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Besonders gefährliche brennbare Flüssigkeiten – demnächst vollverdampft!

Blaues Fass, ein Kanister verschiedene braune Glasflaschen und eine Plastikflasche angeordneten auf einem Tisch.
Adobe Stock

Wenn Ihnen die x-te Auflage der Model-Shows schon langweilig ist und auch das Dschungelcamp zu wenig Spannung bietet, dann kommen Sie mit mir in einen besonderen Dschungel der Extraklasse. Hier treffen alte Bestimmungen auf uralte Bestimmungen, die nicht mehr gültig sind, und gar nicht uninteressante Regelungen fristen ihr mehr oder weniger bald ablaufendes, jedoch ungewisses Dasein. Der Titel könnte auf eine Folge der Erderwärmung hindeuten, steigt doch mit zunehmender Temperatur auch die Verdampfungsfreudigkeit von Substanzen. Doch hier ist nicht von einem Naturphänomen die Rede – vielmehr entspringt diese mehr oder weniger freudig empfundene Sensationsmeldung einzig und allein juristischen Konstruktionen. Die besonders gefährlichen brennbaren Flüssigkeiten sind mit dem aktuellen Verordnungsentwurf im juristisch-zeitlichen Niemandsland angekommen. Die Bestimmungen gelten zwar noch, aber eigentlich schon nicht mehr – und die betroffenen Substanzen „wissen“ noch gar nicht, dass sie nicht mehr besonders gefährlich sein dürfen!

Generell „verschwinden“ Chemikalien gemäß dem Masseerhaltungssatz ja nicht so einfach, und auch ihre Gefährlichkeit hängt neben den stofflich-molekularen Eigenschaften in hohem Maß vom konkreten Umgang mit diesen Stoffen am Arbeitsplatz, aber auch im privaten Umfeld, ab. Denn, wenig überraschend, haben Moleküle noch immer nicht gelernt, „sich zu benehmen“.

Was sind besonders gefährliche brennbare Flüssigkeiten?

Beurteilungswerkzeuge wie das GHS-System bei chemischen Stoffen sollen eigentlich helfen, zu einer gewissen allgemeinen Einschätzung in Bezug auf Substanzen zu kommen. Nun sind zwar die Eigenschaften neutral zu bewerten und naturgemäß weltweit dieselben – die Beurteilungsmaßstäbe weisen aber lokal erstaunliche Unterschiede auf. So kommt es, dass die in Bezug auf die Einteilungskriterien veraltete österreichische VbF (Verordnung brennbarer Flüssigkeiten) im § 6 folgende Bestimmung enthält (mit aktuellem Bezug zitiert):   

§ 6 „Besonders gefährliche brennbare Flüssigkeiten“ im Sinne dieser Verordnung sind:

  1. brennbare Flüssigkeiten, die in der Stoffaufzählung des ADR in den Klassen 3 („Entzündbare flüssige Stoffe“), 6.1 („Giftige Stoffe“) und 8 („Ätzende Stoffe“) in eine Ziffer unter lit. a (ADR i. d. g. F.: VP I, Anm. d. Autors) oder in eine Ziffer ohne Buchstabenunterteilung (ohne VP, Anm.) fallen,
  2. brennbare Flüssigkeiten mit einem Flammpunkt unter –18 ºC und einer Zündtemperatur von 200 ºC oder darunter,
  3. Kollodiumlösung, das ist eine Lösung von Nitrozellulose (Zellulosenitrat) in einem Lösemittelgemisch aus Ethanol und Diethylether, mit einem Stickstoffgehalt (Masseanteil) unter 12,6 vH,
  4. brennbare Flüssigkeiten der ADR-Klasse 4.2 („Selbstentzündliche Stoffe“), 4.3 („Stoffe, die in Berührung mit Wasser entzündliche Gase entwickeln“) und 5.2 („Organische Peroxide“) ADR = Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der StraßeVP = Verpackungsgruppe

Im 1. Absatz, den es sich durchaus lohnt näher zu betrachten, wird auf den Gefahrguttransport Bezug genommen – allerdings auf die Version des ADR aus 1999, die ihre juristische Schlagkraft schon vor zwei Jahrzehnten ausgehaucht hat. Wer jetzt aber nicht weiß, dass die lit. a einst eine Stoffteilliste umfasste, in der die Stoffe in jeder der erwähnten Gefahrgutklassen (3, 6.1 und 8) aufgelistet waren, sodass praktischerweise alle Stoffe kompakt dargestellt waren – welche wiederum aktuell den Verpackungsgruppen I entsprechen –, der ist verloren! Im aktuellen ADR 2021 sind diese Stoffe in der Zentraltabelle in Kapitel 3.2. über die gesamte Riesentabelle verstreut und daher in ihrer Gesamtheit nur schwer aufzufinden! Eine auszugsweise Liste der laut Definition in VbF § 6 (1) besonders gefährlichen, aber nur brennbaren Flüssigkeiten finden Sie im Kasten auf Seite 37! In Übersicht 2 finden Sie eine schon etwas längere Liste mit besonders gefährlichen brennbaren Flüssigkeiten, die aber zumindest eine Nebengefahr wie ätzend oder giftig, manchmal sogar beide Nebeneigenschaften, aufweisen. 

