Fahrrad- und Scooterfahren
Wie Technologie Fahrräder und Scooter sicherer macht
Mikromobilität ist ein wichtiger Bestandteil der Verkehrswende. Fahrräder und Scooter sowie ihre motorisierten E-Pendants erfreuen sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit. Allerdings steigen in diesem Bereich auch die Unfallzahlen. Forscher:innen in Österreich versuchen, das Fahren sicherer zu machen.
Die steigenden Kraftstoffpreise, der Wunsch nach umweltfreundlicher individueller Mobilität sowie gesundheitliche Vorteile und Fitness führen dazu, dass immer mehr Menschen Fahrräder, Scooter und die motorisierten E-Pendants nutzen. Während sich E-Fahrräder auch zur Bewältigung längerer Strecken und zum Transport von Lasten eignen, haben sich E-Scooter seit ihrer Einführung 2017[1] besonders in Großstädten etabliert und ein neues Geschäftsfeld zur flexiblen Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs eröffnet. Sie bieten die Möglichkeit, kurze Strecken spontan zurückzulegen und so die Abhängigkeit vom Auto zu reduzieren. Diese Entwicklung wird auch politisch gefördert, etwa im Rahmen der Radverkehrsoffensive „klimaaktiv mobil“ des österreichischen Bundesministeriums für Innovation, Mobilität und Infrastruktur (BMIMI).
Anstieg bei Unfällen mit Fahrrädern und Scootern
Mit der zunehmenden Nutzung gehen jedoch auch steigende Unfallzahlen einher. Während die Gesamtzahlen der jährlichen Verkehrsunfälle in Österreich seit Beginn der digitalen Aufzeichnungen 1992 deutlich zurückgegangen sind, haben vor allem Unfälle mit Fahrrädern und Scootern seit 2019 wieder zu einem Anstieg um etwa 9 % geführt. Neben dem hohen Anteil von 40 % an Unfällen mit Pkw als Unfallgegner ist besonders der mit 35 % hohe Anteil an Alleinunfällen, also Unfällen ohne Fremdbeteiligung, auffällig[2]. Auch wenn 2023 erstmals mehr E-Fahrräder als konventionelle Fahrräder verkauft wurden[3], so ist doch der überwiegende Teil der Fahrräder noch unmotorisiert. Im Gegensatz dazu sind nahezu alle Scooter elektrisch unterwegs.
Im Vergleich zum Auto weisen Fahrräder und Scooter nicht nur weniger Knautschzone, sondern auch eine inhärente Instabilität auf. Diese erfordert insbesondere beim Anfahren und Abbremsen besonderes Geschick und einen guten Gleichgewichtssinn. Mit steigender Geschwindigkeit erhöhen dann verschiedene physikalische Effekte die Stabilität[4]. Fahrräder weisen mit ihren verhältnismäßig großen Rädern und einem ausgeprägten Nachlauf (Abstand zwischen Lenkachse und Aufstandspunkt des Vorderrads) eine gewisse Stabilität auf. Bei Scootern sind nicht nur die Durchmesser der Räder deutlich kleiner, vielmehr ist auch der Nachlauf kleiner, die Lenkachse steiler und eine Fahrt entsprechend instabiler. Dies macht sie empfindlicher gegenüber Fahrbahnunebenheiten, die häufiger zu Stürzen führen.
Wenig Erfahrung, Übermut, keine Schutzausrüstung
Mangelnde Fahrerfahrung und Übermut sind darüber hinaus unfallfördernd. In manchen Fällen werden die Fahrzeuge mit Gepäck wie Einkäufen überladen oder gar Beifahrer:innen mitgenommen. Gerade die E-Varianten von Fahrrad und Scooter können enorme Beschleunigungen und Geschwindigkeiten erreichen, die für ungeübte Fahrer:innen oder Senior:innen mit reduziertem Gleichgewichtssinn in schwierigen Situationen schwer zu handhaben sein können.
Hinzu kommt, dass E-Scooter oft spontan per App gemietet und ohne Schutzausrüstung genutzt werden. Eine gemeinsam von der TU Wien und der FH Hagenberg in Linz durchgeführte Studie[5] zeigt, dass nur wenige Fahrer:innen einen Helm tragen und kaum Handzeichen gegeben werden. Dies spiegelt sich auch in der Unfallstatistik wider, die besagt, dass 2023 immerhin 55 % der verunfallten E-Fahrradfahrer:innen, jedoch nur 7 % der verunfallten Scooter-Fahrer:innen einen Helm trugen[6]. Gerade in der Fremdwahrnehmung waren, laut Studie, Personen ohne eigene Erfahrung mit E-Scootern der Meinung, dass deren Fahrer:innen sich im Straßenverkehr deutlich gefährlicher verhalten als Radfahrer:innen oder Fußgänger:innen. Während es unter den Teilnehmer:innen keine Mehrheit für gesetzliche Maßnahmen wie eine Helmpflicht, strengere Geschwindigkeitsbeschränkungen oder eine Kennzeichnungspflicht gab, so wurde insbesondere auf die Notwendigkeit von Blinkern sowie dezidierten Zonen zum Abstellen hingewiesen. Trotz der beschriebenen Herausforderungen steht außer Frage, dass Mikromobilität ein zentraler Bestandteil zukünftiger Verkehrskonzepte sein wird. In Städten mit kurzen Wegen kann eine gut ausgebaute Infrastruktur das Unfallrisiko deutlich senken.
