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Notfallpsychologie

Psychosoziale Erste Hilfe – Unterstützung von Betroffenen im Unternehmen

Wie kann man Betroffenen unmittelbar nach einem kritischen Ereignis helfen, den Vorfall zu verarbeiten? Psychosoziale Erste Hilfe durch speziell geschulte Kollegen:Kolleginnen im Betrieb ist die Antwort auf diese Frage.

Bild zeigt die Verladung eines auf einer Bahre liegenden Verletzten in ein Rettungsauto.
Emergency medical service at work. Paramedic is pulling stretcher with senior man with serious heart attack to the ambulance car. Help on the road. Drivers assistance concept. Adobe Stock

Schwere Arbeitsunfälle, Todesfälle oder Gewalt – im beruflichen Alltag kann jede Person mit kritischen Ereignissen konfrontiert werden. Bei den Folgen denkt man oft nur an körperliche Verletzungen und übersieht, dass solche Vorfälle auch psychische Auswirkungen haben können. Denn die Reaktionen können je nach Betroffenen sehr unterschiedlich sein und werden daher auch von Vorgesetzten oft nicht als Folgen des kritischen Ereignisses wahrgenommen. 

Auch die Bewältigung des potenziell traumatischen Geschehens gestaltet sich sehr unterschiedlich und hängt vor allem von den individuellen Strategien der einzelnen Personen ab. Doch auch Maßnahmen der Unternehmen, die nach einem solchen Ereignis gesetzt werden, können einen weiteren wesentlichen Beitrag leisten. 

In der akuten Situation im Betrieb ist vor allem das psychosoziale Handeln entscheidend dafür, wie schnell die Betroffenen wieder zur Normalität zurückfinden. Die wichtigste Bedingung für die gesunde Bewältigung eines schwerwiegenden Ereignisses ist die psychosoziale Unterstützung. Bei der Vorbereitung auf kritische Ereignisse kann die Notfallpsychologie unterstützen. Sie beschäftigt sich einerseits mit der Vorbeugung von kritischen Ereignissen und umfasst darüber hinaus auch Maßnahmen, die unmittelbar nach Eintritt dieser Ereignisse zur Entlastung getroffen werden können.

Unterschiedliche Ebenen der Intervention

Je nach Phase können unterschiedliche Maßnahmen eingesetzt werden. Die Unterstützung lässt sich auch hinsichtlich der Personen und der Art der Ausbildung differenzieren. In den ersten Stunden nach einem kritischen Ereignis bietet die Akuthilfe eine wichtige Unterstützung für die Betroffenen. In Form einer psychosozialen Ersten Hilfe kann die Unterstützung durch speziell geschulte Mitarbeiter:innen des eigenen Betriebs erfolgen. Weitere Möglichkeiten sind Kriseninterventionsteams, zum Beispiel der Rettungsorganisation, oder auch Akutinterventionen durch Notfallpsychologen:-psychologinnen.

Psychosoziale Erste Hilfe ist die direkt nach dem Notfall bereitgestellte Akuthilfe für Betroffene. Ziel der psychosozialen Ersten Hilfe ist es, den betroffenen Personen in der Notfallsituation hilfreich zur Seite zu stehen und damit die Verarbeitung dieser kritischen Prozesse zu unterstützen [1].

Professionelle Unterstützung

Die psychosoziale Betreuung durch geschulte Personen des Kriseninterventionsteams der Einsatzkräfte unterstützt in der ersten Phase bei der Bewältigung des Erlebten. Dabei handelt es sich um kurzfristige Interventionen unmittelbar oder kurz nach einem kritischen Ereignis und nicht um eine Therapie. Die geschulten Einsatzkräfte können über die Rettungsleitstelle von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Notarzt sowie von Behörden alarmiert werden.

Im Gegensatz zur psychosozialen Betreuung werden die notfallpsychologischen Akutinterventionen von speziell geschulten Psychologen:Psychologinnen durchgeführt.

