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Digitalisierung

Künstliche Intelligenz und Robotik am Arbeitsplatz

Auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Systeme und fortschrittliche Robotik verändern in zahlreichen Branchen den Arbeitsalltag. Das bringt neue Chancen für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten, aber auch Risiken. Die europäische Digitalisierungskampagne zeigt auf, wie Unternehmen die digitale Transformation meistern können.

ein Mann steuert einen Roboterarm, der ein Stück Stoff anhebt
© Adobe Stock / tunedin

Digitale Technologien, von Telearbeit über fortschrittliche Robotik bis zu den verschiedenen Einsatzbereichen künstlicher Intelligenz, sind aus dem Arbeitsleben nicht mehr wegzudenken. Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) widmet ihre aktuelle Kampagne 2023 bis 2025 daher dem Thema „Sicher und gesund arbeiten in Zeiten der Digitalisierung“, der sich die AUVA mit ihrer Digitalisierungskampagne angeschlossen hat.

Dr.-Ing. Sascha Wischniewski, Leiter der Fachgruppe „Human Factors, Ergonomie“ der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), befasst sich im Rahmen der europäischen Digitalisierungskampagne mit dem Schwerpunkt fortschrittliche Robotik und künstliche Intelligenz. Unternehmen sollen dabei unterstützt werden, die Möglichkeiten zu nutzen, die sich durch die neuen Technologien für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz bieten, ohne die Gefahren zu übersehen. „Es geht darum, Lösungen aufzuzeigen, für Vernetzung zu sorgen. Kleine und mittlere Unternehmen müssen nicht alles selbst erarbeiten“, so Wischniewski.

© Uwe Völkner, Fotoagentur FOX

Klassifikation von Technologien

Zur Einordnung der am Arbeitsplatz verwendeten Technologien und der Auswirkungen ihres Einsatzes hat die BAuA für die EU-OSHA ein Klassifikationsschema mit mehreren Kategorien erstellt. Bezüglich der Software kann zwischen „nur“ komplexen Programmen und KI-basierten Anwendungen unterschieden werden. Welche Hardware benötigt wird, hängt davon ab, ob physische oder kognitive Aufgaben erledigt werden sollen. Im ersten Fall ist fortschrittliche Robotik gefragt, im zweiten braucht man smarte Informations- und Kommunikationstechnologien.

Die Art der Aufgaben lässt sich auch hinsichtlich des Arbeitsgegenstands unterscheiden. Personenbezogene Tätigkeiten findet man z. B. in der Pflege oder der Bildung, objektbezogene eher in der Produktion. Auch der Neuigkeitsgrad bzw. der Routinegrad einer Aufgabe sind relevante Kriterien.

Ein weiteres Aufgabencharakteristikum ist, ob die jeweilige Technologie dem Menschen assistiert oder ob sie ihn ersetzt. Von Koexistenz spricht man, wenn die von Mensch und Roboter ausgeübten Tätigkeiten strikt getrennt sind. Bei der Kooperation arbeiten Mensch und Roboter abwechselnd beispielsweise am selben Bauteil, während bei der Kollaboration eine Aufgabe räumlich und zeitlich gemeinsam durchgeführt wird. Wischniewski nennt ein Beispiel: „Ein Roboter hebt eine schwere Last, wobei ihn der Mensch führt, etwa in der Automobilindustrie beim Einsetzen einer Autobatterie.“

Bei der Klassifikation der Auswirkungen neuer Technologien auf Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit nimmt Wischniewski eine Einteilung in drei Dimensionen vor. Auf der organisatorischen Ebene wird der Wandel von Arbeitsabläufen durch die Einführung fortschrittlicher Robotik bzw. KI-basierter Systeme betrachtet. Die physische Ebene umfasst die Veränderung körperlicher Belastungen, die psychosoziale Ebene betrifft psychische Faktoren wie Stress und das soziale Miteinander im Unternehmen.

Transformation von Berufen

Welche Änderungen sich durch den Einsatz fortschrittlicher Robotik und KI-basierter Systeme ergeben, unterscheidet sich je nach Branche und Tätigkeit. Die Transformation von Berufen durch Technologien sei nicht neu, betont Wischniewski: „Schon seit Jahrzehnten werden Tätigkeiten automatisiert. Die Technologie übernimmt einzelne Aufgaben, aber in der Regel nicht den ganzen Job.“

Der Unterschied zu früher besteht darin, dass in der Vergangenheit weniger Branchen betroffen waren, da nur physische Aufgaben automatisiert wurden – jetzt ist das auch bei kognitiven möglich. Mit welchen Auswirkungen der Digitalisierung man am eigenen Arbeitsplatz rechnen muss, hängt davon ab, wie hoch das Automatisierungspotenzial ist. Wenn man mehrere unterschiedliche Tätigkeiten ausübt, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, von umfassenden Änderungen betroffen zu sein.