Simulation als Entwicklungswerkzeug
Die Professoren Florian Michahelles (TU Wien) und Philipp Wintersberger (IT:U Linz) beschäftigen sich intensiv mit den Möglichkeiten, das Fahren mit Fahrrad und Scooter sicherer zu machen. Eine Schlüsselrolle spielen Simulationen zur realistischen Abbildung von Verkehrssituationen, sodass die Fahrer:innen nicht realen Risiken ausgesetzt werden. So lassen sich günstig neue Verkehrskonzepte und auch neue Technologien wie z. B. Fahrassistenzsysteme testen.
An der TU Wien wurde ein Fahrradsimulator entwickelt. Die Probanden:Probandinnen sitzen auf einem echten Fahrrad, dessen Rollwiderstand durch einen Rollentrainer imitiert wird. Die Probanden:Probandinnen können dann mithilfe einer Virtual-Reality-Brille in verschiedene virtuelle Verkehrsszenarien eintauchen. Die Herausforderung derartiger Simulationen liegt in der realistischen Nachbildung der physikalischen Kräfte. Während Autofahrer:innen in einer stabilen Fahrgastzelle Beschleunigungen lediglich wahrnehmen, sind bei Fahrrädern die wirkenden Kräfte entscheidend für Stabilität und Fahrgefühl.
„Motion Sickness“ als Problem der Simulation
Ein Problem stellt die „Motion Sickness“ dar, also die Bewegungskrankheit bzw. Kinetose. Es handelt sich dabei um ein Unwohlsein, das durch die Diskrepanz zwischen visueller Wahrnehmung (Bewegung im virtuellen Raum) und körperlicher Wahrnehmung (stationäre Position) entsteht. Diese lässt sich durch das Montieren des Fahrradsimulators auf einer Bewegungsplattform und somit der Simulation lateraler und longitudinaler Kräfte reduzieren. Jedoch können die Kräfte nicht einfach aus der Realität übernommen werden, da im Simulator keine Rotationskräfte wie z. B. die Zentrifugalkraft wirken, welche die Fahrer:innen in der Kurvenfahrt stabilisieren. Ein realistischer Neigungswinkel würde sich anfühlen, als fiele man vom Sattel. Die Wahl eines passenden Neigungswinkels abhängig von Geschwindigkeit und Kurvenradius ist dabei eine Herausforderung. Experimente zeigten, dass leichte Neigungsbewegungen des Simulators bereits das Fahrerlebnis verbessern können, ohne die Immersion, also das vollständige Eintauchen in die virtuelle Welt, zu verschlechtern. Die im Projekt gewonnenen Kenntnisse werden dabei helfen, bessere Simulatoren für die Mikromobilität zu bauen, welche wiederum für die Erforschung sicherheitskritischer Szenarien unerlässlich sind.[7]
Fahrassistenzsysteme für das Fahrrad
Längst Standard im Automobilbereich, könnten Fahrassistenzsysteme in Zukunft auch bei Fahrrädern und Scootern Unfälle verhindern. Forscher:innen der TU Wien und der IT:U Linz haben in Workshops verschiedene Sicherheits- und Komfortfunktionen für Fahrräder identifiziert und untersucht.
Anschließend wurden zwei aus dem Automobilbereich bekannte „Advanced Driver Assistance Systems“ auf das Fahrrad übertragen, in Hard- und Software auf dem Fahrradsimulator implementiert und in einer Studie getestet. Dabei handelt es sich um ein Spurhaltesystem („Lane Keeping Assist“) und einen Abstandstempomat („Adaptive Cruise Control“). Es konnten deutliche Unterschiede in der Nutzer:innenakzeptanz festgestellt werden. Während beide Assistenzsysteme die Fahrperformance bzw. Sicherheit signifikant erhöhen konnten (gemessen an Parametern wie dem mittleren Sicherheitsabstand oder der Abweichung von der Ideallinie), wurde der Abstandstempomat viel stärker akzeptiert und nachgefragt. Die Teilnehmer:innen sahen sich vom Spurhaltesystem in ihrer Autonomie eingeschränkt. Gleichzeitig gefiel ihnen die Idee eines Abstandstempomaten, der in stressigen Innenstadtsituationen für mehr Entspannung sorgen könnte.[8]
Die Ergebnisse zeigen, dass auch direkt in die Fahrdynamik eingreifende Systeme eine breite Akzeptanz finden und somit eine große Rolle spielen könnten. Sie könnten für ältere oder unerfahrene Nutzer:innen den Einstieg erleichtern und den Nutzungsradius von Mikromobilität erweitern. Gleichzeitig zeigt das Projekt, wie wichtig es ist, solche Technologien in einem menschzentrierten Ansatz zu erforschen.
