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Projekt Nirmes

Auswirkungen von Magnetfeldern im Arbeitsalltag

Arbeitnehmer:innen sind im Job, aber auch im Alltag meist von hoch- und niederfrequenten elektromagnetischen Feldern umgeben. Über die potenziellen Auswirkungen ist viel geforscht worden, aber es gibt noch viele Lücken. Die Ergebnisse des von der AUVA initiierten Projekts NIRMES zeigen: Unter gewissen Bedingungen können diese Felder die menschliche DNA schädigen.

Es gibt kaum ein Gebiet der Umwelt- und Arbeitsmedizin, das so heftige Kontroversen hervorruft wie das der elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Felder. Gleichzeitig gibt es kaum Expositionen, denen wir alle in der Arbeit wie in allen anderen Lebensbereichen so häufig ausgesetzt sind. Sowohl niederfrequente Magnetfelder (NF-MF), wie sie bei der Erzeugung, Verteilung und Nutzung von elektrischem Strom auftreten, als auch hochfrequente elektromagnetische Felder (HF-EMF), wie sie in der Funktechnik und Telekommunikation Anwendung finden, wurden von der Internationalen Krebsagentur (IARC) als möglicherweise krebserregend für den Menschen eingestuft. Diese Klassifizierung zieht normalerweise eine erhöhte Vorsicht und umsichtige Vermeidung nach sich. Die AUVA hat angesichts dieser Sachlage mehrere Forschungsprojekte zum Thema gefördert. Das jüngste dieser Projekte war NIRMES (Non-Ionizing Radiation MEchanistic Studies).

Die Forschungsarbeit im Detail
Bei NIRMES ging es in erster Linie um gentoxische Untersuchungen der Exposition von humanen Zellen gegenüber NF-MF und HF-EMF. Dabei wurden am Arbeitsplatz relevante Expositionen gegenüber bestimmten Chemikalien mitberücksichtigt, die gleichzeitig oder im Anschluss an eine NF-MF oder HF-EMF-Exposition einwirkten. Da auch individuelle Faktoren wie Alter und Körpergewicht bei der gentoxischen Wirkung eine Rolle spielen, wurden auch diese einbezogen, indem weiße Blutkörperchen von Personen verschiedener Gruppen exponiert wurden. Der Ablauf der Hauptexperimente des Projektes ist in Abbildung 1 dargestellt.
Schädigungen des Erbguts (gentoxische Wirkungen) können auf unterschiedlichen Wegen zustande kommen. Der Hauptmetabolit von Benzo(a)pyren, einem kanzerogenen polyzyklischen Kohlenwasserstoff, ist Benzo(a)pyren-7,8-dihydrodiol-9,10-epoxid (BPDE). Dieser Metabolit bildet Purin-Addukte der DNA, was zu Strangbrüchen und Mutationen führt. Demgegenüber führt 4-Nitroquinolin-1-Oxid (4NQO) hauptsächlich zu Pyrimidin-Dimeren. Auch diese Störung der DNA-Nukleotidsequenz kann mit Strangbrüchen und Mutationen einhergehen. Nickelchlorid (NiCl2) wiederum wirkt in erster Linie wegen der Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies DNA-schädigend, es führt ebenfalls zu Strangbrüchen und DNA-Protein-Querverbindungen. Chromtrioxid (CrO3) verursacht DNA-Addukte und andere DNA-Störungen. Diese Chemikalien, denen die Lymphozyten simultan mit und sequenziell nach einer Befeldung mit dem NF-MF oder dem HF-EMF ausgesetzt wurden, haben also eines gemeinsam: Sie führen alle zu DNA-Strangbrüchen. Auch elektromagnetische Felder können, wie frühere Untersuchungen gezeigt haben, unter bestimmten Umständen solche Strangbrüche hervorrufen. Deshalb ist es naheliegend, das Ausmaß solcher Störungen der DNA als zentralen Endpunkt zu untersuchen. 

