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Fahrradboten

Lastentransportauf dem Fahrrad – Ergonomie im Fokus

Ergonomie ist die Wissenschaft von der Gesetzmäßigkeit menschlicher Arbeit. Man versteht darunter die Anpassung der Arbeitsbedingungen an den Menschen – und nicht umgekehrt. Es soll weder kurz- noch langfristig zu körperlicher Überforderung kommen. In Bezug auf den Arbeitsplatz von Fahrradboten:-botinnen stehen besonders das Fahrrad und die Auswahl der Transportlösung im Vordergrund.

Adrian Exposito Ruiz

Mit ihrem Arbeitsmittel sind Fahrradboten:-botinnen bei jedem Wetter unterwegs. Sie legen im Schnitt 10 Kilometer in der Stunde, 80 Kilometer und mehr am Tag zurück1. Etwa die Hälfte der Fahrer:innen arbeitet mehr als 20 Wochenstunden2 – bei dieser Stundenzahl werden etwa 860 Kilometer und mehr im Monat gefahren. Betrachtet man eine Vollzeitbeschäftigung (40 Stunden), sind dies hochgerechnet mehr als 17.600 km im Jahr. Dies zeigt, wie wichtig es ist, das Arbeitsmittel Fahrrad und die Transportlösung so auszuwählen, dass die Fahrleistung sicher und gesund sowie ohne langfristige Schäden am Muskel-Skelett-System bewältigt werden kann.

Auswahl des Fahrrads für den Lastentransport

Etwa die Hälfte der angestellten Fahrer:innen erhält vom Unternehmen ein Fahrrad kostenfrei zur Verfügung gestellt. Für den Transport von Lasten mit dem Fahrrad stehen unterschiedliche Lösungen zur Verfügung und Arbeitgeber:innen sollten vor der Anschaffung prüfen, welche davon ihren unternehmerischen Gegebenheiten sowie den Anforderungen an Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz am besten entsprechen. 

Richard Reichhart

Eine optimierte Körperhaltung vermindert nicht nur körperliche Beschwerden, sondern erleichtert die Kontrolle über das Fahrrad und trägt damit zur Sicherheit im Straßenverkehr bei. Sie ist daher einer der zentralen Faktoren bei der Auswahl – neben Streckenlängen und Gegebenheiten im Liefergebiet sowie den zu befördernden Lasten.

Auswahl passend zu Fahrern:Fahrerinnen

Sitzhöhe und Rahmenlänge müssen zu den Personen passen, die das Fahrrad als Arbeitsmittel verwenden. Die Flotte sollte so zusammengestellt sein, dass sowohl für die größte als auch die kleinste Person ein passendes Fahrrad zur Verfügung steht. 

Für die ergonomisch günstige Körperhaltung sind zwei Punkte zu beachten, das ist neben der bereits erwähnten Rahmenlänge auch die Sitzhöhe. Ist der Rahmen zu lang oder zu kurz, wird der Lenker nicht gut erreicht oder es werden Haltungen eingenommen, die weder für den Körper angenehm noch einer sicheren und langfristig gesunden Fahrweise zuträglich sind.

Viele Fahrer:innen wählen die Sitzhöhe zu tief, weil sie so mit beiden Füßen bequem den Boden erreichen. In dieser Position kann nur wenig Druck auf das Pedal gebracht werden und durch die starke Beugung können Schmerzen im Knie auftreten. Die richtige Sattelhöhe stellt man ein, indem man ein Pedal an den unteren Totpunkt stellt und dann die Ferse auf das Pedal stellt. In dieser Position soll das Knie locker gestreckt sein. Beim Fahren ist das Knie dann in der richtigen Position und leicht gebeugt. 