Bei den brennbaren Flüssigkeiten der Verpackungsgruppe I sind eben auch die Stoffe mit den Nebengefahren gelistet, meistens ätzend und giftig. Spannend wird es aber andersherum: Giftige Flüssigkeiten, die brennbar sind, unterliegen dem österreichischen Giftrecht, gelten aber in der Lagerung derzeit primär als brennbare Flüssigkeiten! Ähnlich ist es bei den ätzenden brennbaren Flüssigkeiten: Obwohl die Hauptgefahr durch die Gewebszerstörung determiniert wird, gelten sie als brennbare Flüssigkeiten!

Beispiel Essigsäure

Ein Beispiel ist die Essigsäure, speziell im höherprozentigen Konzentrationsbereich: Es gibt Firmen, da wandert die Essigsäure vom VbF-Lager je nach Auditor in das Säurelager und wieder retour ins Lager der brennbaren Flüssigkeiten: ein pH-Wert um die 2 und ein Flammpunkt von 39 °C wird noch von einer UEG (untere Explosionsgrenze) im Ex-Schutz ergänzt!

Da aber die Essigsäure im ADR nur der Verpackungsgruppe II zugeordnet ist, gilt sie laut VbF als nicht besonders gefährlich! Doch die Anzahl der Personen, die mit der aggressiven Wirkung der Essigsäure Bekanntschaft gemacht haben, ist ungleich größer als die jener, die mit Explosion oder schweren Brandverletzungen konfrontiert waren!

Also ist es jetzt ein brennbarer Stoff, der ätzt, oder ein ätzender Stoff, der brennt? Im GHS ist das eine nicht einfach zu beantwortende Frage bzw. stellt sich diese Frage weniger im Klassifizierungssystem als beim Gefahrguttransport oder der Lagerung, die eine eindeutige Zuordnung benötigen.

Nur mehr allgemein und nicht speziell gefährlich?

Eine Liste mit klassischen Vertretern von brennbaren Flüssigkeiten, die gemäß ihrer Giftigkeit diese letztgenannte Haupteigenschaft aufweisen, finden Sie auf Seite 38 und 39 (Tabellen 3 und 4). Tabelle 5 führt schließlich jene ätzenden, brennbaren Flüssigkeiten an, die im Entwurf 2018 der „neuen“ VbF nicht mehr zu finden sein werden.

Während nämlich der Begriff der besonders gefährlichen brennbaren Flüssigkeiten in der noch immer rechtskräftigen VbF Eingang in allgemein gültige Lagerbestimmungen gefunden hat (siehe auch zitierter § 67 (1) VbF), ist eine speziell gültige Definition im Entwurf 2018 nicht mehr zu finden: Offenbar sind diese Substanzen nicht mehr als allgemein gefährlich bei der Lagerung erkannt worden, wiewohl sie es im Umgang sehr wohl sind. 

Dabei startet doch fast jeder Arbeitsvorgang mit der Entnahme aus der Lagerung – das wäre der richtige Ort für eine Bewusstseinsbildung vor Einsatz!

§ 67 (1): „Besonders gefährliche brennbare Flüssigkeiten dürfen bis zu einer Menge von fünf Liter gelagert werden, wenn die Behälter aus geeignetem Werkstoff bestehen und der Nenninhalt je Behälter nicht mehr als 250 Milliliter beträgt; sind die Behälter mit schwer brennbarem, gegen den Inhalt und gegen Korrosionen beständigem Material bruchgeschützt umhüllt, so darf der Nenninhalt je Behälter bis zu einem Liter betragen. Die Lagermenge erhöht sich auf zehn Liter, wenn die Behälter aus Metall bestehen und der Nenninhalt je Behälter nicht mehr als fünf Liter beträgt. Erfolgt die Lagerung in Sicherheitsbehältern und beträgt der Nenninhalt je Behälter nicht mehr als fünf Liter, so darf die Lagermenge 15 Liter betragen.“

§ 67 (1) zeigt in einer übersichtlichen Dreiteilung, ähnlich einem Ampelprinzip, die besonders gefährlichen brennbaren Flüssigkeiten, ihre Füllmenge je Behälter, maximale Lagermenge und Art des Gebindematerials.

Im Entwurf der VbF 2018 taucht jedoch der Begriff der besonders gefährlichen brennbaren Flüssigkeiten nicht mehr allgemein auf. Stattdessen überrascht an unerwarteter Stelle eine im Torso übernommene und sogar verschärft ausgebaute Bestimmung bei den Sicherheitsschränken: Ident mit der bisherigen Bestimmung ist die Formulierung hinsichtlich brennbarer Flüssigkeiten der Verpackungsgruppe I und der giftigen/toxischen brennbaren Flüssigkeiten. Die ätzenden brennbaren Flüssigkeiten – somit auch die oben als Beispiel genannte Essigsäure als hochkonzentrierter Eisessig („gefriert“ mit kristalliner Struktur bei Temperaturen von unter 16,6 Grad Celsius) – fehlen jedoch, genauso wie bei der alten Regelung! Warum hier nur die Lagerung im Sicherheitsschrank, und da nur bis zum 1-Liter-Gebinde, einen speziellen Regulativfall bedeutet, erschließt sich nicht wirklich.