Psychosoziale Erste Hilfe durch Kolleginnen:Kollegen

Durch die Belastung können Betroffene von kritischen Ereignissen in eine Überforderungssituation kommen. Einfache psychosoziale Erste Hilfe etwa durch Entlastungsgespräche mit Kollegen:Kolleginnen kann in dieser Phase wesentlich dazu beitragen, das Erlebte besser zu verarbeiten. Ziel ist hauptsächlich die Beruhigung der Betroffenen, indem diese aktiv angesprochen und unmittelbar nach dem Ereignis nicht alleine gelassen werden. Die psychosoziale Erste Hilfe ist dabei als Erstversorgung gedacht und umfasst keine weiterführende Betreuung. Wenn die Betroffenen aufgrund anhaltender Beschwerden weitere Unterstützung in der Stabilisierungsphase benötigen, sollten hier notfallpsychologische Experten:Expertinnen für Einzel- und Gruppengespräche herangezogen werden. Auch eine individuelle Trauerbegleitung oder eine Traumatherapie kann in Einzelfällen weiterhelfen.

Psychosoziale Erste Hilfe ist die direkt nach dem Notfall bereitgestellte Akuthilfe für Betroffene. Ziel der psychosozialen Ersten Hilfe ist es, den betroffenen Personen in der Notfallsituation hilfreich zur Seite zu stehen und damit die Verarbeitung dieser kritischen Prozesse zu unterstützen.

F. Lasogga, B. Gasch

Unterstützung in der Akutphase

Die notfallpsychologische Akutintervention beginnt mit der Kontaktaufnahme. Dabei ist zu beachten, dass der:die Betroffene, wenn notwendig, aus dem Gefahrenbereich herausgebracht wird. Der:die psychosoziale Ersthelfer:in stellt sich mit Namen und Funktion vor und klärt als Erstes, ob die Person verletzt ist. Ist keine medizinische Versorgung notwendig, organisiert der:die Ersthelfer:in ein geeignetes Setting für das Entlastungsgespräch, einen Raum, in dem man ungestört sprechen kann. Ziel des Gesprächs ist es, der betroffenen Person ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, die emotionale Entlastung zu ermöglichen und die Handlungsfähigkeit wiederherzustellen.

Ablauf eines Entlastungsgesprächs

Im Gespräch werden zunächst die dringenden Bedürfnisse abgefragt. „Wie geht es dir?“ „Was brauchst du jetzt?“ Es wird eventuell ein Getränk und eine warme Decke besorgt. Danach kann das Unfallopfer oder der:die Mitarbeiter:in seine Beobachtungen schildern und erzählen, was passiert ist. Sprechen kann für die:den Betroffene:n wohltuend sein.

Der:die psychosoziale Ersthelfer:in stellt direkte Fragen zu dem Geschehen, sodass auch er:sie sich ein ungefähres Bild des Ereignisses machen kann. Dabei ist zu beachten, dass man nicht drängt, über Dinge zu sprechen, über die der:die Betroffene nicht sprechen will. Das Entlastungsgespräch unter Kollegen:Kolleginnen soll emotionale Entlastung bieten und das Gefühl der Kontrolle über die Situation verstärken.

In weiterer Folge versichert man sich über den emotionalen Zustand nach der Schilderung der Fakten. „Wie geht es dir jetzt?“ Tritt das Gefühl einer Entlastung ein, kann man den Schwerpunkt auf konkrete Handlungen setzen. „Was möchtest du jetzt tun?“ Je nach Situation und Betroffenheit wird versucht, die Rückkehr zu Routinetätigkeiten zu ermöglichen. Dabei ist zu beachten, dass das soziale Netzwerk des:der Betroffenen aktiviert wird. Gemeinsam kann besprochen werden, dass er:sie von einem:einer Bekannten abgeholt wird oder er:sie direkten Kontakt mit einer vertrauten Person aus der Familie oder dem Freundeskreis aufnimmt. „Mit wem willst du heute noch sprechen?“ oder „Mit wem wirst du heute noch etwas unternehmen?“ [2].

