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Körperliche Belastung messen

Baustellenarbeiter
Körperliche Belastungen gibt es an jedem Arbeitsplatz. Ob diese negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben, lässt sich mit den richtigen Werkzeugen feststellen. Adobe Stock / Miljan Živkovic

Körperliche Belastungen gibt es an jedem Arbeitsplatz. „Die Frage ist nur: Wann sind die Belastungen zu groß, wann erhöhen sie das Risiko für negative gesundheitliche Folgen wie Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE)?“, so Mag.Julia Lebersorg-Likar, fachkundiges Organ Ergonomie in der AUVA-Hauptstelle. Antworten können Bewertungsverfahren wie die Leitmerkmalmethoden (LMM) liefern. Im Rahmen des aktu ellen AUVA-Präventionsschwerpunkts „Packen wir’s an!“ (www.auva.at/ mse) zur Prävention von arbeitsbedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen bietet die AUVA Informationsmaterial und Schulungen zur Bewertung von Belastungen an.

Nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) ist der Arbeitgeber verpflichtet, im Zuge der Arbeitsplatzevaluierung Belastungen und Gefährdungen zu ermitteln und geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wie dabei vor  zugehen ist, kann unter www.eval.at,   einem Service von AUVA, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, nachgelesen werden. „Die Arbeitsplatz evaluierung besteht aus den vier Schritten Gefahrenermittlung, Ge fahren be wertung, Maßnahmenfestlegung und Überprüfung der Maßnahmen“, fasst Lebersorg-Likar den Evaluierungsprozess zusammen.

Für den zweiten Schritt, die Bewertung der Gefahren, gibt es keine konkreten gesetzlichen Vorgaben. Neben dem Einsatz von ergonomischen Fachnormen können Unternehmen auch unterschiedliche Bewertungstools einsetzen. Diese gewährleisten ein strukturiertes, systematisches Vorgehen und bieten die Möglichkeit, Belastungen einzustufen und zu quantifizieren. Kostenlose Tools werden von verschiedenen Institutionen wie der AUVA, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) oder der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zur Verfügung gestellt.

Screening-Verfahren

Welche Verfahren sich für ein Unternehmen bzw. einen Arbeitsplatz am besten eignen, hängt von der Zielsetzung und den verfügbaren Ressourcen ab. Checklisten, spezielle Screening-Verfahren und von Experten durchgeführte Screenings unterscheiden sich hinsichtlich des erforderlichen Aufwands und der Aussagekraft. Im neu überarbeiteten AUVA-Merkblatt M.plus 021 „Ergonomie. Grundlagen der Arbeitsplatzgestaltung“ sind Informationen über Belastungsfaktoren und deren Bewertung übersichtlich zusammengefasst.

Der Vorteil von Checklisten liegt in der schnellen und einfachen Anwendung sowie in der kurzen Einarbeitungsphase. Sie werden oft als Einstieg verwendet, um über Belastungen an den Arbeitsplätzen einen Überblick zu erhalten. Dabei handelt es sich um Fragen, die mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden, nicht aber um eine Risikobewertung in Form eines Ampelschemas. Checklisten können von der Website www.eval.at heruntergeladen werden. Im AUVA-Merkblatt M.plus 040.E17 „Evaluierung von Büro- und Bildschirmarbeitsplätzen“ finden sich Checklisten speziell für den Bürobereich.

Will man über die Belastung an bestimmten Arbeitsplätzen genauer Bescheid wissen, sind spezielle Screening-Verfahren das Mittel der Wahl. Sie erfordern eine längere Einarbeitungszeit, liefern dafür aber eine genauere Risikoeinschätzung, anhand der man erkennt, ob eine Belastung im grünen, im roten Bereich oder dazwischen liegt.

Noch detaillierter sind die Ergebnisse von Experten-Screenings. „Sie kommen bei Fragestellungen zum Einsatz, die man mit allgemeinen Screenings nicht klären kann, aber z. B. auch bei der Planung von neuen Fertigungslinien“, erklärt Lebersorg-Likar. Für die entsprechenden Tools, die meist käuflich erworben werden müssen, benötigt man eine detaillierte Einschulung, oder sie werden von externen Fachleuten angewandt. Die AUVA bietet Verfahren wie Captiv Motion, eine digitale Bewegungsanalyse, und Ergonomic Assessment Worksheet (EAWS) kostenfrei an.

