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Lärm

Lärm: Die unterschätzte Gefahr

In einzelnen Branchen, wie der Chemie- und Papierindustrie, zählt beinahe jede/jeder siebente MitarbeiterIn zu den lärmexponierten Personen und läuft damit Gefahr, eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit zu erleiden. Gleichzeitig steigt damit aber auch das Risiko, einen Arbeitsunfall zu erleiden, deutlich an.

Frau in Sicherheitsgewand hält sich die Ohren zu
Fotolia/Thunderstock

Hast du dein Hörgerät drin?“, fragt meine Mutter meinen Vater jedes Mal, wenn ich die beiden besuche. „Ich muss nicht alles hören, was du sagst“, sagt mein Vater und hat damit wahrscheinlich nach 55 Ehejahren sogar recht.

Hörschädigungen sind irreversibel

„Deine Stimme klingt besonders unangenehm mit dem Hörgerät“, sagt mein Vater zu mir. Also spreche ich sehr laut und deutlich und versuche auch noch, ihn dabei immer anzusehen. Meistens bin ich nachher ein wenig heiser. „Du sprichst mir viel zu schnell“, jammert mein Vater meine Schwester an, die es auch sonst schafft, in den Gesprächspausen anderer ganze Geschichten unterzubringen. Wenn wir bei unseren Festen alle zusammensitzen, wird grundsätzlich wild durcheinandergeredet, bei uns auch noch auf Deutsch und Spanisch. Da ist mein Vater allerdings nicht der Einzige, der nichts versteht. Für die Spanier reden wir auf Deutsch auch zu schnell. Im Supermarkt sei es klüger, die Self-Check-Out-Kassa zu benützen, sagt eine Freundin mit Hörbehinderung, und ansonsten wisse man eh ungefähr, in welcher Reihenfolge man da was gefragt wird. Sie ertappe sich dabei, dass sie in der Mittagspause mit ihren KollegInnen Gesprächspausen abwarte und dann irgendetwas zu erzählen beginne. Ständiges Nachfragen fühle sich für sie unhöflich an, meint sie auch, das streue Sand ins Getriebe jeder Konversation. Hörbehinderungen sieht man nicht, vielleicht ist deshalb auch das Verständnis der anderen so schwer.

Ein Blick in die Statistik

Im Jahr 2017 wurden von der AUVA 642 Fälle von „Durch Lärm verursachte Schwerhörigkeit“, wie es in der Anlage I des ASVG heißt, anerkannt. Der Anteil der „BK-33“ an allen anerkannten Berufskrankheiten lag damit wie fast immer bei über 50 Prozent. Personen, die über ihre tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden hindurch einem Lärmexpositionspegel von über 85 dB ausgesetzt sind, gelten als lärmexponiert. Für diese Gruppe sind alle fünf Jahre Audiometrien vorgeschrieben. In der Chemie- und Papierbranche zählten von insgesamt über 80.000 Versicherten (vgl. Abb.1) über 12.000 in den letzten fünf Jahren zur Gruppe der Lärmexponierten (vgl. Abb. 2). Logischerweise ist das Risiko, lärmschwerhörig zu werden, bei diesen (fast immer männlichen) Arbeitnehmern am höchsten.

Abbildung: Versicherte in Chemischer und Papierindustrie
Abb. 1: Versicherte in Chemischer und Papierindustrie
Abbildung: Lärmexponierte Personen - Chemische und Papierindustrie
Abb. 2: Lärmexponierte Personen - Chemische und Papierindustrie

Die Verteilung der anerkannten Berufskrankheiten entspricht auch den Anteilen bei der Exposition. Die meisten lärmexponierten oder bereits lärmgeschädigten Personen finden sich in der „Herstellung von Papier, Pappe und Waren daraus“, ungefähr gleich viele in den Gruppen „Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren“ und „Herstellung von chemischen Erzeugnissen“ sowie fast niemand in der „Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen“.

Unterschiedliche Branchen, unterschiedliche Risiken

Rechnet man weiter, so liegt die Rate der anerkannten Berufskrankheiten in der gesamten Chemie- und Papierindustrie bei 8,8 Fällen auf 1.000 Exponierte, in einzelnen Untergruppen ist dieser Wert aber weit höher. So ist beispielsweise das Risiko, lärmschwerhörig zu werden in der Gruppe „Herstellung von sonstigen anorganischen Grundstoffen und Chemikalien“ viermal so hoch, hier entwickelten sich fast 34 von 1.000 lärmexponierten Personen zu einem anerkannten BK-33-Fall. Bei über 20 auf 1.000 lärmexponierten Personen liegen die Anerkennungsraten auch noch bei der „Herstellung von Kunststoffen in Primärformen“ oder bei der „Herstellung von Platten, Folien, Schläuchen und Profilen aus Kunststoffen“ (vgl. Tab. 1).

Cartoon Kurzgeschichte
Bild 1: Mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus „unerhört“, Schulverlag plus AG, pro audito, Bern

Darüber hinaus hat sich in der Studie „Lärm und Schwerhörigkeit in der Unfallstatistik“ (DI Eva Ruppert-Pils, AUVA 2018) herausgestellt, dass Personen aus der Gruppe der Lärmexponierten, und insbesondere Personen aus der Gruppe der bereits Lärmschwerhörigen und immer noch Lärmexponierten, deutlich mehr Arbeitsunfälle erleiden als alle anderen.

Tabelle: BK-33-Fälle in der Chemischen und Papierindustrie bei Lärmexponierten
Tab. 1 BK-33-Fälle in der Chemischen und Papierindustrie bei Lärmexponierten

Hohe Unfallraten

Eingegrenzt auf die Chemische und Papierindustrie finden wir seit 1987 in der Statistik 109 anerkannte BK-33-Fälle lärmexponierter Personen. Ebendiese hatten allein im Jahr 2016 neun Arbeitsunfälle (ohne Wegunfälle), von denen fünf meldepflichtig waren. Das entspricht einer Unfallrate von 82,6 auf 1.000 Beschäftigte bei den anerkannten und von 45,9 auf 1.000 bei den meldepflichtigen Arbeitsunfällen. Diese Werte sind extrem hoch. Die Unfallraten für die gesamte Chemie- und Papierbranche liegt im Jahr nur bei ca. 25 auf 1.000. Selbst die in dieser Gruppe noch am meisten gefährdeten Hersteller von Gummi- oder Kunststoffwaren weisen in den letzten Jahren Unfallraten von unter 40 auf 1.000 auf. Hörschäden sind irreversibel, die Folgen eines Arbeitsunfalls in vielen Fällen leider auch.

Quelle: Ruppert-Pils: Lärm und Schwerhörigkeit in der Unfallstatistik - Daten aus Österreich, DAGA Proceedings 2018.

Zusammenfassung

In der Gruppe der lärmexponierten Personen steigt nicht nur das Risiko einer Lärmschwerhörigkeit deutlich an, lärmexponierte und insbesondere bereits lärmschwerhörige Personen haben auch ein höheres Unfallrisiko. Die zeigen statistische Auswertungen.


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