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Arbeitsplatzgestaltung zur MSE-Prävention

Maschinenraum mit Rohren davor
Am Beispiel Schoeller Bleckmann: Im Richtmaschinenpark wurden nachträglich ergonomische Verbesserungen umgesetzt. SBER

Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) sind das häufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem in Europa. Bei der AUVA-Informationsveranstaltung „Packen wir’s an! Gestaltung von Arbeitsplätzen zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen“ am 30. September 2021 in Wien betonte Mag. Jan Pazourek, stellvertretender Generaldirektor der AUVA, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterschiedlichen Alters in verschiedensten Branchen davon betroffen sein können: „Da die MSE-Risiken z. B. am Bau völlig anders gelagert sind als bei der Bildschirmarbeit, ist es der AUVA wichtig, branchenspezifische Angebote zu machen und Faktoren wie Alter oder Geschlecht zu berücksichtigen.“

Die Informationsveranstaltung fand im Rahmen der aktuellen Kampagne der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) „Gesunde Arbeitsplätze – Entlasten Dich!“ statt, an der sich die AUVA mit ihrem Präventionsschwerpunkt 2021/22 „Packen wir’s an!“ beteiligt. Bei der Veranstaltung wurden Unterstützungsangebote der AUVA, Maßnahmen zum Schutz vor Muskel-Skelett-Erkrankungen und Good-Practice-Beispiele heimischer Unternehmen vorgestellt.

Anne Mück, MSc, und Mag. Markus Lombardini, beide von der AUVA-Landesstelle Wien, präsentierten das breite Angebot zum Präventionsschwerpunkt der AUVA, das Veranstaltungen, Betriebsberatungen sowie das Programm AUVAfit beinhaltet. Der Fokus liegt auf den Themen Lastenhandhabung, Bildschirmarbeit und Homeoffice sowie auf dem Einsatz neuer Technologien zur Analyse und Vermeidung von Belastungen für den Bewegungs- und Stützapparat.

Dazu kommen Fachseminare, etwa zu den neuen Leitmerkmalmethoden oder zum Arbeitsplatz Pkw, die auch als Inhouse-Veranstaltungen gebucht werden können, sowie Workshops, z. B. zum Heben und Tragen oder zur ergonomischen Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen. Seminare und Workshops werden während des MSE-Präventionsschwerpunkts um 50 Prozent vergünstigt angeboten, Webinare kostenlos. Auch Informationsmaterialien wie Folder, Merkblätter, Poster, Apps, Kurzfilme und YouTube-Videos widmen sich dem aktuellen Schwerpunktthema. „Gehen wir’s gemeinsam an! Nutzen Sie unser Angebot, kontaktieren Sie uns, wenn Sie Fragen haben“, forderte Mück die Teilnehmenden auf.

Aktivitäten des Arbeitsinspektorats

Auch das Arbeitsinspektorat hat sich der Kampagne der EU-OSHA angeschlossen. Mag. Martina Häckel-Bucher vom Zentral-Arbeitsinspektorat, die auch als Managerin des National Focal Point von EU-OSHA fungiert, der Schnittstelle zwischen EU-OSHA und Österreich, erklärte, warum die EU-OSHA MSE bereits zum dritten Mal in einer Kampagne thematisiert: „Arbeitsbedingte Muskel-Skelett-Erkrankungen gehören zu den Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeit und krankheitsbedingte Arbeitsausfälle. Fehlzeiten aufgrund von MSE machen eine hohen Anteil der Arbeitsunfähigkeitstage in der EU aus, sie verursachen erhebliche direkte und indirekte Kosten für Unternehmen und Volkswirtschaft.“

