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Komm gut an! – Innerbetrieblicher Verkehr

Virtuelle Stapler-Schulung

Kollisionen mit Staplern zählen zu den häufigsten Unfällen im innerbetrieblichen Verkehr. Ob und wie sich Simulatoren als Ergänzung des herkömmlichen Trainings am Gerät eignen, hat sich SICHERE ARBEIT beispielhaft anhand der Entwicklung eines Virtual-Reality-(VR-)Simulators angesehen.

eine Gabelstaplerfahrerin in einer Halle
© Adobe Stock / Halfpoint

Der Bedarf an Schulungen für Staplerfahrer:innen ist angesichts der hohen Unfallzahlen groß. Allerdings benötigt man für das Staplertraining viel Zeit, muss die entsprechende Fläche in der Werks- bzw. Lagerhalle zur Verfügung stellen und mögliche Schäden durch Kollisionen einkalkulieren. Das Üben mit einem „echten“ Stapler lässt sich durch ein Simulatortraining nicht ersetzen, aber mit diesem kombinieren.

Soll nun ein Simulator zu Schulungs- und Trainingszwecken verwendet werden, dann ist darauf zu achten, dass die virtuelle Staplerfahrt möglichst realistisch wirkt. Wichtig ist zudem, dass das VR-Schulungskonzept Aspekte des Arbeitnehmer:innenschutzes – wie Personen im Fahrweg – mitberücksichtigt. Bis ein Stapler-Simulator als Schulungsgerät sinnvoll einsetzbar ist, sind viele Entwicklungsschritte erforderlich. Bei der pool3 GmbH – Technische Animationen & VR-Systeme hat es sieben Jahre bis zur Marktreife gedauert – und die Stapler-Simulatoren werden weiterhin laufend an den technischen Fortschritt angepasst.

Vom Spiel zum Simulator

„Wir definieren uns als 3-D-Medienstudio. Unsere Tätigkeitsfelder sind Servicetrainings, Trainings mit Learning-Management-Systemen (LMS) und mit Virtual-Reality-Simulatoren“, so Ing. Klaus C. Stöttner, BSc Inhaber und Geschäftsführer von pool3. Wie es zur Entwicklung des Stapler-Simulators kam, beschreibt Stöttner wie folgt: „2013 haben wir für den Staplerhersteller Jungheinrich ein Tablet-Spiel mit verschiedenen Spielszenarien für Stapler entwickelt, darunter ein Szenario mit einem Fahrer:innen-Assistenzsystem, das Personen erkennt und so Kollisionen verhindert.“ In einem weiteren Schritt wurde das Spiel mit einer VR-Brille kombiniert. Diese Version war als reine Messeanwendung gedacht und wurde erstmalig 2014 auf der CeMAT präsentiert.

Da auch diese Anwendung von einer realitätsnahen Simulation noch weit entfernt war, wurde ein Prototyp mit Fahrerplatz und originalen Stapler-Bedienelementen gebaut. Der Simulator konnte durch Bewegungen des Geräts die Beschleunigung beim Anfahren und den Ruck bei einer Kollision spürbar machen. Der Prototyp wurde 2017 fertiggestellt und ebenfalls auf Messen vorgeführt.

Dass der Simulator zwei Jahre später Marktreife erlangte, war einer Kooperation mit Jungheinrich zu verdanken. Für das Projekt gründete Stöttner eine eigene Firma, die Sevensim GmbH, welche die Entwicklung und Fertigung der VR-Komponenten übernahm. Seit 2019 ist der Stapler-Simulator als Serienprodukt erhältlich. „Das Gefühl, einen echten Stapler zu fahren, ist auf den Simulator übertragen worden“, so Stöttner.

Herausforderungen

Rückblickend waren zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen, bevor der Simulator für Schulungs- und Trainingszwecke eingesetzt werden konnte. Da es wichtig ist, immer auf dem aktuellen Stand der Technik zu bleiben, muss die Software so konzipiert sein, dass sie auch mit neuen Hardware-Komponenten – etwa im Bereich der sich schnell entwickelnden VR-Technologie – reibungslos funktioniert. Auch die Integration der Steuerungselemente in Echtzeit stellt hohe Anforderungen an die Software.

