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AUVA Packen wir’s an!

Kleine Änderungen, große Wirkung

Neben „klassischen“ Maßnahmen zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen wie der Anschaffung von Hebe- und Tragehilfen können sich auch Verbesserungen bei Beleuchtung und Raumklima günstig auf den Bewegungsapparat auswirken.

Gefahrenstoff-Lagerhalle
Wände und Boden der Gefahrstoff-Lagerhalle wurden heller gestrichen und die Beleuchtung erneuert. Das hat die Arbeits- und Sehbedingungen verbessert. @ R.Reichhart

Krankenstände aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen sind für viele Unternehmen der Grund, das Programm AUVAfit Ergonomie in Anspruch zu nehmen. „Oft wendet sich eine Firma an die AUVA, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Probleme mit dem Bewegungsapparat – meist Rückenschmerzen – haben, und kommen über die Betriebsberatung zu AUVAfit. Im Rahmen des Projekts erhält der Betrieb dann ein maßgeschneidertes Konzept, um die Qualität seiner Arbeitsplätze zu optimieren“, erklärt Mag. Julia Lebersorg-Likar, Präventionsexpertin Ergonomie in der AUVA-Hauptstelle. AUVAfit ist ein wichtiger Baustein des AUVA-Präventionsschwerpunkts „Packen wir’s an!“ (www.auva.at/mse), der an die europäische Kampagne der EU-OSHA „Gesunde Arbeitsplätze – Entlasten Dich!“ anknüpft.

Denkt man an Optimierung in Bezug auf Ergonomie, fallen einem meist „klassische“ Maßnahmen wie die Anschaffung von Hebe- und Tragehilfen oder von geeigneten Büromöbeln ein. Aber auch Umgebungsbedingungen wie Beleuchtung und Raumklima können sich auf den Bewegungsapparat auswirken. Dass zur Verhinderung von MSE und belastungsbedingten Arbeitsunfällen mitunter Faktoren eine Rolle spielen, mit denen man nicht gerechnet hat, stellte man auch bei der Evonik Peroxid GmbH, einem Standort des international tätigen Unternehmens der Spezialchemie, der Evonik Industries AG, in Weißenstein in Kärnten fest. Die Idee, das Präventionsprogramm AUVAfit für die Reduktion von MSE zu nutzen, entstand am „Gesundheitstag“, der 2018 im Werk Weißenstein veranstaltet wurde. Mag. Roland Grabmüller, MA, Fachkundiges Organ Ergonomie vom Unfallverhütungsdienst der Landesstelle Graz, hielt einen Vortrag zum Thema Ergonomie an Arbeitsplatz. „Im Dialog mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat er erfahren, dass viele von ihnen sportlich aktiv sind. Er hat an dieses Thema angeknüpft und erklärt, worauf man bei Bewegung, aber auch beim Sitzen achten sollte“, erinnert sich Ing. Gerhard Pichler, Sicherheitsfachkraft bei Evonik.

Physische Belastungen minimieren

Grabmüller gelang es, nicht nur bei Pichler und der Belegschaft das Interesse an AUVAfit zu wecken, sondern durch einen weiteren Vortrag und die Vorstellung des Projekts auch bei Geschäftsführer DI Dr. Josef Miklautsch. Da der Bereich der psychischen Belastung ohnehin von der Arbeitspsychologin abgedeckt wird, fiel die Entscheidung, nur das AUVAfit-Modul Ergonomie in Anspruch zu nehmen.

