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Digitalisierung

Künstliche versus natürliche Intelligenz?

Der an sich nicht so neue Theorieansatz der künstlichen Intelligenz (KI) oder „Artificial Intelligence“ (AI) gewinnt aufgrund der rasant zunehmenden technischen Möglichkeiten in allen Lebensbereichen an praktischer Bedeutung. Ob es um smarte Assistenten oder Bild- und Spracherkennung geht, alle Systeme dieses Typs können als der KI zugehörig betrachtet werden. Was die Arbeits- und Organisationspsychologie zum Thema „Digitalisierung, Computerisierung und Automatisierung“ beitragen kann, wurde an anderer Stelle ausgeführt [1,2,3,4]. In diesem Artikel möchte die Autorin zeigen, dass auch die Philosophie einen wesentlichen Beitrag zu leisten vermag.

animiertes Bild des Kopfes und des Gehirns
Fotolia/monsitj

Nicht nur für die Arbeitswelt stellt sich mit KI die Frage, ob Mensch oder Maschine bestimmte Aufgaben übernehmen soll, neu. In der öffentlichen Diskussion darüber gewinnt man fast den Eindruck, dass die natürliche Intelligenz in Wettbewerb zur künstlichen Intelligenz steht.

Aus Sicht der Autorin besteht durchaus Grund, sich vor KI zu fürchten, solange die Argumente für einen Einsatz von KI auf einem schlichten, vorwissenschaftlichen Menschenbild beruhen.

Zwei willkürlich gewählte Beispiele sollen das verdeutlichen:

Beispiel 1: Erklärungen von Unfällen mit Fehlern der Handelnden

„Anders als wir Menschen, die in der Chaossituation eines Unfalls kaum Argumente abwägen können, sind intelligente Maschinen dazu theoretisch in der Lage.“ Mit der Versprechung: „Im Mittel wird Mobilität sicherer werden.“ [5].

Dabei wird übersehen, „… dass Menschen im Zuge ihrer Evolution dank einer im Umgang mit Gefahr sehr systematisch wirkenden intuitiven kognitiven Ergonomie überlebt haben. Deren gelegentliche Fehlschlüsse verstehen wir heute aufgrund der neueren Forschungsergebnisse der Kognitionspsychologie allerdings besser und können sie korrigieren.“ [6]. 

Einer der am häufigsten zu beobachtenden Fehler in der Beurteilung der Systemkomponente „Mensch“ in komplexen Mensch-Maschine-Systemen ist die Vernachlässigung systemischer Wechselwirkungen oder des Zeitfaktors (der systematischen Veränderungen jeder einzelnen Systemkomponente in der Zeit). Erklärungen von Unfällen mit Fehlern der Handelnden entsprechen eher dem Bedürfnis, einen Schuldigen zu suchen, als dem Bedürfnis, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Eine systematische Ereignisanalyse schützt u. a. vor eingeschränkter Maßnahmenableitung frühzeitiger Hypothesen und monokausalem Denken [7]. Nur unter diesen Voraussetzungen lässt sich beurteilen, ob Mobilität sicherer wird. Menschliche Erfahrung spielt zudem eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung eines ausgeprägten „Situationsbewusstseins“: Das Erkennen von Vorsignalen bei Gefahr oder das vorausschauende Wissen darum, wie bestimmte Abläufe enden werden, zählen beispielsweise zu den Indikatoren für gutes bzw. schlechtes Situationsbewusstsein. [8,9].  

Beispiel 2: Der Mensch wird nicht nur durch das Denken charakterisiert

Für die Informatikerin Joanna Bryson ist klar: „Künstliche Intelligenz hat schon längst Bewusstsein entwickelt.“ [10]. Als Begründung zählt sie Gemeinsamkeiten mit der natürlichen Intelligenz auf: Erfahrungen bewusst wahrnehmen, Entscheidungen treffen und handeln – und für die Entscheidungen Erinnerungen miteinbeziehen. Einen Unterschied zum menschlichen Bewusstsein gebe es dennoch, so Bryson, nämlich „die spezifisch menschlichen Erfahrungen, die wir in unser Bewusstsein einbauen.“

