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trafficsafety4you: Mobilitätsbildung für 14- bis 18-Jährige

Jugendliche, die lächelnd und plaudernd nebeneinander eine Straße entlang gehen
© Adobe Stock

Für jugendliche Fahranfänger:innen im Alter von 15 bis 24 Jahren zählen Unfälle im Straßenverkehr nach wie vor zur häufigsten Todesursache. Jugendliche und junge Erwachsene sind in der Unfallstatistik deutlich stärker vertreten, als es ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung erwarten lassen würde (vgl. Abbildung 1). Aus fachlicher Sicht sind angesichts dieser Zahlen verstärkte Präventionsbemühungen indiziert. Genau hier setzt „trafficsafety4you“ an. Das Angebot nimmt auf alle Arten der Verkehrsteilnahme Bezug und kann daher sowohl in der Vorbereitung auf den Führerscheinerwerb als auch bei der Sensibilisierung für Verkehrssicherheitsthemen bei nicht-motorisierter Straßenverkehrsteilnahme einen wesentlichen Beitrag leisten. 

Jugendtypische Unfallursachen

Seit sechs Jahren bietet die „sicher unterwegs – Verkehrspsychologische Untersuchungen GmbH“ in Kooperation mit der AUVA Verkehrssicherheitsworkshops unter dem Titel „trafficsafety4you“ für Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren an. Bis vor Kurzem gab es drei Module von „trafficsafety4you“: eines zum Thema Alkohol, eines zum Thema Drogen und Medikamente und eines zum Thema Ablenkung im Straßenverkehr. Im Rahmen des aktuellen Präventionsschwerpunkts der AUVA „Komm gut an!“ wurde ein viertes Modul zum Thema „Müdigkeit und Fahrtüchtigkeit“ entwickelt. Alle Module adressieren jugendtypische Unfallursachen. Sie werden jeweils im Klassenzimmer in Anwesenheit des:der Klassenlehrers:-lehrerin von Verkehrspsychologen:-psychologinnen durchgeführt und dauern vier Unterrichtseinheiten. Da es keine Überschneidungen zwischen den einzelnen Modulen gibt, können sie einzeln oder als Paket gebucht werden. Aufgrund ihrer vielfältigen Bezüge zu den Rahmenlehrplänen lassen sich die einzelnen Module sehr gut in den Unterricht integrieren.

Während die Unfallgefahren Alkohol, Drogen und Medikamente sowie Ablenkung medial und in Verkehrssicherheitskampagnen regelmäßig aufgegriffen werden, bleibt Müdigkeit oft die unterschätzte Unfallgefahr, weshalb im Folgenden insbesondere das neue Modul Müdigkeit und Fahrtüchtigkeit von trafficsafety4you (Söllner, Schützhofer & Soukup, 2022) vorgestellt werden soll.

Neues Modul Müdigkeit und Fahrtüchtigkeit

Müdigkeit am Steuer ist ein weit verbreitetes Phänomen, das in seiner Gefährlichkeit deutlich unterschätzt wird (vgl. z. B. Torner & Schützhofer, 2010, Walzl, Hagen & Prummer, 2007) und eine hohe Lebenszeitprävalenz aufweist (Sagberg, Jackson, Krüger, Muzet & Williams, 1999). Wie in Abbildung 2 veranschaulicht, gehen laut Unfalltiefenanalyse von Stefan und Kollegen (2008) acht Prozent aller tödlichen Unfälle im gesamten Straßennetz sowie doppelt so viele auf Autobahnen und Schnellstraßen auf Übermüdung bzw. Sekundenschlaf zurück. Bei den hinsichtlich Müdigkeitsunfällen als Hochrisikogruppe geltenden Lkw-Überland-Fahrer:innen steigt der Anteil sogar auf über 47 % (Mc Cartt, Rohrbaugh, Hammer & Fuller, 2000), wobei bei allen diesen Zahlen eine hohe, noch zu berücksichtigende Dunkelziffer vermutet wird.