ein Mann im Anzug mit einem Tablet beobachtet eine komplexe Maschine
In der Transformation von Berufen übernehmen neue Technologien einzelne Aufgaben, aber in der Regel nicht den ganzen Job. Früher wurden nur physische Aufgaben automatisiert – jetzt ist das auch bei kognitiven möglich. © Adobe Stock / tunedin

Belastungsreduktion

Einer der am häufigsten genannten Vorteile fortschrittlicher Robotik und KI aus ökonomischer Sicht ist Zeitersparnis. Wird dadurch die Anzahl der Stunden reduziert, die Arbeitnehmer:innen mit körperlich oder kognitiv belastenden Tätigkeiten verbringen, wirkt sich das auch auf Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz positiv aus. Dieser Effekt kann sich jedoch ins Gegenteil verkehren, falls dafür zusätzliche Aufgaben übernommen werden müssen, die eine ebenso hohe oder sogar eine höhere Belastung darstellen.

Einen Gewinn für den Arbeitnehmer:innenschutz stellt Automatisierung vor allem dann dar, wenn besonders unfallträchtige Aufgaben von Robotern übernommen werden oder wenn Beschäftigte nicht mehr in einer gefährlichen Arbeitsumgebung tätig sein müssen. So können etwa Lawinen durch den Einsatz von Drohnen gesprengt werden, ohne dass Personen den Sprengstoff auf dem Lawinenfeld platzieren müssen. Der Kontakt mit giftigen und krebserzeugenden Stoffen in der Metallverarbeitung lässt sich z. B. durch automatisierte Abläufe in einer gekapselten Anlage vermeiden.

Höherwertige Aufgaben

Diese Beispiele zeigen einen typischen Effekt der Automatisierung: Es ergibt sich eine Verschiebung von physischen zu kognitiven Tätigkeiten, was die Beherrschung anderer Fertigkeiten voraussetzt. „Die Mitarbeiter:innen werden weiter qualifiziert und erhalten höherwertige Aufgaben, etwa in der Qualitätskontrolle“, beschreibt Wischniewski den Idealfall. Dieser setzt allerdings voraus, dass der:die Arbeitgeber:in bereit ist, in die Umschulung der Beschäftigten zu investieren, und dass die Arbeitnehmer:innen gewillt und auch in der Lage sind, sich die erforderlichen Skills anzueignen.

In der Praxis stehen die Beschäftigten oft vor der Herausforderung, sich in kurzer Zeit die benötigten Fertigkeiten anzueignen und ihre Arbeitsroutinen anzupassen. Wem es nicht gelingt, sich für die neuen Aufgaben zu qualifizieren, der ist von Arbeitsplatzverlust bedroht. Das gilt auch, wenn durch die Automatisierung insgesamt weniger Beschäftigte gebraucht werden bzw. externe Fachkräfte die Wartung der neuen digitalen Systeme übernehmen. Die Angst, den Job zu verlieren, stellt eine hohe psychische Belastung für die betroffenen Mitarbeiter:innen dar und beeinträchtigt deren Motivation sowie das Arbeitsklima.

Nicht alle Jobs, die durch Automatisierung neu geschaffen werden, bedeuten für die Beschäftigten ein „Upskilling“, also eine Höherqualifizierung. Wischniewski weist darauf hin, dass in gewissen Fällen auch ein „Deskilling“ erfolgen kann: Arbeitsuchende sehen sich gezwungen, Jobs anzunehmen, die unter ihrem Qualifikationsniveau liegen. Derartige Jobs entstehen beispielsweise im Zuge der Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Damit Bilder als Trainingsmaterial für eine KI verwendet werden können, müssen sie manuell etikettiert werden – das heißt, ein:e Mitarbeiter:in klickt jedes Bild an, auf dem ein bestimmtes Objekt zu sehen ist.

ein Mann mit Arbeitskleidung mit einem Tablet beobachtet Roboterarme, die Autos zusammenbauen
Die Verschiebung von physischen zu kognitiven Tätig­keiten ist ein typischer Effekt der Automatisierung: Mitarbeiter:innen werden weiter qualifiziert und erhalten höherwertige Aufgaben, etwa in der Qualitätskontrolle. Dazu muss aber der:die Arbeitgeber:in © Adobe Stock / Gorodenkoff

Vertrauen und Kontrolle

Werden maschinell lernende Algorithmen mittels großer Datenmengen trainiert, sind sie im Erkennen von Mustern dem Menschen ebenbürtig bzw. sogar überlegen. Das zeigt sich vor allem in der Medizin, wenn etwa auf Röntgenbildern oder Auflichtmikroskop-Aufnahmen der Haut bösartige Tumoren identifiziert werden sollen. Diese KI-Anwendung bedeutet nicht nur eine wertvolle Unterstützung für den:die Arzt:Ärztin bei der Diagnose, sondern trägt auch dazu bei, Leben zu retten.

