Zum Hauptinhalt wechseln

Anwendungsmöglichkeiten von Exoskeletten in der Industrie

Das Exoskelett sieht aus wie ein Rucksack, den der Arbeiter über seiner reflektierenden Arbeitskleidung trägt
Das SuitX wird über der normalen Arbeitskleidung getragen. © SuitX

Exoskelette (exo = außen) sind am Körper getragene Assistenzsysteme, die die Belastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beim Bewegen von Lasten reduzieren und helfen, ungünstige Körperhaltungen zu vermeiden. Diese Stützsysteme werden in der medizinischen Rehabilitation und im militärischen Bereich seit Längerem eingesetzt. Mittlerweile sind auch verschiedene Exoskelette für den industriellen Bereich auf dem Markt, wobei die Grenzen der Einsatzbereiche verschwimmen. Die Systeme lassen sich nach Wirkmechanismus, unterstützter Körperregion, Einsatzzweck und anderen Kriterien unterscheiden.

Aktive und passive Exoskelette

Aktive Exoskelette verfügen über sensorgesteuerte, aktive elektrische oder pneumatische Antriebe, die eine mechanische Unterstützung für bestimmte Körperregionen liefern. Da diese eine Energieversorgung benötigen, sind aktive Exoskelette wesentlich teurer und schwerer als die kleineren passiven Typen. Bei passiven Exoskeletten erfolgt die Entlastung bestimmter Körperregionen rein mechanisch, indem die auftretenden Kräfte durch Federsysteme auf andere Körperregionen umgeleitet werden. Passive Exoskelette benötigen keine Energieversorgung und sind daher leichter und billiger.

Anwendungsbereiche von Exoskeletten in Gewerbe und Industrie

Während es beim Einsatz von Exoskeletten im Sport und beim Militär darum geht, eine Leistungssteigerung zu erzielen, sollen im Arbeitsumfeld primär mechanische Auswirkungen körperlicher Tätigkeiten auf den Organismus reduziert und damit Tätigkeiten erleichtert werden. Einer der Haupteinsatzbereiche von Exoskeletten ist das Heben und Tragen schwerer Lasten, bei denen die entsprechenden Modelle den Rücken um bis zu 50 Prozent entlasten können. Ebenfalls entlastend wirken Exoskelette bei Arbeiten in Zwangshaltungen wie kniender Position oder Über-Kopf-Tätigkeit. Ein weiteres Anwendungsgebiet besteht bei Tätigkeiten mit statischer Haltungsarbeit wie beispielsweise in vorgebeugter Körperhaltung an einem Fließband oder bei medizinischen Eingriffen im Operationssaal. Grundsätzlich sind im Arbeitnehmerschutz die technischen Maßnahmen immer den personenbezogenen Lösungen vorzuziehen (TOP-Prinzip). Bei der Verwendung von Exoskeletten handelt es sich um personenbezogene Maßnahmen, die nur dort eingesetzt werden sollen, wo keine anderen technischen oder organisatorischen Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Primäre Einsatzbereiche von Exoskeletten sind daher nichtstationäre Arbeitsplätze (z. B. Zustelldienst, Rettungsdienst, u. a.) oder Bereiche, in denen keine anderen technischen Hilfsmittel (wie zum Beispiel Scherenhubtische, Gabelstapler, Vakuumheber) zur Verfügung stehen.

Ein Arbeiter mit einem umgeschnallten Exoskelett hält einen schweren Hammer in der Hand.
Verstärkung der Greifkraft durch die Bioservo-Ironhand. © Bioservo-Ironhand

Unterstützung beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM)

Exoskelette werden in der medizinischen Rehabilitation bereits seit vielen Jahren erfolgreich verwendet. Auch das BEM ist ein möglicher Einsatzbereich von Exoskeletten, wenn in Abstimmung mit Arbeitsmedizinerinnen und -medizinern bzw. Therapeutinnen und Therapeuten Einsatzmöglichkeiten im Betrieb festgelegt werden. Beispielsweise können Personen nach einem Bandscheibenvorfall oder einer Operation durch ein rückenschonendes Exoskelett unterstützt und früher wieder in den Arbeitsprozess integriert werden. 

Wirkungsweise passiver und aktiver Systeme

Passive Federsysteme entlasten die Rückenmuskulatur, indem sie die Körperenergie auf die Oberschenkel umleiten. Hierzu wird ein Teil des wirkenden Lastgewichts auf ein Brust-Pad übertragen und über eine Federung mit Gasdruckdämpfern auf die Oberschenkel umgeleitet. Zugleich unterstützt die Rückstellkraft der Dämpfungsfeder auch das Aufrichten des Oberkörpers. Der Federmechanismus lässt sich jederzeit deaktivieren, sodass normale Körperhaltungen wie Gehen, Radfahren oder Staplerfahren möglich sind, ohne dass das Exoskelett abgelegt werden muss. Verschiedenartige Exoskelette können mit ihrer mechanischen Funktion sowohl Gliedmaßen wie auch Rumpf stabilisieren, entlasten, ruhigstellen, korrigieren, immobilisieren, oder sogar ausgefallene Körperfunktionen ersetzen. Aktive Systeme verfügen üblicherweise über Elektromotoren, die bestimmte Bewegungen unterstützen. Wie beschrieben, sind diese mit Akkus ausgestattet und haben daher ein höheres Eigengewicht.