Welche Aktivitäten das Arbeitsinspektorat zur Prävention von MSE setzt, schilderte Mag. Julia Steurer, stellvertretende Leiterin der Abteilung für Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie des Zentral-Arbeitsinspektorats. Intern wurde im Sommer 2021 eine Weiterbildungsoffensive für Arbeitsinspektorinnen und Arbeitsinspektoren gestartet. Im Zuge eines betrieblichen Kontroll- und Beratungsschwerpunkts besuchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsinspektorate rund 460 Unternehmen, wobei die Beratungen anhand einer Checkliste durchgeführt werden. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Schutz junger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Rohre auf einem Holzgerüst
SBER
Mann mit Schutzanzug steht vor einem Rohr um es zu bearbeiten, das Rohr befindet sich auf angenehmer Körperhöhe
SBER

Schleifplatz vorher (links) und nachher (rechts): Die Schleifplätze bei SBER wurden mit einem pneumatischen System ausgestattet.

Belastungen bewerten

Dr. Vera Schellewald von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) referierte über die Prävention arbeitsbedingter MSE durch ergonomische Arbeitsplatzgestaltung. Mithilfe von körpergetragenen Sensoren des biomechanischen Messsystems CUELA wurden Belastungen des Bewegungs- und Stützapparats in unterschiedlichen Branchen und bei verschiedenen Tätigkeiten untersucht. Aus den so gewonnenen Daten leitete die DGUV Handlungsempfehlungen ab.

Die Bewertung und Gestaltung von Produktionsprozessen mittels EAWS und MTM war Thema des Vortrags von Dr. Steffen Rast von der Deutschen MTM-Gesellschaft mbH. Beim Methods Time Measurement MTM handelt es sich um einen international anerkannten Methodenstandard zur Beschreibung, Bewertung und Gestaltung menschlicher Arbeit. Die Kombination von Arbeitsablauf-Zeitanalyse und ergonomischer Analyse soll nicht nur die Produktivität steigern, sondern auch die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbessern. Das Ergonomic Assessment Worksheet EAWS dient dazu, die physischen Belastungen zu messen, um gezielt ergonomische Verbesserungsmaßnahmen setzen zu können.

Goldene Securitas

Wie es um die Ergonomie in österreichischen Kleinbetrieben bestellt ist, beschrieb AUVA-Kampagnenmanagerin Dr. Marie Jelenko. Einerseits seien Präventionsmaßnahmen in kleinen Betrieben organisatorisch und finanziell oft schwieriger umzusetzen, andererseits hätten KMU aufgrund ihrer Strukturen ein großes Potenzial für flexible und unkomplizierte, auf den jeweiligen Betrieb zugeschnittene Ideen und Lösungen. Jelenko stellte ausgewählte Betriebe vor, die für ihre ergonomischen Verbesserungen die Goldene Securitas, eine von AUVA und Wirtschaftskammer Österreich für vorbildliche Leistungen im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz verliehene Auszeichnung, erhalten hatten.

Die AUVA-Kampagnenmanagerin fasste die positive Wirkung der von den prämierten Betrieben gesetzten Maßnahmen zusammen: „Die Firmen berichten unter anderem, dass akute Rückenerkrankungen und körperliche Beschwerden zurückgegangen sind und die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestiegen ist. Nachwuchsprobleme sind gelöst worden, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lassen sich vielfältiger einsetzen.“

Sessel nach Maß

Langes Sitzen kann zu Beschwerden des Bewegungs- und Stützapparats führen. Um MSE zu vermeiden, muss der Bürosessel die Anforderungen der ÖNORM EN 1335-1/AC – Büromöbel erfüllen. Dass selbst dieser Norm entsprechende Sessel nicht für jede und jeden geeignet sind, betonte David Gaind von der David Gaind Gesunde Sitzmöbel Vertriebs GmbH: „Hochwertige Standardbürostühle nach EN 1335 passen für zirka 40 Prozent der Benutzer perfekt und für weitere 45 Prozent passabel.“ Die übrigen 15 Prozent – z. B. Personen mit mehr als 120 kg Körpergewicht, unter 160 cm bzw. über 190 cm Körpergröße oder mit vom Durchschnitt stark abweichenden Proportionen – würden einen nach Maß gefertigten Bürosessel benötigen.

