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Muskle-Skelett-Erkrankungen

Schwerpunkt MSE: Rückblick und Ausblicke

Die europäische Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – Entlasten Dich!“ ist beendet, die Präventionsarbeit geht weiter.

In einem Vortragssaal machen die Beschäftigten Turnübungen zur Entspannung
© R. Reichhart

Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) standen im Fokus der Kampagne 2020–2022 der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) „Gesunde Arbeitsplätze – Entlasten Dich!“, an der sich die AUVA mit ihrem Präventionsschwerpunkt „Packen wir’s an!“ beteiligte. Bei der Abschlussveranstaltung der europäischen Kampagne am 20. Oktober 2022 in Wien wurde Bilanz gezogen. Thema waren auch jene im Rahmen der Kampagne begonnenen Aktivitäten, die nun fortgeführt werden.

Wie wichtig dauerhafte Maßnahmen zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen sind, betonte der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, Mag. Dr. Martin Kocher: „Die Arbeitswelt ändert sich fast täglich, aber die Herausforderungen für den Bewegungs- und Stützapparat werden weiter bleiben.“ Der Minister wies darauf hin, dass rund 20 Prozent aller Krankenstandstage auf MSE zurückzuführen sind und MSE eine der Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeit und Frühpensionierung darstellen. Für Betroffene bedeutet das eine Einschränkung ihrer Lebensqualität, für Unternehmen und Volkswirtschaft entstehen hohe Kosten.

Irene Tambornino hinter einem Rednerpult
© Richard Reichhart

Wir bleiben auch nach dem Ende der Kampagne am Thema MSE dran.

Irene Tambornino

Die stellvertretende ärztliche Direktorin der AUVA, Dr. Irene Tambornino, ging auf die Belastungen für den Bewegungs- und Stützapparat ein, die sich je nach Beruf unterscheiden, etwa durch Heben und Tragen am Bau oder bei der Paketzustellung, aber auch durch monotone repetitive Tätigkeiten in der Produktion oder an der Supermarktkassa. Das Interesse an einer maßgeschneiderten Beratung sei groß: „Wir haben immer mehr Anfragen von Klein- und Mittelbetrieben zu Schulungen zum Thema MSE und bleiben auch nach dem Ende der Kampagne dran.“

Martin Kocher hinter einem Rednerpult
© Richard Reichhart

Rund 20 Prozent aller Krankenstandstage sind auf MSE zurückzuführen.

BM Martin Kocher

Die beiden Kampagnenmanagerinnen, Dr. Marie Jelenko von der AUVA und Mag. Martina Häckel-Bucher vom Zentral-Arbeitsinspektorat, schilderten die Besonderheiten der Kampagne zu MSE, die durch die Pandemie geprägt war. Damit Veranstaltungen stattfinden konnten, wurden sie als virtuelle Events abgehalten. Obwohl die Betriebe durch Corona andere Probleme hatten, fand man Anknüpfungspunkte an die MSE-Kampagne – etwa die körperlichen Auswirkungen psychischer Belastungen oder Beschwerden aufgrund eines nicht ergonomisch ausgestatteten Arbeitsplatzes im Homeoffice.

Aktivitäten der AUVA

Mag. Julia Lebersorg-Likar und Mag. Michaela Strebl, Ergonominnen in der AUVA-Hauptstelle, ließen die Kampagne der AUVA zur Prävention von MSE in ihrem Vortrag noch einmal Revue passieren. Als Schwerpunkte nannte Strebl langes Sitzen und Stehen, Lastenhandhabung und psychische Belastungen als Ursachen für Muskel-Skelett-Erkrankungen sowie das Erkennen und Bewerten von Risikofaktoren.

