Digitalisierung - New Work
Schattenseite der Digitalisierung
Digitale Arbeit kann für die Mitarbeitenden viele Vorteile bieten – etwa selbstbestimmtes und gesundes Arbeiten in einem attraktiven Arbeitsumfeld. Das gilt allerdings nur, wenn die Arbeit gut gestaltet ist. Andernfalls kann es zu negativen Auswirkungen wie Stress und in der weiteren Folge auch zu gesundheitlichen Einschränkungen kommen. Im Sinne des Arbeitnehmer:innenschutzes sind daher Maßnahmen zur Gefahrenverhütung festzulegen. Doch welche Maßnahmen führen zu weniger Stress?
Die Digitalisierung bringt die viel zitierten Vorteile einer schnelleren und effizienteren Arbeitsorganisation mit sich. Sie ermöglicht auch die Zusammenarbeit über Standorte und Zeitzonen hinweg. Dank neuer Produktionsprozesse können Wünsche von Kunden:Kundinnen individueller erfüllt werden. Doch für den Arbeitnehmer:innenschutz ergeben sich durch diese flexiblen Arbeitsstrukturen, durch mobiles Arbeiten oder durch eine neue Transparenz der Arbeitsprozesse neue Herausforderungen, die zu negativen Auswirkungen auf der Mitarbeiter:innen-Ebene, aber auch auf der Organisationsebene führen können.
Die Auswirkungen der Digitalisierung sind für die Mitarbeitenden sehr unterschiedlich, wobei Stress eine immer zentralere Rolle in unseren Arbeits- und Lebenswelten einnimmt. Technostress oder digitaler Stress bezeichnet die spezifischen Auswirkungen, die im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Technologien entstehen und auf negativen Erfahrungen im Umgang damit beruhen.
Allerdings scheinen nicht alle Mitarbeitenden in gleichem Maße von digitalem Stress betroffen zu sein. Während einige mit den Herausforderungen der Digitalisierung gut zurechtkommen, fühlen sich andere durch die Veränderungen stark beansprucht. Um Technostress im Unternehmen reduzieren zu können, ist es hilfreich zu verstehen, wie genau Technostress ausgelöst wird.
Modell der Stressentstehung
Das transaktionale Stressmodell von Lazarus und Folkman[1] bietet einen theoretischen Rahmen zum besseren Verständnis der Entstehung von Stress bei den Mitarbeitenden (vgl. Abb. 1). Stress wird hier als Prozess verstanden, der aus dem Zusammenspiel von Situationsmerkmalen und Anforderungen sowie individuellen Merkmalen wie den eigenen Ressourcen folgt. Das bedeutet, dass bei der Entstehung von Stress sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die individuellen Voraussetzungen berücksichtigt werden.
Nach diesem Modell erfolgt ein primärer Bewertungsprozess, bei dem der:die Mitarbeiter:in – meist unbewusst – den Anforderungsgrad einer Arbeitssituation einschätzt. Dieser primäre Bewertungsprozess bezieht sich also auf die Merkmale der Arbeitsbedingungen wie z. B. die Arbeitstätigkeit selbst, die Arbeitsorganisation, die Arbeitsumgebung, aber auch das Organisations- und Sozialklima.
Die erste Bewertung führt zu einem von drei möglichen Ergebnissen: Die Situation wird entweder als unwichtig, als Herausforderung oder als Bedrohung wahrgenommen.
Im sekundären Bewertungsprozess schätzt der:die Mitarbeiter:in seine:ihre Bewältigungsmöglichkeiten im Umgang mit diesen als Herausforderung oder Bedrohung wahrgenommenen Anforderungen ein, das heißt, welche Ressourcen ihm:ihr dafür zur Verfügung stehen. Erst wenn ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen der vorgefundenen Situation und den verfügbaren Bewältigungsressourcen wahrgenommen wird, kommt es zu einer Stressreaktion, die sich negativ auf die Gedanken, Einstellungen und das Verhalten auswirken kann.
Das wahrgenommene Ungleichgewicht zwischen Situationen/Anforderungen und Ressourcen erfordert nun Handlungen der Mitarbeitenden, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, auch Coping-Strategien genannt. Diese können problem- oder emotionsorientiert sein, also zum Beispiel darin bestehen, die eigene Handlungskompetenz durch mehr Informationen zu erweitern, oder das eigene Erregungsniveau durch Entspannung zu senken.
Nach dem Stressmodell führt also die Wahrnehmung von Technologie als Stressor nicht zwangsläufig bei allen Mitarbeitenden zu negativen Beanspruchungsfolgen, da die Bewältigungsprozesse im Kontext der Digitalisierung einigen Personen besser gelingen als anderen.