Das technisch komplexe Produkt sollte in der Anwendung möglichst einfach sein. Der Simulator von pool3 überträgt Updates automatisch über das Internet. Benutzer:innen werden vom System darüber informiert, dass eine neue Version installiert worden ist, und welche geänderten oder zusätzlichen Funktionen diese aufweist. Für ein authentisches Gefühl beim Steuern wurde der Simulator mit originalen Stapler-Bedienelementen ausgestattet.

Digital Motion Sickness

Eine Herausforderung, mit der alle Hersteller:innen von Anwendungen mit VR-Technologie zu kämpfen haben, ist die Verhinderung von Digital Motion Sickness. Diese entsteht, wenn die Wahrnehmung der visuellen Eindrücke nicht mit den tatsächlichen Bewegungen des Körpers übereinstimmt. Typische Symptome sind Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit. Dies sollte beim Einsatz von VR-Technologie für Schulungs- und Trainingszwecke bedacht werden. Schätzungen zufolge sind rund 20 Prozent der Nutzer:innen von VR-Anwendungen in unterschiedlichem Ausmaß von Digital Motion Sickness betroffen. Allerdings beobachten einige Nutzer:innen eine Art „Gewöhnungseffekt“: Symptome, die bei der ersten virtuellen Staplerfahrt aufgetreten sind, werden bei wiederholtem Training mit dem Simulator immer schwächer.

Virtuelle Trainingssituation für einen Gabelstaplerfahrer, der Mann mit virtuellem Helm dreht den Kopf und übt das Reversieren; davor zwei Monitore
Viele Unfälle passieren beim Rückwärtsfahren. Bei virtuellen Kollisionen erhalten Trainierende sofort eine Rückmeldung und können ihren Fahrstil entsprechend korrigieren. © R. Pexa

Je besser die virtuelle Realität und das Körpergefühl zusammenpassen, umso weniger Missempfindungen treten auf. Der pool3-Stapler-Simulator versucht, Fliehkräfte, Kurvenlage und Verzögerungen mit bis zu sieben Bewegungsachsen so realistisch wie möglich erscheinen zu lassen. Zwei Lüfter imitieren den Fahrtwind, der in Kurven stärker zu spüren ist. Wer trotzdem unter Digital Motion Sickness leidet, kann von der 3-D-Simulation mit VR-Brille auf eine 2-D-Simula­tion am Monitor wechseln.

Anwendungen

Der Anwendungsbereich für den Simulator hat sich laut Stöttner in den vergangenen vier Jahren deutlich erweitert. So wurde etwa für Großkunden deren eigenes Lager virtuell nachgebildet. Teilweise absolviert auch das Lagerpersonal Trainingseinheiten am Simulator, um die innerbetriebliche Verkehrssituation aus der Sicht der Staplerfahrer:innen erleben zu können und dadurch für Gefahren sensibilisiert zu werden. Für Hersteller von Flurförderfahrzeugen entwickelte pool3 Simulatoren für verschiedene Fahrzeugtypen.

Derzeit wird daran gearbeitet, in die Simulationsszenarien Blendeffekte, Kreuzungssituationen, Außenbereiche, Rampenfahrten sowie das Be- und Entladen eines Lkw einzubauen. Die Idee eines Kunden, ein spezielles Szenario für die jährliche Sicherheitsunterweisung zu erstellen, wird ebenfalls umgesetzt. Eine Sicherheitsunterweisung mit Simulator hätte den Vorteil, dass man die virtuelle Fahrt leicht dokumentieren und bei Bedarf bestimmte Situationen am echten Fahrzeug wiederholen kann.

eine Computersimulation eines Stablers, der am Strom hängt
Visualisierung des Lade- vorgangs eines Elektrostaplers beim Projekt StaTrainXR von Mindconsole. © Mindconsole GmbH

