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Ergonomie

Die „Iron Hand“: Assistenz­system der Zukunft?

In einer Pilotstudie wurde untersucht, ob das Tragen eines aktiven Exoskeletts mit dem Namen „Iron Hand“ in einem bestimmten Firmen-Use-Case bei manuellen Tätigkeiten zur Entlastung der Ober- und Unterarm­muskulatur führen kann.

Ein Arbeiter mit verschiedenen aufgeklebten Geräten montiert eine Schraubzwinge
© Norbert Lechner

Bei der Firma Collini in Hohenems wurde im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung physischer Belastungen bei den Aufspannstationen im Werk ANC der Bedarf an Maßnahmen zur Entlastung der Mitarbeiter:innen erkannt. An diesen Arbeitsplätzen müssen Metallprofile aufgespannt werden. Hierbei kommen Zwingen und Klammern zum Einsatz, deren Handhabung erhöhten Muskelkraftaufwand erfordert und zu einer Beanspruchung des Handgelenks führt. Aus diesem Grund entstand die Idee, die Auswirkung eines Assistenzsystems auf die Beanspruchung der Mitarbeiter:innen zu untersuchen.

Die an der Aufspannstation der Firma Collini eingesetzte „Iron Hand“ ist ein Handschuh, der mit künstlichen Sehnen und Drucksensoren im Bereich der Fingerkuppen ausgestattet ist. Installierte Servomotoren lösen bei haptischem Kontakt mit einem Objekt zusätzliche Kraftunterstützung beim Greifen aus. Aufgrund des motorischen Antriebs gilt er als sogenanntes „aktives Exoskelett“.

Ziel der Studie und Fragestellungen

Ein spezieller Fokus der Studie lag auf der Untersuchung von potenziell niedrigeren muskulären Spannungen. Das elektrische Aktivitätspotenzial der Muskulatur (im Sinne der Muskelaktivität, über die man auf die Beanspruchung rückschließen kann) wurde mittels Oberflächen-Elektromyographie (EMG) erfasst. EMG ist ein neurophysiologisches Diagnoseverfahren zur Analyse der ausgestrahlten elektrischen Signale von Muskeln. Die Kontraktion der Muskulatur wird mithilfe dieser elektrischen Signale gesteuert. Ziel dieser Studie war es vor allem, die mögliche Entlastung und folgende Auswirkung auf das muskuläre System zu betrachten, und nicht die Bewegungen per se. Die Fragestellungen waren:

  • Kommt es durch das Tragen des Assistenzsystems zur allgemeinen Entlastung der Mitarbeiter:innen?
  • Kommt es durch das Exoskelett zu einer reduzierten Beanspruchung von den an der Tätigkeit beteiligten Unter- und Oberarmmuskeln (Auswahl siehe Studiendesign)?

Studiendesign

Als Studienart wurde eine Pilotstudie mit 10 Probanden:Probandinnen gewählt. Die Tätigkeiten wurden in zwei Messdurchgängen jeweils mit und ohne Assistenzsystem erfasst. Die Dauer der Aufgaben war durch den Versuchsaufbau festgelegt und lag bei 10 Minuten. Es wurden via EMG physiologische Messungen der muskulären Anspannung bzw. Muskelaktivität vorgenommen und die Aktivitäten von 5 Muskeln bzw. Muskelgruppen (M. deltoideus pars clavicularis, M. biceps brachii, M. extensor digitorum, M. flexor digitorum, M. flexor carpi ulnaris) gemessen. Drahtlose Sensoren für die Oberflächen-Elektromyographie (TEA CAPTIV T-Sens EMG, TEAERGO, Frankreich) und Ag/AgCl-Oberflächenelektroden (Triode Electrodes T3402M, ThoughtTech, Kanada) wurden zur Aufzeichnung verwendet. Die Elektroden wurden bilateral positioniert, in Übereinstimmung mit den SENIAM-Empfehlungen mit standardmäßigem Elektrodenabstand von zwei Zentimetern zwischen den Elektroden (Hermens & Frekis 1999; Gao et al. 2020; Larochelle et al., 2009).

ein Arm mit Elektroden
Elektrodenplatzierung am Beispiel des M. flexor carpi ulnaris © Norbert Lechner.
Diagramm zeigt den Unterschied der Auswirkungen auf die verschiedenen Muskeln mit bzw. ohne Iron Hand. Details im Text

Datenanalyse

Nach den Messungen wurden die Rohdaten in dem Statistikprogramm MATLAB interpretiert. Für die Datenauswertung wurden folgende drei Auswertungskriterien festgelegt: mittlere Amplitude, Integral und maximale Amplitude. Anhand dieser drei Parameter wurden die EMG-Daten von allen Testpersonen und allen Muskeln analysiert und verglichen.

Ergebnisse und Diskussion

Vergleicht man die Daten der Pilotstudie, fällt auf, dass insbesondere der M. extensor digitorum, jener Muskel, der beim Öffnen und Schließen angesteuert wird, durch die „Iron Hand“ eine geringere mittlere Aktivität aufweist. Das Integral gibt Aufschluss über die Höhe und Dauer der Muskelspannung, hier zeigt sich ebenso eine reduzierte Spannung beim Einsatz der „Iron Hand“. Vergleicht man dieses Ergebnis mit den Daten der anderen Probanden:Probandinnen, kann das Ergebnis auf 8 von 10 Fällen übertragen werden. Das ist ein bemerkenswerter und reproduzierbarer Effekt. Der M. extensor digitorum wird mit der „Iron Hand“ weniger beansprucht.

Interessant war auch das Verhalten des M. deltoideus clavicularis. Auch hier zeigten sich bei 7 von 10 Personen positive Effekte durch den Einsatz der „Iron Hand“. Abschließend ist zu erwähnen, dass bei den Probanden:Probandinnen 2 bis 6 mehr als die Hälfte aller Muskeln, sowohl im Mittel als auch im Maximalwert, mit der „Iron Hand“ weniger oder zumindest gleich aktiviert waren wie ohne. Langzeitauswirkungen sind aus dieser Studie nicht abzuleiten.

Zusammenfassung

Die Pilotstudie zeigt, dass die „Iron Hand“ eine deutliche Entlastung bei der untersuchten Tätigkeit bringt. Dennoch darf man nicht vergessen, dass die Anzahl der Probanden:Probandinnen gering war und individuelle Einflüsse daher eine starke Rolle spielen. Zusätzlich ist es bei derartigen Messungen mit kleiner Anzahl von Probanden:Probandinnen auch wichtig, auf das subjektive Empfinden der Probanden:Probandinnen zu hören, die in diesem Fall eine deutliche Erleichterung fühlen konnten. Langzeitauswirkungen sind aus dieser Studie nicht abzuleiten.


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