Störungen der DNA als „Komet“
Die beste Methode, um Einzel- und Doppelstrangbrüche zu messen, ist der sogenannte alkalische Comet-Assay. Dieser hat seinen Namen von der an Kometenschweife erinnernden Gestalt von Zellkernen mit Strangbrüchen unter dem Mikroskop (siehe Abbildung 2).
Je höher der Anteil der DNA ist, die sich im Schweif befindet, umso größer ist die Zahl der Strangbrüche, denn bei der Elektrophorese wandern die kleinen Bruchstücke und Schleifen im elektrischen Feld. Dieser Anteil ist also ein Maß für die DNA-Schädigung.
Zusätzlich zu den Kombinationsexperimenten wurden auch Experimente nur mit dem NF-MF oder dem HF-EMF durchgeführt. Es zeigte sich, dass die Lymphozyten, die von den älteren Probanden:Probandinnen (6 ♀, 6 ♂, Durchschnittsalter 69 Jahre) gewonnen wurden, auf die UMTS (Universal Mobile Telecommunications System)-Befeldung bei einer spezifischen Absorptionsrate (SAR) von 1 W/kg mit einem hoch-signifikanten Anstieg reagierten. Ein solcher Effekt konnte weder bei den anderen Gruppen noch bei den niedrigeren SAR-Werten (0,5 und 0,25 W/kg) beobachtet werden.
Die Kombinationsexperimente gaben keinen Hinweis, dass die simultanen oder sequenziellen Expositionen mittels HF-EMF die gentoxische Wirkung der Chemikalien verstärken. Bei den NF-MF-Expositionen trat bei einer Flussdichte von 1000 µT (entspricht dem Arbeitsplatzgrenzwert) ein verstärkender Effekt bei der Belastung mit BPDE auf, wobei dieser Effekt auf die Lymphozyten aus der Gruppe der jungen normalgewichtigen Probanden:Probandinnen (7 ♀, 5 ♂, Durchschnittsalter 25 Jahre) beschränkt war.
Außerdem wurden weitere Experimente durchgeführt, die bei hochfrequenten Feldern für die Krebsentstehung wichtige molekulare Veränderungen untersuchten, und bei niederfrequenten Feldern epigenetisch relevanten Methylierungsmustern nachgingen. Darüber hinaus wurde untersucht, ob die Expositionen einen wichtigen DNA-Reparaturpfad, nämlich die sogenannte Nukleotid-Exzisionsreparatur (NER) induzieren.

Die Reparaturfunktion der DNA
Es fanden sich klare Hinweise, dass sowohl die 50-Hz-Magnetfelder als auch die 1950-MHz-UMTS-Signale in der Lage sind, NER zu induzieren. Das bedeutet, dass die DNA durch diese Expositionen geschädigt werden kann, denn diese Schädigungen rufen die Reparaturfunktion hervor. Zudem findet sich darin die Erklärung, warum in manchen Fällen eine Erhöhung der DNA-Schäden gefunden wurde und in anderen nicht, denn es ist immer eine Frage des Gleichgewichts zwischen dem Ausmaß der Schädigung und der Reparaturkapazität.
Bei der Untersuchung des Epigenoms unter Exposition gegenüber 50-Hz-Magnetfeldern fanden sich unter Bedingungen, die für Arbeitsplätze relevant sind, biochemische Veränderungen von Methylierungsmustern. Diese Effekte wurden auch in Genen detektiert, die mit der Entstehung von Leukämien in ursächlichem Zusammenhang stehen. Ob diese Befunde als Erklärung für das in epidemiologischen Untersuchungen ermittelte Leukämierisiko durch Magnetfeldexposition dienen können, müssen weitere Experimente klären.

Vor- und Nachteile von Zell­experimenten
Zellexperimente haben große Vorteile hinsichtlich Durchführbarkeit und Genauigkeit, aber es stellt sich die Frage, inwieweit im intakten Organismus unter realen Expositionsbedingungen am Arbeitsplatz und in der Umwelt allgemein, die gleichen oder vergleichbare Effekte auftreten. Speziell Lymphozyten sind eine heterogene Population von Blutzellen, die unterschiedliche Empfindlichkeit aufweisen können. Die Untersuchungen mit bekannt gentoxischen Chemikalien zeigen jedoch, dass deren DNA-schädigendes Potenzial sich gut in unseren Experimenten abbildet. Man kann deshalb mit Vorsicht schlussfolgern, dass auch die Untersuchungen zu den Auswirkungen der elektromagnetischen Felder ein Bild von den Wirkungen dieser Felder liefern. Beruhigend ist, dass im Allgemeinen diese Felder die Schadwirkung der Chemikalien nicht verstärken.
Wenn in einzelnen Fällen bei BPDE, das DNA-Addukte bildet, das 50-Hz-Magnetfeld die Gentoxizität verstärkt, so kann das daran liegen, dass die Induktion der Exzisionsreparatur, die auch bei der Reparatur von DNA-Addukten eine zentrale Rolle spielt, das System überfordert und so das Ausmaß der Läsionen verstärkt. Das lässt an ein Grundprinzip der Arbeitsmedizin denken, dass jede potenziell schädigende Einwirkung auf ein Minimum zu reduzieren ist – denn man kann nie ausschließen, dass die Vielzahl an Belastungen, denen Arbeitnehmer:innen ausgesetzt sind, am Ende zu Überforderung und Erkrankungen führt.