Unterstützung durch Führungskräfte in und nach Notfällen

Führungskräfte haben die Fürsorgepflicht für das körperliche und psychische Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter:innen. Das Verhalten der Leitungspersonen hat symbolischen Wert für die Beschäftigten. Es geht darum, dass Führungskräfte Verständnis für die Situation, für die Reaktion der Betroffenen und der Gruppen zeigen. 

Oft gibt es in akuten Notfällen organisatorische und logistische Probleme durch die Führung zu beheben und es sind Entscheidungen zu treffen, die den Betroffenen helfen, zur Normalität zurückzukehren. Bei Bedarf können Führungskräfte organisieren, dass Mitarbeiter:innen nach Hause begleitet werden. In den auf den Notfall folgenden Tagen sollte in kurzen Kontakten signalisiert werden, dass man weiterhin für den:die Kollegen:Kollegin da ist, falls er:sie noch etwas braucht.

LITERATUR:

  • [1] Lasogga, F. & Gasch, B.: Notfallpsychologie: Lehrbuch für die Praxis. 2. Auflage. Berlin: Springer, 2011, S. 13.
  • [2] Hausmann, C.: Interventionen der Notfallpsychologie. Was man tun kann, wenn das Schlimmste passiert. Wien: Facultas, 2016.

Angebot der AUVA

Notfallplanung im Betrieb

Die Arbeits- und Organisationspsychologen:-psychologinnen der AUVA unterstützen Betriebe bei der Erarbeitung eines betrieblichen Notfallplans, um im Ernstfall gerüstet zu sein. Das Notfallkonzept wird speziell auf die betrieblichen und organisatorischen Gegebenheiten abgestimmt. Dabei sollte die psychosoziale Unterstützung ein fester Bestandteil des Konzepts sein, um die Wahrscheinlichkeit einer Traumatisierung der Mitarbeiter:innen zu reduzieren.

Schulung: Psychosoziale Erste Hilfe

Ein Teil des betrieblichen Notfallkonzepts kann die Ausbildung in psychosozialer Erster Hilfe für ausgewählte Mitarbeiter:innen sein. Ein Entlastungsgespräch unmittelbar nach einem kritischen Ereignis trägt zur psychischen Stabilisierung bei.

Den Mitarbeitern:Mitarbeiterinnen wird ein Basiswissen zu kritischen Ereignissen und den daraus folgenden psychischen Reaktionen vermittelt. Sie lernen, wie sie in akuten Situationen reagieren können, und in weiterer Folge ein sogenanntes Entlastungsgespräch durchzuführen. Darüber hinaus kennen sie Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Rolle als psychosozialer:-soziale Ersthelfer:in.

Schulung: Notfallpsychologie für Führungskräfte

Führungskräfte, die spezifische Notfallpläne in ihrem Betrieb verankert haben, fühlen sich in Notfallsituationen sicherer in ihren Interventionen. Wichtig ist, dass notfallpsychologische Aspekte ein fixer Bestandteil dieser Konzepte sind. In Schulungen können sich Führungskräfte Wissen zu notfallpsychologischen Grundlagen aneignen und präventive Maßnahmen für den eigenen Betrieb ableiten.

Kenntnisse über menschliches Erleben und Verhalten in Ausnahmesituationen sowie die Sensibilisierung bezüglich akuter Belastungsreaktion und posttraumatischer Belastungsstörung sind wichtig, um die richtigen Interventionen einzuleiten.

Die AUVA bietet weitreichende Unterstützung. 

Eine Kontaktaufnahme ist über notfallpsychologie@auva.at möglich, weitere Informationen: www.auva.at/arbeitspsychologie

Zuammenfassung

Die Autorinnen zeigen, wie im Rahmen eines Notfallpsychologie-Konzeptes die psychosoziale Erste Hilfe umgesetzt werden kann. 


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