Auch die Auswahl der Ausstattung ist wichtig – dazu gehören beispielsweise verschiedene Sättel. Fahrer und Fahrerinnen können aufgrund ihres Körperbaus unterschiedliche Sattelformen passend finden und mit unterschiedlichen Härtegraden des Sattels besser zurechtkommen. Der Fahrradsattel ist nicht nur ein wichtiger Kontaktpunkt zwischen Fahrer:in und Fahrrad, sondern kann bei falscher Form oder Einstellung Probleme verursachen: Der Druck auf Gewebe, Blutgefäße und Nerven kann zu Taubheitsgefühlen oder Schmerzen führen. Vielfahrer:innen – beispielsweise im sportlichen Bereich – nutzen meist härtere Sättel, da die Übertragung des Drucks direkt auf die Sitzbeinhöcker erfolgt. Dieser Teil des Beckens ist dafür ausgelegt, Druck aufzunehmen. 

Auswahl nach Streckenlängen und -gegebenheiten sowie Einsatzzeiten: Für die Auswahl geeigneter Räder muss geprüft werden, auf welchen Strecken diese eingesetzt werden sollen. Die Überlegung sollte beinhalten, wie lange die Strecken sind, ob in der Stadt oder auch auf Landstraßen gefahren wird, ob die Strecken flach sind oder Steigungen enthalten und fallweise, wie der Untergrund beschaffen ist. Witterungsverhältnisse müssen bedacht werden, wenn Einsätze „bei jedem Wetter“ vorgesehen sind. Hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass bei bestimmten Witterungsbedingungen (beispielsweise Glatteis) aus Sicherheitsgründen Fahrten mit dem Fahrrad selbst mit bester Ausstattung eingestellt werden sollten und auf andere Liefermethoden zurückgegriffen werden sollte.

Die genannten Überlegungen wirken sich sowohl auf die Wahl des Fahrradtyps als auch auf die nötige Ausstattung aus – etwa die Bereifung: Sind die Fahrer:innen bei widrigen Witterungsverhältnissen oder im Winter im Einsatz, müssen das Rad und dessen Ausstattung darauf ausgelegt sein – so gibt es beispielsweise auch für Fahrräder Winterreifen. 

Sind lange Strecken zurückzulegen oder oft Steigungen zu überwinden, stellt die Auswahl von elektrounterstützten Fahrrädern eine Möglichkeit dar, um Fahrer:innen zu entlasten und den Transport der Lasten zu erleichtern.

Auswahl entsprechend den zu befördernden Lasten: Der Transport in großen, tiefen Rucksäcken ist aus ergonomischen Gründen und in Bezug auf Fahrverhalten und Verkehrssicherheit ungünstig – dies konnte auch bei Messungen festgestellt werden, die die AUVA in Kooperation mit der TU Wien durchgeführt hat. Es sollte daher eine alternative Transportmöglichkeit gewählt werden.

Bei der Auswahl dieser sind Größe und Gewicht der Lasten sowie deren Beschaffenheit zu berücksichtigen. Darauf basierend kann eine passende Lösung gewählt werden, in der die Ladung nicht nur untergebracht, sondern mit der entsprechenden Ladungssicherung transportiert werden kann. Teilentladungen bei mehreren Zielen müssen fallweise berücksichtigt werden. Unterschiedliche Typen von Anhängern und Lastenrädern sollten auf jeden Fall in Betracht gezogen und auf ihre Tauglichkeit für die Transportaufgabe geprüft werden.

Lastenrucksack zum Transport auf dem Fahrrad – ja oder nein?

Wird der so oft im Einsatz befindliche Lastenrucksack den Anforderungen von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz gerecht? Der Lastenrucksack ist nicht die beste Lösung zum Lastentransport. Die Belastungen wurden durch Messungen des Teams von Prof. Angeli von der TU Wien (siehe Interview) bestätigt. 

Rucksäcke beeinflussen durch den hohen Schwerpunkt das Fahrverhalten und die Verkehrssicherheit. Besonders große, tiefe Rucksäcke erschweren eventuell den so wichtigen Schulterblick. Außerdem verändern sie die Körperhaltung und Sitzposition. Auch die Bewegungsfreiheit und damit die Kontrolle über das Fahrrad können beeinträchtigt sein. 