Durch Ausfallszeiten wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen entstehen für ein Unternehmen hohe Kosten. Dem kann man mit wesentlich geringeren Ausgaben für die Prävention entgegenwirken

Mag. Roland Grabmüller, MA

„AUVAfit besteht aus den Modulen Ergonomie und Arbeitspsychologie, die kombiniert oder getrennt gebucht werden können. Beim Modul Ergonomie analysiert und bewertet man physische Belastungen am Arbeitsplatz anhand renommierter Bewertungstools. Anschließend werden gemeinsam mit dem Betrieb geeignete Maßnahmen besprochen, um Belastungen zu reduzieren“, erklärt Lebersorg-Likar. Bei Evonik wurde AUVAfit Ergonomie mit dem Ziel durchgeführt, die Arbeitsbelastung zu minimieren, um arbeitsbedingte Muskel-Skelett-Erkrankungen und durch diese verursachte Krankenstände zu verhindern. „Der Fokus ist dabei auf jenen Arbeitsplätzen gelegen, bei denen wir davon ausgegangen sind, dass sie in Bezug auf die ergonomische Gestaltung optimiert werden sollten“, beschreibt Pichler die Schwerpunktsetzung des Projekts.

Ergonomie mitplanen

In dem 1910 gegründeten Werk habe es zahlreiche Umbauten, Anlagenerweiterungen und Umstrukturierungen gegeben, so Pichler: „Als ich bei Evonik zu arbeiten begonnen habe, waren wir 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dann ist mit der Industrie 4.0 die Automatisierung gekommen, diverse Umstrukturierungsprojekte sind gelaufen, man hat Arbeitsplätze und Abläufe verändert, Prozesse verbessert und weiterentwickelt. Für die Anschaffung der neuen Abfüllanlage war eine größere Investition erforderlich – aber weder bei der Planung der Anlage noch bei der Installation hat man die Ergonomie groß berücksichtigt.“ Mit dieser Vorgangsweise ist Evonik laut Grabmüller hierzulande kein Einzelfall. Der Gedanke, schon bei der Planung ergonomische Gesichtspunkte einzubeziehen, sei in Österreich noch nicht sehr verbreitet. In anderen Ländern würden Arbeitsplätze häufiger nach ergonomischen Grundsätzen konzipiert, da dies spätere Investitionskosten minimiere, so der AUVA-Experte: „Die Ergonomie sollte schon im Vorfeld berücksichtigt werden. Das ist in der Autoindustrie bereits Standard, weil durch die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen erhebliche Kosten eingespart werden können: durch Reduktion von Krankenständen, Steigerung der Effizienz und Verbesserung von Arbeitsabläufen. In anderen Bereichen ist das erst jetzt im Kommen.“ Teils können aber auch im Nachhinein Maßnahmen gesetzt werden, die mit überschaubarem finanziellem Aufwand zu einer Reduktion der Belastungen für den Bewegungsapparat führen.

Arbeiter beim Scherenhubtisch
Am Scherenhubtisch lässt sich die Arbeitshöhe an die individuelle Körpergröße anpassen. @ R.Reichhart

Umgebungsbedingungen

Im April 2019 wurde damit begonnen, bei insgesamt acht Begehungen Arbeitsplätze zu besichtigen, Messungen durchzuführen und auf dieser Basis Maßnahmen zu planen. „Wir haben mit offenen Karten gespielt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Grabmüller alle Arbeitsabläufe gezeigt, z. B., wie sie an der neuen Kanisterabfüllung arbeiten“, erläutert Pichler. Der AUVA-Experte hatte Zugang zu sämtlichen Bereichen, konnte überall Fotos machen und mit allen Beschäftigten sprechen.

Neben der ergonomischen Gestaltung analysierte Grabmüller auch die Umgebungsbedingungen. So wirkt sich z. B. das Raumklima auf den Bewegungsapparat aus, etwa wenn Zugluft infolge ausgekühlter Muskeln zu Verspannungen führt und den Ausbruch von Infektionskrankheiten wie einer Erkältung nach einer Virusinfektion begünstigt. Bei schlechter Beleuchtung werden die Augen stärker belastet und das Risiko eines Arbeitsunfalls steigt, da man Hindernisse leichter übersieht.

„Wir haben vor Ort moderierte Arbeitsplatzevaluierungen durchgeführt, in die auch der Geschäftsführer, die Abteilungsleiter, die Sicherheitsvertrauenspersonen und unser Arbeitsmediziner einbezogen waren“, so Pichler, der einen großen Vorteil in den bei AUVAfit angewandten Evaluierungsmethoden sieht. Alles, was man messen und bewerten könne, mache es leichter zu argumentieren, dass ein Arbeitsplatz verbessert werden müsse.