Hierfür sind vor allem die wahrgenommene digitale Kompetenz sowie die individuelle technologische Selbstwirksamkeitserwartung verantwortlich. Diese bewirken, dass die Situation in der ersten Bewertungsphase nicht als bedrohlich oder schädlich, sondern als herausfordernd, und die Ressourcen zur Bewältigung als ausreichend eingeschätzt werden.
Stressoren am Arbeitsplatz
Die Zahl der Belastungsfaktoren, die sich im Zusammenhang mit der Digitalisierung verändern, ist groß. Nachfolgend eine Auswahl von Faktoren, die als Herausforderung oder Bedrohung am Arbeitsplatz wahrgenommen werden und in der Folge Technostress auslösen könnten.
Verunsicherung und Unsicherheit: Veränderungen der Arbeitswelt durch technologische Entwicklungen werden immer schneller umgesetzt. Hinzu kommen häufige Updates und Systemänderungen, die die Nutzer:innen überwältigen können. Bei diesem Tempo haben die Mitarbeitenden nicht die Möglichkeit, eine solide Basis an Erfahrungen mit einer bestimmten Anwendung oder einem bestimmten System aufzubauen, bevor es erneut zu einer Änderung kommt. Das erworbene Wissen ist schnell überholt und es besteht eine anhaltende Notwendigkeit, die eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse anzupassen.
Dies kann zu einem Gefühl der Unsicherheit hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten im Umgang mit Technologie führen. Beschäftigte, die Unterstützung benötigen, um mit dem technologischen Fortschritt Schritt zu halten, zweifeln möglicherweise auch an ihren Karriereaussichten.
Diese digitalen Transformationsprozesse im Unternehmen können mit einem Klima der Unsicherheit einhergehen. Beschäftigte können durch diese ständigen Veränderungen Angst vor Arbeitsplatzverlust entwickeln, wenn Tätigkeiten zum Beispiel durch Automatisierung oder künstliche Intelligenz wegfallen. Dies kann weiters auch zu Spannungen innerhalb der Belegschaft führen.
Komplexität und Überlastung: Wie bereits erwähnt, geht die Anwendung neuer digitaler Technologien mit neuen oder erhöhten Anforderungen einher und setzt voraus, dass Mitarbeitende Zeit und Anstrengung investieren, um die verschiedenen Aspekte dieser Technologie zu verstehen. Aufgrund der hohen Komplexität nimmt dieses Verstehen jedoch viel Zeit in Anspruch, die dann für die eigentliche Bearbeitung der Arbeitsaufträge fehlt. Oft fehlt auch die Unterstützung durch verständliche Anleitungen und Handbücher.
Doch nicht nur die Komplexität in der Anwendung der Technologie kann die Arbeitsbelastung erhöhen, sondern auch die Möglichkeit, die Arbeit zu beschleunigen. Die Einführung von Technologien führt so häufig nicht zu der erhofften Arbeitserleichterung für die Mitarbeitenden. Vielmehr erhöht sich die Arbeitsintensität durch diese beschleunigten Arbeitsprozesse, zum Beispiel durch eine Vielzahl eingehender E-Mails mit Arbeitsaufträgen, kurze Reaktionszeiten, Informationsüberflutung, häufige Unterbrechungen oder auch die parallele Bearbeitung von Aufgaben.
Technische Invasion: Mobile digitale Technologien (z. B. Diensthandys, Laptops, Tablets) ermöglichen flexibles und ortsungebundenes Arbeiten. Dadurch können die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit aufgeweicht werden – man spricht auch von technischer Invasion. Eine Folge ist erweiterte Erreichbarkeit, die weitgehend ungeregelte Form der Verfügbarkeit für dienstliche Belange und Aufgaben außerhalb der regulären Arbeitszeit. Dies führt nicht nur zu einer Verkürzung der Regenerationszeiten, sondern möglicherweise auch zu Konflikten zwischen den Lebensbereichen der Mitarbeitenden.
Ursachen für diese Erreichbarkeit sind häufig die hohe Arbeitsintensität und die Vereinbarung von Arbeitszielen. Um diese Ziele trotz der großen Arbeitslast zeitgerecht zu erreichen, wird nicht selten nach Feierabend oder am Wochenende weitergearbeitet. Auch die Anforderung aus der virtuellen Zusammenarbeit, sich regelmäßig digital abzustimmen, ist oft mit dem Gefühl verbunden, jederzeit online und erreichbar sein zu müssen.
Technische Arbeitsplatzüberwachung: Digitale Technologien sammeln oft große Datenmengen über die Arbeitsleistung, Arbeitszeit, Arbeitspausen sowie den Aufenthaltsort. Das Abrufen und Einsehen dieser Daten bietet neue Möglichkeiten der Vergleichbarkeit und Auswertung der Arbeit, die einerseits zum Gesundheitsschutz, andererseits aber auch zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle genutzt werden können.