In allen Fällen, in denen KI-Systeme eine Vorauswahl treffen, bleibt die Qualitätskontrolle und damit die letztendliche Entscheidung dem Menschen vorbehalten. Stimmt das von der KI gelieferte Ergebnis mit der Beurteilung durch den Menschen überein, kann ihm das mehr Sicherheit geben. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass sich der:die Entscheidende, insbesondere unter Zeitdruck, zu sehr auf die künstliche Intelligenz verlässt. Mögliche negative Auswirkungen dieses sogenannten Übervertrauens sind eine Vernachlässigung der Kontrolle und längerfristig ein Verlust von Kompetenzen.

Aber auch das Gegenteil von hohem Vertrauen ist schädlich. Wer sich – oft nicht ohne Grund – von einer KI überwacht fühlt oder Bedenken hat, was die Verwendung der vom System gesammelten Daten betrifft, wird voraussichtlich eine geringere Arbeitszufriedenheit aufweisen. Das gilt auch für Beschäftigte, die mit Automatisierung konfrontiert sind, aber technischen Neuerungen generell skeptisch gegenüberstehen. Diese Haltung führt unter Umständen dazu, dass die neu eingeführten Technologien nur zum Teil oder falsch genutzt werden. Dadurch kommen die Vorteile, die die Automatisierung bietet, nicht zur Gänze zum Tragen, schlimmstenfalls entstehen Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz.

Tipps für Unternehmen

Um diese Risiken zu vermeiden, sollten Arbeitgeber:innen die Automatisierung von Anfang an mit geeigneten Maßnahmen begleiten. Wischniewski plädiert für eine frühzeitige Einbindung und Schulung der Beschäftigten: „Partizipation ist wichtig, denn die Mitarbeiter:innen sind Experten:Expertinnen für ihre Jobs. Wenn es bei der Einführung neuer Technologien nur um die Steigerung der Produktivität geht, rächt sich das schnell.“ Während der Umstellungsphase sei eine klare, direkte Kommunikation besonders wichtig.

In der Systementwicklung sollten die Prinzipien des Interaktionsdesigns zur Anwendung kommen. Dazu zählen Transparenz, Fehlertoleranz, Individualisierbarkeit sowie Selbstbeschreibungsfähigkeit, damit die Arbeitnehmer:innen die Funktionsweise des Systems verstehen. Ein wesentliches Kriterium, um Fehlbedienungen zu vermeiden, ist Erwartungskonformität. So rechnet der:die Benutzer:in z. B. damit, dass auch im virtuellen Raum nach oben „mehr“ und nach unter „weniger“ bedeutet. Die Kontrolle durch den Menschen muss immer gewährleistet sein.

Im Zuge der Automatisierung sind bereits während der Planung Arbeitsschutz- und Gesundheitsaspekte zu berücksichtigen. Eine sorgfältige Evaluierung der Risiken kann dazu beitragen, auch gegenüber technischen Neuerungen skeptisch eingestellten Mitarbeitern:Mitarbeiterinnen die Angst zu nehmen. Unterstützend wirken auch besonders technologieaffine Beschäftigte, die als Ansprechpersonen für ihre Kollegen:Kolleginnen fungieren.

Fallstudie zu kolla­borativen Robotern

In einem dreijährigen Forschungsprojekt befasste sich die BAuA im Auftrag der EU-OSHA mit den Auswirkungen von robotischen und KI-basierten Systemen am Arbeitsplatz. Sie führte europaweit elf Fallstudien durch, aus denen sie Empfehlungen ableitete.

Eine der Fallstudien untersuchte den Einsatz eines kollaborativen Roboters in einem Zulieferbetrieb für die Automobilindustrie. Die Anzahl der wiederholten Bewegungen und Hebevorgänge konnte reduziert werden, was die Belastung für den Bewegungs- und Stützapparat der Beschäftigten verringerte.

Die bei einigen Arbeitnehmern:Arbeitnehmerinnen anfangs vorhandene Skepsis nahm im Lauf der Zeit ab, wobei vor allem die persönliche Erfahrung mit dem Roboter die Akzeptanz erhöhte.

Die Arbeitsabläufe änderten sich, die Mitarbeiter:innen erledigten mehr Nebenaufgaben. Sie erhielten die Möglichkeit, sich neue Fertigkeiten, etwa die Bedienung des kollaborativen Roboters, anzueignen. Eine Herausforderung stellte die Integration in die vorhandene Produktionslinie dar.

Die vom Unternehmen gesetzten ökonomischen Ziele und die Anforderungen an den Arbeitsschutz wurden erfüllt, die robotergestützte Assistenz soll fortgesetzt werden.

Zusammenfassung

KI-basierte Systeme und fortschrittliche Robotik bringen neue Chancen und Risiken für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Häufig findet eine Verschiebung von physischen zu kognitiven Tätigkeiten statt, für die in der Regel höher qualifizierte Beschäftigte benötigt werden. Damit die digitale Transformation gelingt, sollten Unternehmen ihre Mitarbeiter:innen von Anfang an mit einbeziehen.


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