Aspekte des Arbeitnehmer:innenschutzes

Mittlerweile berücksichtigt das VR-Schulungskonzept des ­Stapler-Simulators auch aus Sicht des Arbeitnehmer:innenschutzes wichtige Aspekte wie den toten Winkel oder Personen im Fahrweg. Der Simulator wurde zudem mit dem sogenannten Eyetracking, also einer Blickfeldanalyse, kombiniert. Dazu zeichnen in die VR-Brille integrierte Kameras die Pupillenbewegungen der Nutzer:innen auf, die anschließend analysiert werden.

Anhand der Aufzeichnungen der Augenbewegungen lässt sich erkennen, ob die Nutzer:innen Gefahrenstellen im Blick haben und daher rechtzeitig reagieren können. Das gibt nicht nur der Person, deren Pupillenbewegungen aufgezeichnet worden sind, ein wertvolles Feedback, sondern ermöglicht auch anderen Beschäftigten, die Arbeitsumgebung mit den Augen der Staplerfahrer:innen zu sehen. So wird z. B. Personen, die im Lager arbeiten, klar, wie sie sich im innerbetrieblichen Verkehr verhalten sollen, damit Staplerfahrer:innen sie besser sehen können.

Schulung und Training

Beim Simulatortraining kann zwischen verschiedenen Schwierigkeitsstufen gewählt werden. Zu Beginn übt man die grundlegenden Funktionen wie Vorwärts- und Rückwärtsfahrt, Heben, Senken und Neigen der Gabel. Beherrschen die Benutzer:innen diese Fertigkeiten, erhalten sie komplexere Aufgabenstellungen – etwa, eine Palette aufzunehmen, den Stapler durch die Regalreihen zu manövrieren und ein Paket auf die Palette zu laden. Bei virtuellen Kollisionen erhalten Trainierende sofort eine Rückmeldung und können ihren Fahrstil entsprechend korrigieren. Am Ende der Übungseinheit werden Informationen zu gefährlichen Fehlern und nicht (richtig) ausgeführten Aufgaben eingeblendet.

Ein Mann sieht zu wie ein zweiter Mann mit virtueller Brille in einem Simulator übt
Bei virtuellen Kollisionen erhalten Trainierende beim Pool3 Stapler­simulator sofort eine Rückmeldung und können ihren Fahrstil entsprechend korrigieren. © R. Pexa

StaTrainXR von Mindconsole

Einen anderen Schwerpunkt setzt das von der AK Wien geförderte Projekt StaTrainXR der Grazer Mindconsole GmbH, die digitalen Content in den Bereichen Film, Animation und Extended Reality (XR) entwickelt. Das Projekt verfolgt das Ziel, Klein- und Mittelbetrieben sowie Weiterbildungseinrichtungen ein kostengünstiges, mehrsprachiges Trainingstool für die sichere Bedienung von Flurförderfahrzeugen zur Verfügung zu stellen. Am Projekt beteiligt sind die Produktionsgewerkschaft PRO-GE als Projektleiterin und das Berufsförderungsinstitut Wien der AK und des ÖGB (BFI), das die Ausbildungsinhalte einbringt.

Portraitbild Sebastian Egger-Lampl
Sebastian Egger-Lampl © Mindconsole GmbH

„StaTrainXR ist kein Fahrsimulator für Flurförderfahrzeuge, sondern eine mobile Lösung, die sich auf die Vermittlung von Praxiswissen und Handlungskompetenz zu Themen der Arbeits- und Betriebsmittelsicherheit sowie der Aware­ness für die Gefahren im Fahrbetrieb konzentriert“, so Dr. techn. Sebastian Egger-Lampl, Head of Research bei Mindconsole. Nach Abschluss des Projekts können die StaTrainXR-Headsets über PRO-GE an Betriebe verliehen und vom BFI in der Staplerausbildung verwendet werden.