Fazit
Das NIRMES-Projekt hat einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der Wirkungen elektromagnetischer Felder geleistet. Es zeigt, dass unter bestimmten Bedingungen akute DNA-schädigende Effekte auftreten können, die sowohl bei der Einwirkung von 50-Hz-Magnetfeldern als auch bei hochfrequenten Feldern des Mobilfunks einen zentralen DNA-Reparaturpfad induzieren. Es scheint, dass dieser Mechanismus zur Fehlerbeseitigung im Allgemeinen so effizient ist, dass eine kombinierte Belastung mit gentoxischen Chemikalien und den elektromagnetischen Feldern zu keiner Verstärkung der DNA-Schädigung führt. Man muss aber bedenken, dass die Reparaturkapazität aufgrund individueller Faktoren und/oder der Vielzahl an Belastungen überfordert werden kann. Dass neben einer möglichen DNA-Schädigung durch die Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern und im Speziellen gegenüber 50-Hz-Magnetfeldern epigenetische Faktoren eine Rolle spielen können, die für die Entstehung einer Krebserkrankung bedeutsam sind, weist einerseits darauf hin, dass man längst noch nicht alles über die Wechselwirkung zwischen elektromagnetischen Feldern und biologischen Systemen weiß, und zeigt andererseits, dass man auch angesichts des zwar vergleichsweise geringen gentoxischen Potenzials elektromagnetischer Felder das Vorsorgeprinzip ernst nehmen und das Minimierungsgebot für unvermeidliche Belastungen am Arbeitsplatz einhalten soll. ●

Das Nirmes-Projekt 
Das von der AUVA geförderte Projekt NIRMES (Non-Ionizing Radiation MEchanistic Studies) hat sich der Untersuchung akuter Auswirkungen von 50-Hz-Magnetfeldern und 1950-MHz-Feldern des Mobilfunks auf humane Zellen gewidmet. In umfangreichen experimentellen Untersuchungsserien wurde beobachtet, dass unter gewissen Bedingungen diese Felder die DNA schädigen können.
Besonders bedeutsam ist der Befund, dass sie in der Lage sind, einen zentralen DNA-Reparaturpfad, die sogenannte Nukleotid-Exzisionsreparatur, zu induzieren. Das kann erklären, warum in dieser und anderen Untersuchungen manchmal ein gentoxischer Effekt in Zellen gefunden wurde und manchmal nicht. Weiters konnte gezeigt werden, dass auch epigenetische Vorgänge eine Rolle spielen. Im Allgemeinen scheinen die untersuchten Felder zwar die gentoxische Wirkung arbeitsplatzrelevanter Chemikalien nicht zu verstärken, aber die Möglichkeit einer Überforderung des Systems zur Aufrechterhaltung der DNA-Integrität muss bedacht und folglich das Minimierungsgebot der Arbeitsplatzbelastungen eingehalten werden. 

DI Dr. med. Hans-Peter Hutter
Stv. Abteilungsleiter, Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin des Zentrums für Public Health, Medizinische Universität Wien

Michael Kundi
Abteilung für Umwelthygiene und Umwelt­medizin des Zentrums für Public Health, Medizinische Universität Wien

Mag. Dr. Siegfried Knasmüller
Gruppenleiter, Zentrum für Krebsforschung, Medizinische Universität Wien

Zusammenfassung

Im Projekt NIRMES wurden die Auswirkungen von 50-Hz-Magnetfeldern und 1950-MHz-Feldern des Mobilfunks auf humane Zellen untersucht. Unter gewissen Bedingungen können diese Felder tatsächlich die DNA schädigen bzw. einen DNA-Reparaturpfad aktivieren. Das Projekt wurde von der AUVA gefördert. ●


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