Eine österreichische Studie untersuchte die Auswirkungen des wahrgenommenen Grades der Überwachung[2]. Es zeigte sich, dass Mitarbeitende, die den Grad der Überwachung als hoch einschätzten, sich in ihrer Privatsphäre eingeschränkt fühlen. Sie gingen davon aus, dass ihre personenbezogenen Daten weniger vertraulich gehandhabt werden, als dies gewünscht und / oder gesetzlich zulässig ist. Weitere negative Konsequenzen dieser wahrgenommenen Überwachung sind ein reduziertes Vertrauen in die Organisation und eine reduzierte Arbeitszufriedenheit. Insgesamt kann dies auch zu einer geringeren Arbeitsleistung führen.
Maßnahmen gegen Technostress
Ausgehend vom transaktionalen Stressmodell lassen sich zwei Strategien unterscheiden. Einerseits können die Arbeitsbedingungen und die Arbeitssituation so gestaltet werden, dass sie von den Mitarbeitenden weniger häufig als Bedrohung empfunden werden. Andererseits können die Ressourcen der Mitarbeitenden zur Bewältigung dieser Situationen gestärkt werden. Im Sinne des kollektiven Gefahrenschutzes des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes sind allerdings vorrangig verhältnisorientierte Maßnahmen, wie die gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeitsanforderung und -situation, umzusetzen. ●
Maßnahmen gegen Technostress
- Anforderungen und Situation gestalten[3,4,5]
- Technologie hinsichtlich ihrer Wirkung und Effektivität für den Betriebsablauf beurteilen
- Technikfolgenabschätzung durchführen
- Transparenz über die Gründe und Effekte der Einführung neuer Technologien gewährleisten
- Mitarbeitende bei der Einführung und Weiterentwicklung von Technologie miteinbeziehen
- Arbeitnehmer:innenschutz bei der Konzeption und Nutzung digitaler Arbeitsmittel beachten
- Evaluierung bezüglich neuer Technologien durchführen
- technischen Support bereitstellen
- Klärung und Festlegung durchführen, welche Daten die neuen Systeme erfassen und welche von diesen gespeichert werden (dürfen)
- Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten schützen
- Zeitpuffer bei der Erstellung von Arbeits- und Zeitplänen berücksichtigen
- Ergonomie am Arbeitsplatz gesundheitsförderlich gestalten
Ressourcen stärken[3,4,5]
- Weiterbildung und Kompetenzförderung in Bezug auf technisches Wissen anbieten
- Mitarbeitende auf den Einsatz der Technologie vorbereiten
- Technostress-Bewusstsein fördern
- technikfreie Zeitblöcke einplanen
- Bewusstsein für Bewältigungsverhalten fördern
- Pausen zur Selbstfürsorge von Mitarbeitenden und Führungskräften fördern
Belastungsfaktoren
Weitere Belastungsfaktoren finden Sie in der Digitalisierungs-Belastungs-Matrix des Arbeitsinspektorats.
Technostress
Informationen zu Technostress finden Sie auch auf dem AUVA-Factsheet „Technostress am Arbeitsplatz. New Work – mobiles, hybrides Arbeiten“.
Referenzen:
[1] Lazarus RS, Folkman S. Stress, appraisal, and coping. New York: Springer; 1984.
[2] Riedl R, Kalischko T, Stangl FJ. Elektronische Überwachung am Arbeitsplatz. Eine Befragungsstudie im deutschsprachigen Raum. Studie der Fachhochschule Oberösterreich unter Beteiligung der Universität Linz; 2021.
[3] Ifaa. Neue Belastungsarten in der Arbeitswelt 4.0. (zitiert am 31.3.2025). Abrufbar unter: Url:www.arbeitswissenschaft.net/angebote-produkte/zahlendatenfakten/neue-belastungsarten-arbeitswelt-40.
[4] Kumar PS. Technostress: A comprehensive literature review on dimensions, impacts, and management strategies. Computers in Human Behavior Reports, 16; 2024.
[5] Ragu-Nathan TS, Tarafdar M, Ragu-Nathan BS, Tu Q. The Consequences of Technostress for End Users in Organizations. Conceptual Development and Empirical Validation. Information Systems Research 2008: 19 (4): 417–433. https://doi.org/10.1145/3568444.3568451.
Zusammenfassung
Die Digitalisierung bringt nicht nur Vorteile wie effizienteres Arbeiten, sondern auch neue Herausforderungen für den Arbeitnehmer:innenschutz mit sich. Technostress als einer möglichen negativen Folge kann vorgebeugt werden, indem die Situation und die Arbeitsbedingungen gesundheitsförderlich gestaltet und die Kompetenzen und Ressourcen der Mitarbeitenden gestärkt werden. ●