Zwei Good-Practice-Betriebe, die sich durch Erfolge bei der Vermeidung von MSE auszeichnen, präsentierten die von ihnen gesetzten Maßnahmen bei der Informationsveranstaltung. Die Energie AG Oberösterreich Umwelt Service GmbH hatte das Programm AUVAfit in Anspruch genommen, um verbesserte Arbeitsbedingungen für die Radladerfahrerinnen und -fahrer sowie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Disposition zu schaffen. (Einen ausführlichen Bericht dazu finden Sie in diesem Heft.)

Schoeller Bleckmann

Das zweite Vorzeigeunternehmen, die Schoeller Bleckmann Edelstahlrohr GmbH (SBER), hatte ebenfalls im Rahmen von AUVAfit Maßnahmen zum Schutz des Bewegungs- und Stützapparats ergriffen. Schoeller Bleckmann, seit 1999 Teil der spanischen Tubacex-Gruppe, stellt nahtlose Edelstahlrohre her. Das seit 1924 im niederösterreichischen Ternitz ansässige Unternehmen beschäftigt rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, es ist einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region.

Die rasch wechselnden Arbeitsbedingungen stellen eine besondere Herausforderung dar. „Wir müssen die Wünsche der Kunden in der Produktion umsetzen. Das kann eine Änderung des Materialflusses oder einen zusätzlichen Arbeitsschritt mit sich bringen“, so Kerstin Seiler, Assistentin im Bereich Health – Safety – Environment. Oft müssten diese Veränderungen schnell durchgeführt werden, wodurch eine nachträgliche Evaluierung der betroffenen Arbeitsplätze und bei Bedarf eine ergonomische Verbesserung erforderlich sei.

Sind neue Maßnahmen geplant, bezieht man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ein, was sich positiv auf die Akzeptanz auswirkt. Dazu führt Seiler als Projektbegleiterin Gespräche mit den Beschäftigten und ihren direkten Vorgesetzten. Zusätzlich werden Ratschläge jener Personen eingeholt, deren Expertise man benötigt. Das kann die Arbeitsmedizinerin sein, aber auch jemand aus der firmeneigenen Schlosserei, die Werkzeuge anfertigen soll. Mitunter dauere es einige Zeit, bis Verbesserungen zur Routine werden, stellt Seiler fest: „Manche ergonomischen Probleme fallen den Angestellten gar nicht auf, weil sie z. B. schon gewohnt sind, etwas vom Boden aufzuheben.“

Werkzeuge auf einem Lochbrett
Die Hilfswerkzeuge für die Richtmaschine fertigte die Schlosserei von SBER nach den Wünschen der Beschäftigten. SBER

Ergonomie im Richtmaschinenpark

Auch beim 2018 begonnenen AUVAfit-Projekt waren die Ideen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefragt. Es ging darum, im teilweise sehr alten Richtmaschinenpark nachträglich Verbesserungen umzusetzen – kein einfaches Unterfangen, wie Seiler berichtet: „Einige Maschinen sind eigens für unsere Zwecke hergestellt worden, die kann man nicht einfach austauschen. Manche wurden in den 1960er-Jahren produziert, als man noch keine ergonomischen Richtlinien beachtet hat.“ Ein Fokus der Bemühungen lag auf der Schaffung geeigneter Arbeitshöhen; so wurde ein zu tief angebrachtes Bedienpult durch ein neues, höhenverstellbares ersetzt.

Das im Richtmaschinenpark verwendete Hilfswerkzeug entsprach ebenfalls nicht den ergonomischen Anforderungen. Um belastende Körperhaltungen zu vermeiden, wurden die Polierscheibe zum Polieren der Richtwalzen und die zum Rohrtransport verwendete Ratsche mit längeren Stangen versehen. „Die Hilfswerkzeuge sind in unserer eigenen Schlosserei nach den Wünschen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hergestellt worden. Davor haben wir viele Tests durchgeführt, z. B., um die optimale Dicke der Stangen herauszufinden“, berichtet Seiler. Auch ein Aufbewahrungsort, an dem die Werkzeuge immer griffbereit gelagert sind, wurde gefunden.