Das Hauptlernziel des Workshops Müdigkeit und Fahrtüchtigkeit im Rahmen von trafficsafety4you ist demgemäß eine internal (motivational und einstellungsmäßig) gefestigte müdigkeitsfreie Verkehrsteilnahme. Der Weg dorthin führt über Wissensvermittlung hinsichtlich der Bedeutung von Fahrtüchtigkeit für verkehrssicheres Verhalten und der Auswirkungen von Müdigkeit auf das Verkehrsverhalten sowie zu müdigkeitsbedingten Veränderungen von Verkehrskompetenzen. Wesentlich in diesem Zusammenhang ist die Sensibilisierung dahingehend, dass auch Jugendliche trotz zumeist sehr guter körperlicher Fitness den Grenzen der menschlichen Wahrnehmungskapazitäten und Schlafbedürfnisse unterliegen.

Straßenunfallstatistik der Verletzten  und Getöteten 2021 nach Alter
Abbildung 1: Straßenunfallstatistik der Verletzten und Getöteten 2021 nach Alter Statistik Austria, 2022, S. 35
Grafik mit verschiedenen Daten zu Lebenszeitprävelenz und Anteil tödlicher Unfälle
Abbildung 2: Prävalenz von Müdigkeit am Steuer, Häufigkeit von Müdigkeit als Unfallursache bei tödlichen Unfällen.

Peer-to-Peer-Ansatz

Die workshopleitenden Verkehrspsychologen:-psychologinnen arbeiten interaktiv und großteils nach dem Peer-to-Peer-Ansatz. Grundlage ist das Konzept, dass eigenes Erleben zu Bewusstwerdung führt, was wiederum das Verständnis und Begreifen der Inhalte fördert und deren Durchdringung unterstützt. Mit Hilfe von jugendlichen Role-Models wurde Foto- und Videomaterial produziert, das im Workshop zum Einsatz kommt. So nahmen die als Role-Models fungierenden Jugendlichen beispielsweise an einem Experiment teil, bei dem sie während einer durchwachten Nacht stündlich ihren Müdigkeitslevel sowie ihre Stimmung einschätzten, protokollierten (vgl. Abbildungen auf S. 44) und ein kurzes Videostatement dazu abgaben. Anhand dieses Kurzfilms kann nun deutlich der Zusammenhang zwischen Müdigkeit und Stimmung veranschaulicht und in weiterer Folge diskutiert werden, welche Folgen sich daraus für die verkehrssichere Teilnahme als Fußgänger:in, Radfahrer:in, Mopedfahrer:in, Autofahrer:in etc. ergeben könnten. Besonders wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Phase, in der Übermüdung zu überdrehter, euphorischer Stimmung führt, welche nicht nur über die akute Müdigkeit hinwegtäuscht, sondern auch zu Selbstüberschätzung bei der Verkehrsteilnahme führen kann.

eine Gruppe Jugendlicher in einem Seminarraum
Die Role-Models präsentieren ihre Müdigkeits- und Stimmungsprotokolle. © Martin Nußbaum

Wissenslücken durch Erleben füllen

Eine wesentliche Aufgabe des Workshops von trafficsafety4you ist das Füllen von Wissenslücken hinsichtlich müdigkeitsbedingter Auswirkungen auf die einzelnen für Fahrtüchtigkeit notwendigen Fähigkeiten. Diese können durch verschiedene Übungen wie z. B. bei den Tools „Ich bin so müüüüde – ein Erlebnisparcours“ sowie „Die Müdigkeitsbrille“ auch aktiv erlebt, erfahren und reflektiert werden. Da im Straßenverkehr die meisten Informationen über das Auge aufgenommen werden, liegt bei der Wissensvermittlung ein Schwerpunkt auf den visuellen Verkehrskompetenzen wie dem Blickverhalten. Mittels Eyetracking-Kamera wurde für die Jugendlichen Bild- und Videomaterial produziert, das anschaulich zeigt, wie sehr sich durch Müdigkeit nicht nur der Blickbewegungsbereich einengt, sondern auch die Fixationszeit verlängert sowie die Anzahl der Blicksprünge verringert.