Tabelle: Einsatzgebiete von Exoskeletten

Beispiele für Exoskelette

In letzter Zeit sind zahlreiche Typen für den industriellen Einsatz auf den Markt gekommen, und dieser Trend hält an. Die verwendeten Abbildungen in diesem Artikel zeigen beispielhaft verschiedene Typen und Einsatzmöglichkeiten, sind als Anregung zu sehen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

„Exoskelette in der Arbeitswelt sollen den Kraftaufwand reduzieren, körperliche Überforderung verhindern, Leistung verbessern und die Unfallgefahr senken.“ 

Manfred Lindorfer

Nachteile von Exoskeletten

Das An- und Ablegen von Exoskeletten ist meist umständlich. Speziell in Kombination mit Schutzkleidung kann es lange dauern. Dieser zeitliche Aufwand kann die Nutzerakzeptanz massiv einschränken. Manchmal werden die körperliche Einengung durch die Zuggurte sowie Druck und Reibung vor allem im Bereich der Körperkontaktstellen an Schultern, Brust und Oberschenkeln als unangenehm empfunden. Außerdem schränken ausladende Holme, Riemen etc. beim Ein-und Aussteigen in einen Gabelstapler oder an engen Stellen ein.

 Zu beachten ist auch die Verschmutzung, welche unter Umständen zur Funktionseinschränkung des Exoskeletts führen kann. Das im Arbeitsmedizinischen Zentrum Chemiepark Linz verwendete Exoskelett (Suitx) ließ sich in dieser Hinsicht vom Düngerstaub durch Abblasen mit Druckluft gut reinigen. Schwieriger wird die Angelegenheit aber bei extremen Arbeitsbedingungen wie bei Sprühnebel, Zement oder aggressiven Substanzen.

Letztendlich ist der finanzielle Aufwand für die Anschaffung von Exoskeletten erheblich. Passive Exoskelette liegen im Bereich von etwa 3.000 bis 8.000 Euro, aktive Exoskelette oft noch erheblich darüber.

Eine Person sitzt auf einem umgeschnallten Trägerskelett
Sitzen, wo immer man möchte, mit dem Chairless Chair. © noonee

Mögliche Schädigungen und Langzeitfolgen

Mögliche Gesundheitsgefahren, die durch den Einsatz von Exoskeletten entstehen, sind schwer zu beurteilen, da es zu diesen Fragen noch keine Langzeituntersuchungen gibt. So könnte zum Beispiel das Tragen eines Exoskeletts über einen längeren Zeitraum zu Muskelabbau in den entlasteten Körperregionen führen. Andererseits könnten stark druckbelastete Regionen infolge schlechterer Durchblutung einen Schaden erleiden. Infolge der Lastumverteilung auf andere Muskelgruppen wären muskuläre Dysbalancen möglich. Psychische Aspekte wurden bisher nicht erforscht.

 Ein Arbeiter in Schutzkleidung mit Exoskelett hantiert mit einem schweren Bohrhammer.
Fast müheloses Handling eines schweren Bohrhammers mit dem ExoZeroG. © Ekso Bionics

Sicherheitstechnische Aspekte

Wie bereits erwähnt, gelten Exoskelette als persönliche Unterstützung und sollten aufgrund des TOP-Prinzips nur dort eingesetzt werden, wo keine technische oder organisatorische Lösung möglich oder sinnvoll ist (Gabelhubwagen, Scherenhubtische, Vakuumheber …)

Gemäß ArbeitnehmerInnenschutzgesetz müssen bei der Verwendung von Exoskeletten eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt sowie wichtige Schutzmaßnahmen definiert und umgesetzt werden. Nachstehend einige Beispiele für Gefahren, die sicherheitstechnisch evaluiert werden müssen:

  • mögliche Fehlfunktionen von aktiven Exoskeletten mit pneumatischen oder elektrischen Antrieben, die zu Verletzungen führen könnten
  • Fehlfunktionen infolge Fehlbedienung
  • Sturz- und Stolperunfälle (z. B. beim Flüchten)
  • Hängenbleiben mit Schlaufen, Drähten und Bändern
  • rasches Ablegen des Exoskeletts im Gefahrenfall
  • Verletzungsgefahr durch Fehlbedienung

Zusammenfassung

Exoskelette sind am Körper getragene Stützstrukturen, die die Belastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beim Bewegen von Lasten reduzieren und helfen, ungünstige Körperhaltungen zu vermeiden. Der Artikel gibt eine Übersicht über die für den beruflichen Einsatz angebotenen Systeme von Exoskeletten für verschiedene Körperbereiche.


Aktuelle Ausgaben

Ausgabe 2/2024
Ausgabe 2/2024
Magazin Sichere Arbeit
Download (PDF, 5 MB)
Ausgabe 1/2024
Ausgabe 1/2024
Magazin Sichere Arbeit
Download (PDF, 5 MB)
Sonderausgabe 2/2023
Sonderausgabe 2/2023
Magazin Sichere Arbeit
Download (PDF, 8 MB)
Sichere Arbeit 6/2023
Sichere Arbeit 6/2023
Schutz bei verketteten Anlagen
Download (PDF, 5 MB)