Die Leitmerkmalmethoden

Ein besonders umfassendes Screening-System stellen die unter Federführung der BAuA im Rahmen des Projekts „Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz“ (MEGAPHYS) entwickelten Leitmerkmalmethoden dar. „Sie beziehen im Unterschied zu anderen Verfahren auch die Ausführungs- und Umgebungsbedingungen sowie die Arbeitsorganisation mit ein. Alle typischen körperlichen Belastungen werden mit einheitlichen Algorithmen in einem geschlossenen Konzept erfasst“, charakterisiert Dr.-Ing. Marianne Schust von der BAuA die LMM.

In mehreren Schritten wurden LMM zu sechs Belastungsarten – manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten, manuelles Ziehen und Schieben von Lasten, manuelle Arbeitsprozesse, Ganzkörperkräfte, Körperfortbewegung sowie Körperzwangshaltung – entwickelt und zum Teil überarbeitet. Die hohe Qualität der Methoden stellte man durch Literaturrecherche, Befragung von Experten, praktische Erprobung in Betrieben sowie vor allem durch eine umfangreiche Validierung sicher.

Die Frage ist: Wann sind die Belastungen zu groß, wann erhöhen sie das Risiko für negative gesundheitliche Folgen?

Julia Lebersorg-Likar

Anhand von Leitmerkmalen, also für die jeweilige Tätigkeit typischen Belastungsfaktoren wie Gewicht, Dauer, Kraft und Häufigkeit, wird ein Punktewert errechnet, der eine Einstufung in einen von vier Risikobereichen – von gering (grün) bis hoch (rot) – ermöglicht. Daraus lassen sich Maßnahmen ableiten. Werden an einem Arbeitsplatz unterschiedliche Tätigkeiten mit verschiedenen körperlichen Belastungsarten ausgeübt, ist jede von ihnen extra zu bewerten. Ein bereits vorliegendes Konzept für Mischbelastungen muss noch überprüft werden.

Für alle Betriebe geeignet

„Die Leitmerkmalmethoden sind für alle Branchen und Unternehmensgrößen geeignet. Sie werden von betrieblichen Praktikern, aber auch von Ergonomie-Experten genutzt. Speziell für kleinere Unternehmen empfehlen wir zuerst das Einstiegsscreening, das wie die LMM auf der BAuA-Web site verfügbar ist“, so Schust. Mit dem Einstiegsscreening erkennt man, ob eine vertiefende Analyse durchgeführt werden sollte. Das Feedback zu den LMM hat gezeigt, dass die interaktiven Formblätter zur automatischen Berechnung besonders beliebt sind. Auch die Möglichkeit, die Wirkung geplanter Maßnahmen im Vorhinein abzuschätzen,  z. B. die Reduktion des Gewichts einer Last oder der Belastungsdauer, wird gerne angenommen.

Bei heimischen Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branche verzeichnet man ebenfalls ein steigendes Interesse an den LMM, stellt Lebersorg-Likar fest: „Große Firmen haben manchmal ihre eigenen Tools. Sie lassen ihre Mitarbeiter zum Teil trotzdem auf die Leitmerkmalmethoden einschulen, um zu überprüfen, ob diese die gleichen Ergebnisse liefern.“ Für kleine Unternehmen bzw. einzelne Arbeitsplätze bietet sich ein Belastungscheck im Rahmen von AUVAfit an: Auch dabei kommen die LMM zum Einsatz. AUVA-Fachseminare zu den Leitmerkmalmethoden kosten während des aktuellen Präventionsschwerpunkts nur die Hälfte des regulären Preises und können auch als Inhouse-Veranstaltung gebucht werden.

Zusammenfassung

Welche Verfahren sich bei der Evaluierung hinsichtlich der körperlichen Belastungen für ein Unternehmen bzw. einen Arbeitsplatz am besten eignen, hängt von der Zielsetzung und den verfügbaren Ressourcen ab. Checklisten, spezielle Screening-Verfahren und von Experten durchgeführte Screenings unterscheiden sich hinsichtlich des erforderlichen Aufwands und der Aussagekraft.


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