Auch fallen die in der „alten“ VbF im § 6 (4) aufgelisteten Gefahrgutklassen 4.2. (selbstentzündliche brennbare Flüssigkeiten!), 4.3 (mit Wasser entzündbare Gase bildende brennbare Flüssigkeiten!) sowie die organischen Peroxide der Gefahrgutklasse 5.2 komplett weg!

Letztere stellen im Übrigen die einzigen österreichischen Lagerbedingungen für – zumindest die organischen flüssigen – Peroxide dar! Für diese gelten sonst generell im Sinne des Stands der Technik die deutschen Bestimmungen der DGUV-Vorschrift 13 „organische Peroxide“. Somit gilt der § 67 (1) derzeit auch für die Peroxidlagerung!

Diese sehr speziellen und sehr gefährlichen brennbaren Flüssigkeiten ereilt mit dem juristischen Tod der derzeitigen VbF die zumindest weitgehende begriffliche Elimination. Ihre Gefährlichkeit verschwindet damit freilich nicht. In Tabelle 6 finden Sie eine Übersicht der Vertreter der Gefahrgutklasse 4.3.

Sicherheitsschränke

NEU im Entwurf VbF 2018 ist im § 12:

4. Bei Sicherheitsschränken ist abweichend von Z 3 eine mit einem Filter zur Aufnahme von Kohlenwasserstoffen versehene Lüftung als Abluftführung in den Aufstellungsraum zulässig; in diesem Fall dürfen

    a. die Lagermengen der Gefahrenkategorie 1 oder 2 höchstens 100 l (Summe) betragen,

    b. die Gebinde für brennbare Flüssigkeiten der Gefahrenkategorie 2 ein Fassungsvolumen von 5 l nicht überschreiten und

    c. die Gebinde für brennbare Flüssigkeiten der Gefahrenkategorie 1 (VP I) sowie für brennbare Flüssigkeiten mit toxischen Eigenschaften (Gefahrenklasse 3.1 (= Gefahrengutklasse 6.1) Kategorie 1 bis 3 (I, II III), sowie         Gefahrenklasse 3.8 (Zielorgantox EINMALIG) oder 3.9 (Zielorgantox WIEDERHOLT) Kategorie 1 CLP-V) ein Fassungsvolumen von 1 l nicht überschreiten;

Die brennbaren toxischen Flüssigkeiten werden nun aber um die gesamte Palette aller Stoffe in allen 3 GHS-Kategorien erweitert, d. h. im Gefahrgutrecht um die VP II und VP III. Diese nicht unbeträchtliche Stoffgruppe ist nun, genauso wie die chronisch schädigenden, zielorgantoxischen Stoffe mit längerwirkenden gesundheitsrelevanten Eigenschaften, neu dazugekommen! (Die einmalige Zielorgantoxizität unterliegt (bekanntlich) dem Giftrecht!). (Übersicht siehe Tabelle 3.)

Fazit

Die Bestimmungen in Bezug auf besonders gefährliche brennbare Flüssigkeiten betreffen flüssige Stoffe mit Flammpunkten < 23 °C und Siedepunkten unter 35 °C sowie Stoffe mit zusätzlichen giftigen und/oder ätzenden Eigenschaften sowie Sondergruppen wie selbstentzündlich und brennbare Gase bildend bzw. als brennbares flüssiges Peroxid vorliegend.

Schwierig, den Überblick zu behalten

In der bisher geltenden VbF gibt es allgemein zutreffende Bestimmungen, deren weitere Einhaltung empfohlen wird. Im Entwurf zur Neufassung 2018 der VbF gelten nur mehr Teile als Sonderbestimmung und die wiederum nur für die Lagerung im Sicherheitsschrank. Dafür wurden nun sämtliche toxischen brennbaren Flüssigkeiten sowie die chronisch wiederholt zielorgantoxischen Stoffe mitaufgenommen, wobei letztere insofern eine Anomalie darstellen, da bei der Lagerung die physikalischen Eigenschaften immer primär bestimmend sind.

Wer jetzt noch den Überblick hat, was aktuell einzuhalten ist, was in Zukunft gelten wird, beziehungsweise, was im Sinne der Prävention sinnvoll ist, möge sein:ihr Leid ob der Nebenwirkungen mit Lageristen:Lageristinnen, Sicherheitsfachkräften und Brandschutzbeauftragten teilen! 

Zusammenfassung

Der Autor analysiert, welche Vorschriften für besonders gefährliche brennbare Flüssigkeiten in Österreich aktuell und in Zukunft anzuwenden sind und welche Auswirkungen dies für die Verwender:innen hat


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