Je größer beziehungsweise tiefer der Rucksack ist, desto mehr verstärkt sich das darin beförderte Gewicht durch die wirkenden Hebelkräfte. Die Körperhaltung verändert sich und aktives Gegenhalten ist notwendig, um mit der Last auf dem Rücken zurechtzukommen. Je länger die Einsatzzeit und je schwerer die Last, desto eher sind Schäden am Muskel-Skelett-System möglich.

Die Nutzung von kleinen, flachen Rucksäcken, in denen geringe Lasten wie etwa Dokumente körpernah transportiert werden, ist akzeptabel. Diese haben nur einen geringen Einfluss auf die Verkehrssicherheit, wenn sie gut sitzen. Auch für diese Art Rucksack soll jedoch bei der Auswahl auf die Ergonomie – also die Größe beziehungsweise Rückenlänge der Person und die Länge des Rucksacks – geachtet werden. Außerdem ist auf gute Polsterung, Luftzirkulation und gute Brust- und Hüftgurte Wert zu legen. Besonders der Hüftgurt sollte nicht nur ein Riemen zum „Festzurren“ des Rucksacks sein, sondern breit und gepolstert dafür sorgen, dass die Last über das Becken abgeleitet werden kann. Der Rücken wird so entlastet.

Diese Kriterien würden auch für die großen und tiefen Lastenrucksäcke gelten – dennoch sind diese aus ergonomischer Sicht selbst mit perfekter Ausstattung nicht für den dauerhaften Einsatz am Fahrrad geeignet. Einzig für die letzten Schritte zu Kunden:Kundinnen – beispielsweise über Treppen hinauf – ist es besser, die Last auf dem Rücken anstatt in einer Tasche in einer Hand zu tragen. Letzteres würde den Körper einseitig belasten. Bevor Lastenrucksäcke zum Einsatz kommen, sollten alle anderen Möglichkeiten bedacht und ausgeschöpft worden sein, um ungünstigen Einfluss auf die Verkehrssicherheit sowie unnötige Belastungen des Muskel-Skelett-Systems zu vermeiden. 

Lastentransportauf dem Fahrrad – Ergonomie im Fokus

Fahrradbotendienste, im Speziellen Essenslieferdienste mit ihren großen farbigen Rucksäcken, prägen mittlerweile das Stadtbild. Besonders in den Jahren 2020 und 2021 hat dieser Bereich einen gewaltigen Aufschwung erfahren – der sich jedoch auch in den Unfallstatistiken der AUVA niederschlägt. Dieser Artikel beschäftigt sich mit den ergonomischen Gesichtspunkten des Lastentransports mit dem Fahrrad und bietet eine Anleitung zur richtigen Auswahl der Transportlösung im Sinne der Verkehrssicherheit und Gesundheit der Fahrer:innen. 

Für den Transport von Lasten mit dem Fahrrad stehen unterschiedliche Lösungen zur Verfügung. Bei der Auswahl sollten Größe und Gewicht der Lasten sowie deren Beschaffenheit bedacht werden.

So unterstützt die AUVA:

Merkblatt M.plus 801 „Fahrradbotendienste sicher unterwegs“Das Merkblatt ist unter auva.at/komm-gut-an (Publikationen) zu beziehen.

Interview 

In einer von der AUVA beauftragten Untersuchung wurde analysiert, wie sich das Tragen der – bei Fahrradbotendiensten üblichen – großen Transportrucksäcke auf den Körper auswirkt. Professor Thomas Angeli aus dem Forschungsbereich Biomechanik und Rehabilitationstechnik an der TU Wien hat die Untersuchung durchgeführt.

Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse aus der Untersuchung?

Prof. Angeli: Die oft eingesetzten Transportrucksäcke sind ergonomisch ungünstig gestaltet. Durch den körperfernen Schwerpunkt entsteht starker Zug an den Schulterriemen und hoher Druck, besonders auf den Lendenwirbelbereich. Das konnten wir durch unsere Sensormessungen feststellen. Wir hatten unter anderem ein Rucksackmodell eines bekannten Lieferdienstes im Test und die harte untere Kante des Rucksacks drückt zusätzlich besonders bei großgewachsenen Personen richtig in den unteren Rücken hinein.