Evonik hatte sich bereits vor dem AUVAfit-Programm dem Thema Gesundheit am Arbeitsplatz gewidmet, allerdings mit einer anderen Schwerpunktsetzung. „Als ich die Ausbildung zur Sicherheitsfachkraft gemacht habe, ist der technische Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschutz im Vordergrund gestanden und Ergonomie nur nebenbei vermittelt worden“, erinnert sich Pichler. Eine ergonomische Begleitung bei den Erweiterungen und der Umstrukturierung von Arbeitsplätzen sowie bei der Weiterentwicklung von Prozessen fehlte oftmals.

Arbeiter auf Aufstiegshilfe
Die neue Aufstiegshilfe erleichtert den Zugang zu den gestapelten Fässern. @ R.Reichhart
Elektrischer Hubwagen
Elektrischer Hubwagen zur Manipulation der 16 kg schweren Rollen von Verpackungsfolie. @ R.Reichhart

Das Maßnahmenpaket

Hilfsmittel zur Entlastung des Bewegungsapparats waren Teil des Maßnahmenpakets, das auf Basis der AUVAfit-Evaluierung vorgeschlagen und in der Folge umgesetzt wurde. Dazu zählte die Anschaffung einer Hebehilfe, eines elektrischen Hubwagens und mehrerer Scherenhubtische, um die Arbeitshöhe an die unterschiedliche Körpergröße verschiedener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anpassen zu können. In den Hallen wurden ergonomische Fußmatten aufgelegt. Zur Erhöhung der Arbeitssicherheit brachte man im Innen- und Außenbereich Aufstiegshilfen mit Absturzsicherung an, außerdem wurden verschiedene Arbeitspodeste angeschafft. Eine überraschende Erkenntnis aus der Evaluierung spricht Pichler an: „Bei fast allen untersuchten Arbeitsplätzen ist die Beleuchtung ein Problem gewesen.“ So war in der Lagerhalle für Gefahrstoffe die Beleuchtungsstärke zu gering, insbesondere bei der Ausleuchtung der Ecken bestand Verbesserungsbedarf. Zusätzlich zur Erneuerung der Beleuchtung erhielten die Wände und der Boden einen helleren Anstrich. Grabmüller weist darauf hin, dass es nicht nur um die Beleuchtungsstärke geht: „Auch die Lichtfarbe ist wichtig, diese wirkt sich auf das psychische Wohlbefinden aus. Alle Beleuchtungskörper in einem Raum sollten die gleiche Lichtfarbe haben.“ Für die richtige Positionierung der Lichtquellen gesorgt wurde sowohl in den Werkshallen als auch in den Büros, die man mit Tageslichtlampen ausstattete. Diese bewirken einen niedrigeren Melatoninspiegel und die Müdigkeit wird gehemmt.

Bildschirmarbeitsplätze

„Wir haben Büroarbeitsplätze in allen Bereichen der Produktion, im Labor, in der Verwaltung und im technischen Büro. Dort sitzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Großteil der Zeit vor Bildschirmen“, nennt Pichler einen Aspekt, auf den auch in Produktionsbetrieben nicht vergessen werden sollte. Bei Evonik wurden mehrere Verbesserungen realisiert: Höhenverstellbare Tische und Fußablagen ermöglichen eine günstige Haltung unabhängig von der Körpergröße, ergonomische Mäuse beugen dem Entstehen von Beschwerden im Hand-Arm-Bereich vor. Vor Ort wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die richtige Höheneinstellung der Bildschirme und auf die optimale Positionierung bei zwei Bildschirmen hingewiesen, sowie darauf, sich regelmäßig zu bewegen. Im Zuge der Evaluierung konnten auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Anliegen äußern und damit zu Verbesserungen beitragen. „Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren dankbar, dass sie die Möglichkeit gehabt haben, Probleme mitzuteilen. Staplerfahrerinnen und Staplerfahrer haben uns z. B. auf Schlaglöcher aufmerksam gemacht, die dann mit Asphalt aufgefüllt worden sind. Wenn man mit dem Stapler durch Löcher fährt, entsteht eine höhere Stoßbelastung der Wirbelsäule“, beschreibt Grabmüller. Abgesehen davon nützen sich die Stapler schneller ab, was höhere Wartungs- und Reparaturkosten zur Folge hat. Dieses Beispiel zeigt, dass man oft auch mit wenig Aufwand eine deutliche Wirkung erzielen kann.