Ansicht einer Software mit verschiedenen Bildern von Augen und einem Gesicht, umrandet von Buttons
Die Eyetracking-Kamera zeigt die Auswirkungen von Müdigkeit. © Martin Nußbaum

Didaktische Erfordernisse

Die Zielgruppe für trafficsafety4you ist in der Adoleszenz einzuordnen, darunter versteht man die Übergangszeit von der späten Kindheit (ab ca. 10 Jahre) ins junge Erwachsenenalter (bis ca. 22 Jahre). Für die erfolgreiche Verkehrssicherheitsarbeit mit 14- bis 18-jährigen Jugendlichen ist es wesentlich, insbesondere die in dieser Phase stattfindenden alterstypischen Umbauprozesse im Gehirn zu kennen und zu verstehen sowie die didaktische Vorgehensweise darauf abzustimmen. Wichtig für das Verständnis von jugendlichem (Verkehrs-)Verhalten sind vor allem die Umstrukturierungen im Präfrontalcortex (in Folge Kontrollzentrum) sowie im limbischen System (in Folge Belohnungszentrum). Letzteres entwickelt sich rascher als Ersteres, woraus folgt, dass das Belohnungszentrum das Kontrollzentrum dominiert (Uhr, 2015, Steinberg, 2008, Luna et al., 2001). Diese Imbalance kann bis weit ins junge Erwachsenenalter andauern, so lange kann die Reifung des Präfrontalcortex benötigen (Luna et al., 2001, Jäncke, Cheetham & Baumgartner, 2009). 

Die Verhaltenssteuerung durch Selbst-, Handlungs- und Impulskontrolle kann bis dahin mitunter zu schwach sein, um vernünftig und verkehrssicherheitsbewusst handeln zu können. Daraus folgt aber nicht, dass Jugendliche nicht grundsätzlich rational entscheiden und handeln können. Es sinkt allerdings in motivationalen und sozialen Situationen – wie der Aussicht auf eine attraktive Belohnung oder in Anwesenheit der relevanten Peers – die Wahrscheinlichkeit dafür. Durch die ausgeprägte Dominanz des limbischen Systems in dieser Entwicklungsphase stehen Abwechslung, spannende, neue Erlebnisse und Erfahrungen sowie starke Emotionen, unabhängig vom damit einhergehenden Gesundheitsrisiko, für Jugendliche im Vordergrund. Riskantes und spontanes Verhalten in der Adoleszenz sind demnach auf den ungleichen Entwicklungsstand von Belohnungs- und Kontrollzentrum zurückzuführen (vgl. Schützhofer, Rauch & Banse, 2017). Aufgrund der eben vorgestellten jugendtypischen Besonderheiten wird beim Angebot von trafficsafety4you auf erlebnisbezogene Vermittlung und Ansprache des Belohnungszentrums im Sinne von Bedürfnisbefriedigung gesetzt. 

Komm gut an mit trafficsafety4you! So unterstützt die AUVA:

Das Angebot von trafficsafety4you wird von der AUVA finanziert und ist für die Schule bzw. die Eltern von Schülern:Schülerinnen kostenfrei. 

Das Verkehrssicherheitsprogramm wurde theoriebasiert entwickelt und vom Bonner Institut für Rechts- und Verkehrspsychologie in zwei Schritten wissenschaftlich evaluiert. Es wurde zunächst eine qualitative Konzeptevaluation (Koppehele-Gossel & Banse, 2017) basierend auf dem integrativen Baukastensystem für Evaluationen in der AUVA-Prävention (Spiel, Finsterwald, Popper & Hesse, 2013) durchgeführt und im Anschluss daran eine quantitative Wirksamkeitsmessung in einem Prä-Post-Post-Design (Banse, Warkentin, Klein & Stegers, 2020). Beide Evaluationen belegen die Wirksamkeit des Angebots auf der Wissens-, Einstellungs- und Verhaltensebene. 

Mehr zu trafficsafety4you unter www.auva.at/schule (Aktionen und Angebote)

LITERATURHINWEISE:

[1] Banse, R., Warkentin, R., Klein, L. & Stegers, T. (2020). Abschlussbericht zur Evaluation des Verkehrssicherheitstrainings trafficsafety4you. Bonn: Bonner Institut für Rechts- und Verkehrspsychologie.

[2] Jäncke, L., Cheetham, M. & Baumgartner, T. (2009). Virtual reality and the role of the prefrontal cortex in adults and children. Front Neurosci, 3 (1), 52–59. http://dx.doi.org/10.3389/neuro.01.006.2009

[3] Koppehele-Gossel, J. & Banse, R. (2017). Evaluationsbericht zum Präventionsprogramm „Trafficsafety 4 you“. AUVA-Report Nr. 76. Wien: Allgemeine Unfallversicherungsanstalt AUVA.