Wie wirkt sich das Tragen dieser Transportrucksäcke aus?

Unangenehm ist ein Hilfsausdruck, wenn man so einen beladenen Rucksack trägt. Unsere Probanden haben sofort unangenehmen Druck gefühlt und rasch Schmerzen gehabt. Die Messung der Drucksensoren hat diese Wahrnehmungen bestätigt. Für einige Minuten ist das machbar, doch mit schwererer Last und längerer Belastungsdauer sind Schäden am Muskel-Skelett-System möglich. Das zusätzliche Gewicht durch den Rucksack plus Beladung sollte so nicht auf dem Körper lasten.

Sie haben den körperfernen Schwerpunkt erwähnt – wie wirkt sich dieser aus?

Der Hebel ist das Problem: Durch den körperfernen Schwerpunkt bei diesen großen Rucksäcken nimmt die Belastung aufgrund der Hebelwirkung zu. Es wirken nicht nur Beladung und Gewicht des Rucksacks, sondern aufgrund der Hebelwirkung wesentlich mehr auf den Körper ein. Bei höherer Beladung wird diese Belastung sehr schnell ungünstig. 

Sind Rucksäcke für den Transport am Fahrrad generell ungeeignet?

Lasten sollten bei weiteren Strecken und langen Einsatzzeiten nicht im Rucksack transportiert werden, sondern im Anhänger oder am Fahrrad. Jede zusätzliche Last wird beim Radfahren auch im Gesäß spürbar – wir haben die entsprechenden Druckpunkte beim Kontakt mit dem Sattel gemessen, die Belastung ist auch an dieser Stelle merkbar und nimmt mit steigender Last stark zu. Geringe Lasten in einem guten Rucksack zu transportieren – das geht schon. Was sich sehr ungünstig auswirkt, ist eben die Hebelwirkung beim Boxenrucksack. Auch sonst sind diese Rucksäcke nicht sehr ergonomisch gestaltet.

Was fehlt den aktuell verwendeten Boxenrucksäcken? 

Die Rucksäcke sollen gut gepolstert sein und zur Rückenlänge passen. Entweder wird bereits eine „kurze“ oder „lange“ Version angeschafft oder der Befestigungspunkt der Schulterriemen am Rucksack kann verändert werden. Damit ist nicht die Länge der Riemen gemeint, die muss natürlich ebenfalls eingestellt werden. Außerdem ist neben dem Brustgurt ein guter Hüftgurt wichtig. Er soll die Hüfte gut umschließen und sollte dafür nicht seitlich an den Boxenrucksäcken angebracht sein, außerdem breit und gepolstert sein, damit die Last über das Becken abgeleitet werden kann. 

Wenn man jedoch unsere Ergebnisse berücksichtigt, ist jedenfalls angebracht, die Last vom Rücken wegzubringen, um möglichen Schäden am Muskel-Skelett-System vorzubeugen. 

Ao. Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. med. Dr. techn. Dr. phil Thomas Angeli ist an der TU Wien am Institut für Produktentwicklung und Konstruktionswissenschaften im Forschungsbereich für Biomechanik und Rehabilitationstechnik tätig.

Rucksäcke beeinflussen durch den erhöhten Schwerpunkt das Fahrverhalten und die Sicherheit. Kleine, flache Rucksäcke, in denen geringe Lasten körpernah transportiert werden, sind akzeptabel.

Christian Mà ¼ller

Zusammenfassung

Fahrradboten:-botinnen mit großen Lastenrucksäcken prägen das Straßenbild im urbanen Raum. Aus ergonomischen Gesichtspunkten ist diese Lösung zum Lastentransport ungünstig, dies bestätigen durch die TU Wien durchgeführte Messungen. Bei der Wahl der Transportlösung ist Fahrradbotendiensten zu empfehlen, andere Möglichkeiten zu wählen – nach ergonomischen Gesichtspunkten und passend zu Transportgut, Strecken und Einsatzdauer. Dies kann die Belastung für Fahrer:innen senken und deren Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen


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