Langfristig geht die Vision der Forscher:innen noch einen Schritt weiter. Sie erforschen bereits das autonome Fahren von Fahrrädern mithilfe ausklappender Stützräder oder einer automatischen Balancierung. Dabei spielt das wahrgenommene Vertrauen der Fahrer:innen eine entscheidende Rolle, während die Freiheit zum Multitasking ähnliche Probleme wie beim autonom fahrenden Auto mit sich bringt.
Sensorik für smarte Fahrräder
In den 1990er-Jahren kamen die ersten Fahrradcomputer zur Messung von Trittfrequenz (Kadenz) und Geschwindigkeit auf den Markt, gefolgt von Modellen mit Herzfrequenzmessung über Elektroden am Lenker und GPS. In den 2000er-Jahren etablierten sich dann die heute allgegenwärtigen Fitnesstracker zur Messung von Vitaldaten und verschiedener Leistungsparameter (Schritte, Schlafqualität etc.). Da diese üblicherweise am Handgelenk getragenen Geräte beim Fahrradfahren oft als störend empfunden werden, versuchen Forscher:innen der TU Wien die Sensorik zurück an das Fahrrad zu bringen. Sie nutzen Radar-Technologie, deren elektromagnetische Wellen kleinster Leistung zwar Kleidung durchdringen, jedoch am Brustkorb der Nutzer:innen reflektiert werden. Um die Vitalzeichen Atem- und Herzfrequenz zu messen, erfassen sie kleinste Bewegungen des Brustkorbs und trennen diese von den Tretbewegungen der Fahrer:innen. Für die Forscher:innen sind dabei neben der Herzfrequenz und ihrer Variabilität insbesondere die Atemfrequenz sowie abrupte Änderungen der Atembewegungen interessant. So hat akuter Stress Einfluss auf die Atmung und ein situativer Schockmoment kann dazu führen, dass Nutzern:Nutzerinnen buchstäblich der Atem stockt.
Acknowledgements
Diese Forschung wurde in Teilen von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG, Fördernummer 893961) sowie vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF, Fördernummer I 6682-N) finanziert.●
Fahrassistenzsysteme für das Fahrrad
Diese Systeme sollen das Radfahren sicherer, komfortabler und effizienter machen und zu einem entscheidenden Kriterium bei der Wahl des perfekten E-Bikes werden.
Sicherheitsfeatures:
Unfallvermeidungssysteme zur Warnung vor plötzlich geöffneten Autotüren (Dooring) und schlechten Straßenverhältnissen; adaptive Beleuchtung und Blinker zur Verbesserung der Sichtbarkeit; Lenkassistenz- und Stabilisierungssysteme wie automatische Stützräder, Antiblockiersysteme (ABS), Steer-by-Wire und eine automatische Balancierung; haptisches Feedback zum Abstand anderer Fahrzeuge oder Objekte.
Komfortfunktionen:
automatische Anpassung von Einstellungen an die Fahrer:innen, z. B. Gangschaltung oder Sitzposition; Kommunikation mit der Verkehrsinfrastruktur, z. B. „Grüne Welle“, Kommunikation mit (semi-)automatisierten Fahrzeugen; smarte Navigationssysteme, die verschiedene Eigenschaften wie Prioritäten bzw. subjektives Sicherheitsgefühl der Nutzer:innen oder Fahrradeigenschaften berücksichtigen, z. B. Mountainbike oder Rennrad.
Mag. Norbert Lechner
Fachbereich Ergonomie, AUVA-Hauptstelle
norbert.lechner@auva.at
Dr.-Ing. Florian Wolling
University Assistant, Artifact-based Computing and User Research, TU Wien Informatics
florian.wolling@tuwien.ac.at
Zusammenfassung
Die wachsende Beliebtheit von Rädern und E-Scootern als klimafreundliche Auto-Alternative hat seit 2019 zu einem Anstieg der Unfallzahlen geführt. Mit Simulationen, intelligenter Sensorik und Fahrassistenzsystemen wollen Forscher:innen der TU Wien, der FH Hagenberg und der IT:U Linz diese Formen der Mikromobilität sicherer machen. ●