüssigen Stoff enthalten, n.a.g., mit der Kennzeichnungsraute für brennbare Flüssigkeiten und Symbol für „umweltgefährlich“. Bevorzugen Sie dafür noch dazu den Hochseeverkehr oder gar die Luftfahrt, kommt wegen der Lithiumbatterie im Gerät auch das Batterielabel und der Gefahrzettel 9A darauf. Wenn Sie das gefahrguttechnisch perfekt machen, fällt es vielleicht auch dem Zoll nicht auf: „Depotbehältnis zur Vorratshaltung von Ethylalkohol im programmierten Schongang für den humanoiden Gebrauch“ – als Vorschlag …

Gefährliche Abfälle versus Gefahrgutabfall

Gefährliche Abfälle sind nicht unbedingt gefährliche Güter, nicht gefährliche Abfälle können aber Gefahrgut sein. Hier müssen beide Vorschriften beherrscht werden, sowohl Abfall- als auch Gefahrgutrecht. Ein Beispiel für gefährlichen Abfall sind polychlorierte Biphenyle – als BCB in der Altbausanierung bzw. als Fugendichtungsmasse bei älteren Betonbauten bekannt. Werden diese Bauabfälle entsorgt (z. B. Deckenplatten vor 1978), lautet der korrekte Gefahrguteintrag: UN 3432 Abfall, Polychlorierte Biphenyle, fest, 9, II (D/E). Die Mulde muss an allen 4 Seiten mit dem Gefahrzettel 9 gekennzeichnet werden und 2 x seitlich mit oranger Nummernwarntafel, oben 90 und unten 3432. Ob das bei jeder Entsorgung erhoben und dann beachtet wird, sei dahingestellt.

Vorarlberg ist anders

Dass das „Ländle“ ganz anders tickt als die Hinterarlberger, brachte Chefinspektor Haller den Teilnehmern in München eindrucksvoll nahe. Nicht nur, dass mit Augenmaß kontrolliert wird, es existiert eine gute Zusammenarbeit mit dem örtlichen Arbeitsinspektorat in Fragen der innerbetrieblichen Gefahrgutabfertigung. Natürlich zeigten eindrucksvolle Bilder, dass auch hier die Behörde nicht zu allem „Ja und Amen“ sagen darf und kann.

Zu guter Letzt: Machen Sie einen Luftsprung

Wo Sie den machen könnten? Zum Beispiel bei und mit der IATA. Dieser Verein der Fluglinien ist Verwalter teilweise höchst eigenartiger und doch zum Teil berechtigter Forderungen: Denn wenn es wo wirklich brenzlig wird, dann ist es wohl räumlich und zeitlich gesehen im Luftverkehr. Und was man als Flugpassagier oft nicht bedenkt: Man sitzt quasi auf den „dangerous goods“: Der Kabinenboden ist nur optische Trennung vom Cargoraum. Sylvia Gadomski von der Firma Aviatics stellte in charmanter Weise die Herausforderungen ihres Verkehrsträgers und die geplanten Neuerungen betreffend die Schulung der Beteiligten aus mathematischer Sicht vor: Aus 12 mach 7, also aus 12 Personalkategorien PK 12 mache man 7 competency based training units – zumindest ist dies in Planung.

So sehr das prinzipiell zu begrüßen ist, ergeben sich inhaltlich und pädagogisch gleich mehrere Fragestellungen:

  • Bisher waren in den PK-Schulungsgruppen oft recht unterschiedlich zusammengesetzte Personengruppen – vom Cargo-Piloten bis zum Packpersonal: Ob das das gegenseitige Verständnis gefördert hat/fördert?
  • Kernziel solcher Schulungen war oft das genaue Einhalten von organisatorisch mehr oder weniger wichtigen (Detail-)Vorschriften. Dieses „mehr“ oder „weniger“ in der Einschätzung des Annahmepersonals hat schon einigen einiges an Nerven gekostet.
  • Das Umschwenken auf kompetenz-basiertes Wissen ist zwar zu begrüßen, jedoch: Wer prüft die Prüfer? Wer kontrolliert Gelerntes in der Praxis?

Hier sollte die Zuordnung doch logischerweise nach den Verfahrensabläufen und ihren möglichen Fehlern aufgebaut sein, im Sinne eines Durchlaufkonzeptes: Je nachdem, welcher Mitarbeiter in welchem Verfahrensschritt zum Einsatz kommt, muss er entsprechende Qualifikationen nachweisen. Man darf gespannt sein, wie dies umgesetzt wird. Auf dass das Gefahrgut, welches in die Luft geht, nicht dort verbleibt …

Mit dem ADR 2019 ist also wieder einmal eine Spielwiese korrekter Zuordnungen und richtiger Verpackungen und Transportarten eröffnet. Möge der Anwender nicht (nur) im Detailregulativ hängen bleiben, sondern die dahinterliegende Gefahrenabwehr als „großes Ganzes“ erkennen und seine damit verbundenen Verpflichtungen: Es sei abschließend die Lektüre der Kapitel 1.3 sowie 1.4 des ADR empfohlen („Pflichten der Beteiligten“), die sicher auch ohne chemisches Verständnis lesbar sind – es lohnt sich!

Zusammenfassung

Der Autor berichtet über aktuelle Neuerungen im Bereich Transport gefährlicher Güter, die ab Jänner kommenden Jahres in Kraft treten.


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