Zahlreiche Aktivitäten des AUVA-Präventionsschwerpunktes „Packen wir’s an!“ finden unter dem Motto „Packen wir’s weiter an!“ ihre Fortsetzung, etwa in Form von Veranstaltungen, Seminaren, Webinaren und Workshops. Darüber hinaus stehen Merkblätter, Checklisten, Poster und Apps auch in Zukunft zur Verfügung. „Diverse Merkblätter wurden überarbeitet und ein neues ist entstanden. Auch neu im Repertoire sind die Posterserien ‚Unsere Wirbelsäule‘ und ‚Pack’s richtig an‘“, so Lebersorg-Likar.

Aktivitäten der Arbeitsinspektion

Auch die Arbeitsinspektion beteiligte sich an der europäischen Kampagne. Im Rahmen eines Beratungs- und Kontrollschwerpunkts wurden insgesamt 5.454 Arbeitsstätten, Baustellen und auswärtige Arbeitsstellen besucht, der Fokus lag auf den Branchen Bau, Warenherstellung, Handel, Instandhaltung und Kfz-Reparatur. Bei der Bewertung von Risiken und der Suche nach Lösungen bezogen die Arbeitsinspektoren:inspektorinnen die Arbeitnehmer:innen und ihre Vertreter:innen sowie Experten:Expertinnen aus Arbeitsmedizin, Ergonomie, Psychologie und Technik mit ein.

Für den Beratungs- und Kontrollschwerpunkt hatte das Arbeitsinspektorat in Kooperation mit der AUVA eine Checkliste erstellt. „Die Checkliste enthält mess- und beurteilbare Parameter sowie Beispiele typischer Tätigkeiten und Angaben zur betroffenen Körperregion“, erklärte DI Ernst Piller, Leiter der Abteilung Technischer Arbeitnehmer:innenschutz in der Sektion II – Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat. Die Checkliste zeigt für Erwachsene und Jugendliche unterschiedliche Belastungsgrenzen auf. So wurden etwa das Gewicht der Last, die Dauer der Tätigkeit oder die Anzahl der Wiederholungen bei Jugendlichen anders bewertet.

Über eine Veranstaltung, die das Arbeitsinspektorat in Kooperation mit dem Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen sowie der Gesellschaft kritischer Psychologen und Psychologinnen 2022 im Auftrag der EU-OSHA abgehalten hatte, referierte Mag. Julia Steurer vom Zentral-Arbeitsinspektorat. Thema war der Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen am Arbeitsplatz und MSE. „Wir haben eine Brücke zwischen Wissenschaft und Arbeitsschutz geschlagen“, brachte Steurer ein durch die Veranstaltung erreichtes Ziel auf den Punkt.

Gruppenbild links Irene Tambornino rechts Martin Kocher
Dr. Irene Tambornino, stellvertretende Ärztliche Direktorin der AUVA, und Mag. Dr. Martin Kocher, Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, betonten die Wichtigkeit der Maßnahmen zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen. © Richard Reichhart

Wissenschaftliche Forschung

Wissenschaft und Praxis zu vernetzen war auch das Anliegen der Soziologin Dr. Karin Sardadvar, die an der Humboldt-Universität Berlin und der Wirtschaftsuniversität Wien unterrichtet. Sie nahm als Vertreterin der WU Wien am 15. Juni 2021, dem „Tag der Reinigung“, an einer Veranstaltung der EU-OSHA, des Zentral-Arbeitsinspektorats und der österreichischen Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida teil. Mit dieser Veranstaltung sollte Reinigungsarbeit sichtbar gemacht werden.

„Reinigungsarbeit ist eine Arbeit mit hohen Anforderungen und Risiken. Man hat körperliche Beanspruchungen, ein großes Risiko für Unfälle, MSE und Atemwegserkrankungen“, beschrieb Sardadvar die Tätigkeit in einer Branche, die auch durch geringe Bezahlung, fragmentierte Arbeitszeiten und wenig Anerkennung gekennzeichnet ist. Um die Beschäftigten weiterhin zu unterstützen, ist unter anderem ein Pilotprojekt mit Begleitforschung zur Umstellung auf Tagreinigung geplant.