[4] McCartt, A.T., Rohrbaugh, J.W., Hammer, M.C. & Fuller, S.Z. (2000). Factors associated with falling asleep at the wheel among long-distance truck drivers. Accident Analysis and Prevention, 32, p. 493–504.

[5] Sagberg, F., Jackson, P., Krüger, H.-P., Muzet, A. & Williams, A. (1999). Fatigue, sleepiness and reduced alertness as risk factors in driving. TOI report 739/2004. Oslo: Institute of Transport Economics. Online verfügbar unter: https://www.researchgate.net/profile/Alain_Muzet/publication/242168090_Fatigue_sleepiness_and_reduced_alertness_as_risk_factors_in_driving/links/55e5ca5b08aebdc0f58b8698.pdf (abgerufen am 16.5.2017)

[6] Schützhofer, B., Rauch, J. & Banse, R. (2017). Verkehrssicherheitsarbeit mit Jugendlichen an der Schwelle zur motorisierten Straßenverkehrsteilnahme – welchen Beitrag kann die Verkehrspsychologie dazu leisten? Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 5, 215–224.

[7] Söllner, M., Schützhofer, B. & Soukup, B. (2022). trafficsafety4you Manual. Modul IV Müdigkeit und Fahrtüchtigkeit. Wien: sicher unterwegs – Verkehrspsychologische Untersuchungen GmbH.

[8] Spiel, G., Finsterwald, M., Popper, V. & Hesse, N. (2013). Darstellung des integrativen Baukasten-systems für Evaluationen im Präventionsbereich der AUVA. AUVA-Report Nr. 63. Wien: ECE & AUVA. Online verfügbar unter: https://www.sozialversicherung.at/portal27/portal/auvaportal/content/contentWindow?&contentid=10008.544753&action=b&cacheability=PAGE (abgerufen am 16.06.2017)

[9] Statistik Austria (2022). Online verfügbar unter: Straßenverkehrsunfälle 2021 (statistik.at) [abgerufen am 27.10.2022].

[10] Stefan, C., Risser, A., Fessl, T., Gatscha, M. & Weissensteiner, W. (2008). In-Depth Analysis of Fatalities. Tiefenanalyse tödlicher Verkehrsunfälle. Forschungsarbeiten aus dem Verkehrswesen, Band 176. Wien: Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie. 

[11] Steinberg, L. (2008). A Social Neuroscience Perspective on Adolescent Risk-Taking. Developmental Review, 28 (1): p. 78-106. DOI:10.1016/j.dr.2007.08.002

[12] Torner, F. & Schützhofer, B. (2010). Müdigkeit am Steuer. Posterpräsentation auf dem 6. gemeinsamen Symposium der deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin E.V. (DGVM) und der deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie E.V. (DGVP) in Tübingen.  

[13] Uhr, A. (2015): Entwicklungspsychologische Grundlagen. Überblick und Bedeutung für die Verkehrssicherheit. Bern: bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung, bfu-Grundlagen.

[14] Luna, B., Tholborn, K.R., Munoz, D.P., Merriam, E.P., Garver, K.E., Minshew, N.J., Keshavan, M.S., Genovese, C.R., Eddy, W.F. & Sweeney, J.A. (2001). Maturation of Widely Distributed Brain Function Subserves Cognitive Development. NeuroImage 13, p. 786–793. DOI: 10.1006/nimg.2000.0743

[15] Walzl, M., Hagen, R. & Prummer, K. (2007). Pupillometrische Untersuchungen auf Schläfrigkeit bei Berufskraftfahrern. Zentralblatt für Arbeitsmedizin, 57, S. 349–364.

Zusammenfassung

Unfälle im Straßenverkehr sind unter Jugendlichen besonders häufig. Das trafficsafety4you-Präventionsprogramm wurde speziell für diese Zielgruppe entwickelt. Es ist aus Modulen zu jugendtypischen Unfallursachen aufgebaut, die von Verkehrspsychologen:-psychologinnen in Anwesenheit der Klassenlehrer:innen im Rahmen des Unterrichts durchgeführt werden. Anlässlich des Präventionsschwerpunktes „Komm gut an!“ wurde das Programm durch ein Modul zu Müdigkeit und Fahrtüchtigkeit erweitert. 


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