Das erste Modul ist insbesondere für Staplerfahrer:innen gedacht, die eine andere Erstsprache als Deutsch haben. Die wichtigsten Begrifflichkeiten im Staplerbetrieb werden visuell und in der jeweiligen Sprache der Trainierenden – derzeit neben Deutsch auch Englisch, Türkisch und Bosnisch / Kroatisch / Serbisch – erklärt, um eine Basis für die Verständigung zu schaffen. Fehlt diese, kann es am Arbeitsplatz aufgrund von Missverständnissen zu gefährlichen Situationen kommen.

Im zweiten Modul nimmt der:die Trainierende den Stapler virtuell in Betrieb und erhält Arbeitsaufträge – etwa, eine Palette von Ort A zu Ort B zu bringen. Beim Abarbeiten der Aufträge müssen sicherheitskritische Situationen gemeistert werden. Fahrfehler, die einen virtuellen Unfall zur Folge haben, können im Anschluss durch Wiederholen der Situation und einen erneuten Versuch korrigiert werden, um die richtige Handlungsweise zu internalisieren.

Fazit: Chancen und Grenzen im Einsatz

Peter Schwaighofer, BSc vom Fachbereich Verkehrs­sicher­heit in der AUVA-Hauptstelle sieht den größten Vorteil des Einsatzes von Simulatoren und Trainings­tools darin, dass auch schwierige Situationen gefahrlos geübt werden können. Derartige Simulatoren stellen eine sinnvolle Ergänzung zum Training mit echten Staplern dar. Es gibt jedoch auch Grenzen. Ein Simulator kann zu Schulungszwecken zusätzlich verwendet werden, ersetzt aber keinesfalls eine praktische Übung und das persönliche Gespräch im Rahmen der Unterweisung.

Hinsichtlich der Unterweisung muss grundsätzlich beachtet werden, dass computerunterstützte (digitale) Unterweisungen, zu denen auch jene mit VR-Simulationen zählen, nur als wiederkehrende allgemeine Unterweisungen sowie als ergänzendes Element zur persönlichen Unterweisung geeignet sind, nicht jedoch für Erstunterweisungen. Bei ersten bzw. arbeitsplatzspezifischen Unterweisungen ist es wichtig, dass auf den individuellen Kenntnisstand eingegangen wird, Fragen der Unterwiesenen beantwortet sowie etwaige Missverständnisse ausgeräumt werden, und dass eine Überprüfung stattfindet, ob die Unterweisung verstanden worden ist. Das ist nur in persönlichem Kontakt möglich. Dies regelt unter anderem ein Erlass des Zentral-Arbeitsinspektorats zur „elektronischen Unterweisung“.

Elektronische Unterweisung

Laut einem Erlass des Arbeitsinspektorats aus dem Jahr 2010 ist für die erste Unterweisung bei einer neuen Tätigkeit die elektronische Unterweisung nicht ausreichend. Die persönliche Unterweisung vor Ort, zum Beispiel an Maschinen oder Fahrzeugen, darf nicht wegfallen. Auch wiederkehrende arbeitsplatzspezifische Unterweisungen dürfen nicht rein elektronisch erfolgen. Genauere Informationen dazu finden Sie im Artikel „Unter­weisung – geht das auch digital?“ auf unserem AUVA-Blog unter: sichereswissen.info/unterweisung-digital/

Zusammenfassung

Schulungen für Staplerfahrer:innen lassen sich durch Stapler-Simulatoren und virtuelle Trainingstools sinnvoll ergänzen. Sie ermöglichen eine gefahrlose „Spielwiese“. Eine VR-Brille, originale Stapler-Bedienelemente und ein Fahrerplatz, der die Bewegungen des virtuellen Fahrzeugs simuliert, können ein authentisches Fahrerlebnis vermitteln. Wichtig zu beachten bleiben die gesetzlichen Einschränkungen zur elektronischen Unterweisung gemäß dem Erlass des Zentral-Arbeitsinspektorats.


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