Möchte man Gemeinsamkeiten bzw. Unterschieden zwischen der natürlichen und künstlichen Intelligenz nachgehen, dann stellt sich die Frage, welche Kennzeichnungsmerkmale den Menschen charakterisieren. Das ist eine Frage, mit der sich auch die philosophische Anthropologie beschäftigt. Das Denken ist keine allumfassende Charakterisierung und kein ausreichendes Merkmal. Es ist schon gar nicht das einzige Merkmal. Speziell höherstufige kreative Leistungen des Menschen kann man nur dann erklären, wenn man den Menschen so charakterisiert, dass er zu einer über die Symbolisierung hinausgehenden Reflexionsstufe fähig ist – unter Verwendung von neuartigen Symbolen, Metasymbolen und Metaphern (vgl. Lenk; in [11]). 

Lenk nähert sich dem Thema, indem er eine Liste von Anthropika („Monopolen des Menschen“, Max Scheler; vgl. [3]) zusammenstellt. Aus dieser Liste sollen nun jene Merkmale wiedergegeben werden, die für Kreativität wichtige Merkmale sind [12], siehe Seiten 41ff.

Die Autorin möchte mit der Veröffentlichung dieser Liste dazu einladen, sich über die zum Teil notwendigen und/oder hinreichenden Merkmale des Menschen Gedanken zu machen. Die Aufzählung will daran erinnern, dass der Mensch ein komplexes Wesen ist. Denken wird weder durch einen „Beobachter im Gehirn“ gesteuert noch sind Gedanken oder gedankliche Abfolgen mit Bewusstsein gleichzusetzen. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp-Verlags (siehe Download, ganz unten).

Literatur:

  • [1] Hacker, Winfried (2016). Vernetzte künstliche Intelligenz/Internet der Dinge am deregulierten Arbeitsmarkt: Psychische Anforderungen. 2016 Vol. 9/No 2; 4-21. In: Sachse, P. (Hrsg). Journal Psychologie des Alltagshandelns. Innsbruck university press.
  • [2] Rothmeier-Kubinecz, Sylvia (2017). Computer says no. Wissensarbeit im digitalen Zeitalter. Teil 1; Sichere Arbeit, Heft 2. Wien; 28-33.
  • [3] Rothmeier-Kubinecz, Sylvia (2017). Computer says no. Wissensarbeit im digitalen Zeitalter. Teil 2; Sichere Arbeit, Heft 3. Wien; 34-44.
  • [4] Rothmeier-Kubinecz, Sylvia (2018). „The machine has no brain – use your own“. Sichere Arbeit, Heft 2. Wien; 36-43.
  • [5] Mara, Martina. Der Roboter als Teamkollege - ein psychologischer Ansatz. FEEI: Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie. Publiziert am: 23.7.2018.
  • [6] Musahl, Hans-Peter (2007). Kognitionspsychologische Herausforderungen eines komplexen Störungsmanagements in Mensch-Maschine-Systemen. In VDI Wissenforum (Hrsg.). Instandhaltung auf dem Prüfstand. Tagung, Stuttgart, 19.–20.6.2007 (1-19), VDI-Berichte Nr. 1991. Düsseldorf VDI-Verlag.
  • [7] Fahlbruch, Babette (2000). Vom Unfall zu den Ursachen. Mensch & Buch Verlag Berlin.
  • [8] Sträter, Oliver (2009). Cognitive Parameter for the Relationsship of Situation Awareness and Behaviour. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 63 (1), 45-54.
  • [9] Rothmeier-Kubinecz, Sylvia (2018). „Wissensbiotop“ Betrieb. Sichere Arbeit, Heft 1. Wien; 38-44.
  • [10] Bryson, Joanna. Maschinen haben längst Bewusstsein. Beitrag von Katharina Gruber, ORF-Landesstudio Wien aus Alpbach. Publiziert am: 4.9.2017.
  • [11] Griebel, Christina (2005). Der kreative Akt im Unterricht. Fallstudien zur ästhetischen Praxis von Schülern der gymnasialen Oberstufe. Dissertation der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität. Frankfurt am Main.
  • [12] Lenk, Hans (2000). Kreative Aufstiege. Zur Philosophie und Psychologie der Kreativität. Frankfurt; 13-45.

Zusammenfassung

Die Autorin zeigt auf, welchen Beitrag die Philosophie geben kann, wenn es um die Differenzierung zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz geht.


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