Arbeits- und Organisationspsychologin Dr. Julia Schöllbauer von der Universität Wien und Dominik Klaus, MSc, von der Wirtschaftsuniversität Wien präsentierten die Ergebnisse ihrer Forschungen über die Entgrenzung von Arbeit. Informations- und Kommunikationstechnologien werden zunehmend dafür genutzt, dass Arbeitnehmer:innen in ihrer Freizeit berufliche Tätigkeiten ausführen, etwa E-Mails beantworten, aber auch während der Arbeitszeit z. B. private Recherchen im Internet erledigen. Verstärkt habe sich dieser Trend durch die Pandemie und die damit verbundene stärkere Verbreitung von Homeoffice, so Klaus.

Die psychischen Folgen dieser Entwicklung müsse man differenziert betrachten, betonte Schöllbauer. Entscheiden sich Mitarbeiter:innen freiwillig dazu, in ihrer Freizeit zu arbeiten, führt das zu höherer Arbeitszufriedenheit sowie zu mehr Commitment und fördert die Kreativität. Wird die Entgrenzung hingegen als Handlungszwang empfunden, überwiegen Stress, ein Gefühl des Kontrollverlusts und körperliche Symptome, etwa Rückenschmerzen. Beobachtet wurde auch ein Kompensationseffekt: Arbeitnehmer:innen, die in der Freizeit arbeiten, neigen eher dazu, am nächsten Tag in der Arbeit privaten Aktivitäten nachzugehen.

Gruppenfoto
v. l. n. r.: Die österreichischen Preisträger und Nominierten des europäischen Wettbewerbs Siegfried Gierlinger (Universitätsklinikum AKH Wien), Martin Dür (Rohrdorfer Transportbeton), Gerhild Katz (Universitätsklinikum AKH Wien), Katharina Mallich-Pötz ( © Richard Reichhart

Preisträger des europäischen Wettbewerbs

Nicht in allen Berufen ist es möglich, Arbeiten von zu Hause aus zu erledigen. Beim Wettbewerb für gute praktische Lösungen im Rahmen der europäischen Kampagne wurden zwei österreichische Unternehmen ausgezeichnet, bei denen Verbesserungen am Arbeitsplatz typische Belastungen durch Heben, Tragen, Ziehen und Schieben deutlich reduziert haben. Zu den Preisträgern zählt das Universitätsklinikum AKH Wien für Präventionsmaßnahmen der Betriebsabteilung in den Bereichen Patiententransportdienst, Service auf den Stationen und Reinigung. Eine Nominierung erhielt die Rohrdorfer Baustoffe Austria GmbH für die Anschaffung eines Scherenhubtisches in der Produktion von Stahlfaserbeton. Über beide Unternehmen wird in der kommenden Ausgabe von „Sichere Arbeit“ ausführlicher berichtet.

Abschließend fasste DI Georg Effenberger, Leiter der Abteilung Prävention in der AUVA-Hauptstelle, den Erfolg der europäischen Kampagne zusammen, die bereits zum dritten Mal MSE zum Thema gehabt hatte: „Die letzte Kampagne hat am meisten bewegt. Vielleicht haben viele in der Pandemie am eigenen Leib erlebt, wie wichtig gut gestaltete Arbeitsplätze sind, im Büro oder zu Hause.“ 

Dr. Anna Ritzberger-Moser, Leiterin der Sektion Arbeitsrecht und des Zentral-Arbeitsinspektorats, wagte einen Ausblick: Das Thema MSE werde uns auch in Zukunft begleiten – möglicherweise mit neuen Risiken, die die Modernisierung der Arbeitswelt mit sich bringt.

Zusammenfassung

Am 20. Oktober 2022 fand die Abschlussveranstaltung der Kampagne 2020–2022 der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) „Gesunde Arbeitsplätze – Entlasten Dich!“ und des AUVA-Präventionsschwerpunktes „Packen wir’s an!“ statt. Bei der Veranstaltung wurden die Kampagnen-Ergebnisse zusammengefasst und ein Ausblick gegeben, welche Aktivitäten weiter fortgeführt werden. 


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