Auf eine Maßnahme, die im Hinblick auf die Vermeidung von MSE oft vergessen wird, wiesen die Expertinnen und Experten der AUVA hin: Die Lichtverhältnisse in den Richtmaschinen-Werkshallen mussten verbessert werden. Auf Anregung der AUVA wurden neue Lampen angebracht, wobei man auch auf das Vermeiden von Spiegelungen achtete. Bei der Bearbeitung eines langen Rohres sieht man jetzt dessen Ende besser, ohne sich wegen der Spiegelungen oder zu geringer Beleuchtung verrenken zu müssen.

große Kanister in Gittern
Die Glasscheibenherstellung ist ein klassisches Beispiel für Heben und Tragen. Auch hier konnte SBER ergonomische Verbesserungen realisieren. SBER

Glasscheibenherstellung und Schleifplätze

Ein „klassisches Beispiel zu Heben und Tragen“ ortet Seiler in der Glasscheibenherstellung: „Weil eine neue Anlage errichtet worden ist, haben die Glasscheibenhersteller einen anderen Platz bekommen. Der Stapler hat die Säcke mit Glassand auf einer Palette abgeladen, von der sie händisch aufgehoben worden sind.“ Diese Interimslösung wurde 2020 beseitigt. Jetzt stellt der Stapler die Säcke in ein Regal, wo sie sich in einer günstigen Arbeitshöhe befinden. Auch die Mischflüssigkeit steht nun erhöht und wird mit einem Schlauch von oben eingefüllt, was das Heben des Flüssigkeitsbehälters erspart.

Für ergonomische Verbesserungen an den Schleifplätzen wurde 2021 ein Aktionsplan nach dem STOP-Prinzip umgesetzt. Der Ersatz der schweren Druckluftschleifer durch leichtere erwies sich nicht als optimal, da die Maschinenleistung geringer war und mehr Kraft zum Andrücken aufgewendet werden musste. Eine technische Maßnahme, die eine deutliche Erleichterung brachte, war die Aufrüstung der manuell zu betätigenden Schleifböcke durch einen pneumatischen Hebemechanismus. Organisatorisch halfen Bodenmarkierungen für die Aufstellung der Schleifböcke und eine Ablage, um das Werkzeug nicht vom Boden aufheben zu müssen. Eine Rückentragehilfe für den Druckluftschleifer als personenbezogene Maßnahme bewährte sich wegen der umständlichen Einstellung und der Behinderung beim Tragen nicht.

Die Neuerungen an den Schleifarbeitsplätzen führten zu einer höheren Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, es gibt keine Fluktuation mehr. Mittlerweile wurde eine weitere Maßnahme angedacht: die körperlich schwere Tätigkeit auf mehrere Beschäftigte aufzuteilen. „Neue Mitarbeiter lernen zuerst einen Arbeitsplatz kennen. Wenn sie die Tätigkeit beherrschen, kommt ein weiterer dazu, um eine Rotation zu ermöglichen. Man muss die Qualifikation langsam aufbauen“, so Seiler. Allerdings eigne sich nicht jede Person für jede Arbeit – und auch hier sei die Zustimmung der Betroffenen gefragt, denn nicht jeder will wechseln.

Zusammenfassung

Am 30. September 2021 fand in Wien die AUVA-Informationsveranstaltung „Packen wir’s an! Gestaltung von Arbeitsplätzen zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen“ statt. Dabei wurden Unterstützungsangebote der AUVA, Maßnahmen zum Schutz vor MSE und Good-Practice-Beispiele heimischer Unternehmen vorgestellt. 


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