Im Oktober 2020 stellte Grabmüller bei einer Begehung fest, dass ein Großteil der empfohlenen Maßnahmen zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen an den Arbeitsplätzen bereits umgesetzt war, darunter Verbesserungen hinsichtlich höhenverstellbarer Arbeitssysteme, Beleuchtungen und elektronischer Hebe- und Aufstiegshilfen. Die Verfügbarkeit weiterer ergonomischer Hilfsmittel wurde ausgebaut.

Ing. Gerhard Pichler, DI Dr. Josef Miklautsch und Mag. Roland Grabmüller, MA
V. l. n. r.: Sicherheitsfachkraft Ing. Gerhard Pichler und Geschäftsführer DI Dr. Josef Miklautsch der Evonik Peroxid GmbH mit dem AUVAfit-Berater Mag. Roland Grabmüller, MA. @ R.Reichhart

Erste Erfolge

Mittlerweile ist das AUVAfit-Programm bei Evonik abgeschlossen, noch ausstehende Aktivitäten sollen demnächst durchgeführt werden. „Im Bereich der personenbezogenen Maßnahmen unterstützt die AUVA im Rahmen von AUVAfit Ergonomie mit speziell auf den Arbeitsplatz abgestimmten Workshops und Schulungen“, so Lebersorg-Likar. Da diese wegen Corona nicht stattfinden konnten, wurden sie auf den Sommer 2021 verschoben.

Als erstes Ergebnis von AUVAfit lässt sich bei Evonik eine Sensibilisierung feststellen; ergonomische Überlegungen fließen in allen Abteilungen in die tägliche Arbeit ein. Pichler nennt ein konkretes Beispiel: „Der Werkstättenleiter ist zu mir gekommen und hat gefragt, welches Licht und welchen Bodenbelag wir in der neuen Halle brauchen.“ Im Sinn eines „Management of Change“ müsse man bei Neuerungen auch darauf achten, welche Auswirkungen eine Veränderung auf die Ergonomie habe. Ob die Tatsache, dass es bei Evonik noch nie so wenige Krankenstände und Ausfallszeiten wie im Vorjahr gegeben hat, auf die Maßnahmen im Rahmen von AUVAfit oder auf die Corona-Schutzmaßnahmen zurückzuführen ist, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Aufgrund seiner Erfahrungen weiß Grabmüller, dass es in der Regel mehrere Monate dauert, bis die Auswirkungen des Programms zum Tragen kommen. In Endeffekt würden sich Investitionen in ergonomische Verbesserungen jedenfalls rentieren, so der AUVA-Experte: „Durch Ausfallszeiten wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen entstehen für ein Unternehmen hohe Kosten. Dem kann man mit wesentlich geringeren Ausgaben für die Prävention entgegenwirken.“

Zusammenfassung

Im Rahmen des Ergonomie-Moduls von AUVAfit werden physische Belastungen am Arbeitsplatz anhand renommierter Bewertungstools analysiert und gemeinsam mit dem Betrieb Verbesserungen geplant. Dazu zählen klassische Maßnahmen, aber auch Umgebungsbedingungen wie Beleuchtung und Raumklima spielen eine wichtige Rolle. Am Kärntner Standort des Chemieunternehmens Evonik Peroxid GmbH wurden die Hinweise aus der Evaluierung bei AUVAfit aufgegriffen, die meisten empfohlenen Maßnahmen bereits umgesetzt und dadurch Arbeitsplätze optimiert. AUVAfit ist ein wichtiger Baustein des AUVA-Präventionsschwerpunkts „Packen wir’s an!“ (www.auva.at/mse).


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