Digitalisierung
Das Potenzial der Infrarot-Thermografie
Wissenschaftliche Studien haben Einsatzmöglichkeiten der medizinischen Infrarot-Thermografie (IRT) im Bereich der Arbeitsplatzgesundheit aufgezeigt. Es geht um die Früherkennung von Belastungen, die Überwachung von Interventionen und die Förderung des allgemeinen Wohlbefindens von Arbeitnehmern:Arbeitnehmerinnen.
Die Arbeitsplatzgesundheit gewinnt zunehmend an Bedeutung. In diesem Bereich könnte die Infrarot-Thermografie unter anderem in der Früherkennung von Belastungen von Beschäftigten in Zukunft eine Rolle spielen. In wissenschaftlichen Studien konnten vorteilhafte Einsatzmöglichkeiten der medizinischen IRT aufgezeigt werden. Ziel dieses Beitrages ist es, Potenzial und Anwendungsfelder der IRT in den verschiedenen Bereichen der Arbeitsplatzgesundheit zu beleuchten.
Was ist die Infrarot-Thermografie?
IRT ist ein berührungsloses und nicht-invasives bildgebendes Messverfahren, das physiologische Prozesse über die Analyse der Hauttemperatur erfassen kann. IRT-Geräte zeichnen thermische Informationen in Form von Infrarotstrahlung mittels wärmeempfindlicher Sensoren auf. Diese Geräte ähneln Digitalkameras, die schnelle und zielgerichtete Wärmebilder erzeugen. Die Ausgabe erfolgt in Form von sogenannten Thermogrammen, also Bildern, in denen die Hautoberflächentemperatur visuell dargestellt wird. Rote / Weiße Bereiche stellen dabei höhere Temperaturen, blaue / violette Bereiche kühlere Temperaturen und gelbe / grüne Bereiche „normale“ Temperaturbereiche dar (siehe Abbildung 1).
Im Gesundheitswesen ist die IRT ein noch wenig angewandtes Diagnoseverfahren, obwohl sie bereits seit den 1960er-Jahren u. a. in der Veterinärmedizin eingesetzt wird. Die Entwicklung hochauflösender medizinischer Infrarot-Kameras führte zu zunehmend breiteren Anwendungsfeldern in der Humanmedizin. Die Wirksamkeit dieser Technologie wird durch umfangreiche Forschungsarbeiten untermauert, in denen thermische Muster bei verschiedenen Erkrankungen, einschließlich Entzündungen, Hauterkrankungen, Muskelzerrungen, und bei der Überwachung von Infektionen untersucht wurden. Auch im Bereich der Brustkrebsprävention und -detektion konnten in Studien Einsatzmöglichkeiten der medizinischen IRT aufgezeigt werden, insbesondere als komplementäres Hilfsmittel zu etablierten Verfahren wie z. B. der Mammografie. Bislang ist die IRT in den meisten Ländern diesbezüglich allerdings nicht als Diagnoseverfahren anerkannt.
In jüngster Zeit hat die IRT im Bereich der Sportmedizin und Sportwissenschaft an Bedeutung gewonnen. Mit IRT lassen sich lokale Entzündungen und Veränderungen von Stoffwechselaktivitäten effektiv nachweisen, was sie unter anderem zu einem wertvollen Hilfsmittel bei Fragestellungen zur Verletzungs- und Überlastungsprävention sowie bei Regenerations- und Rehabilitationsstrategien macht.
Prävention muskuloskelettaler Beschwerden
Bei Büroangestellten sowie bei Fertigungsarbeitern:-arbeiterinnen sind muskuloskelettale Beschwerden wie Nacken- und Rückenschmerzen weit verbreitet. Sie können durch ungeeignete ergonomische Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz verursacht werden. Eine aufrechtere Sitzhaltung kann beispielsweise die Muskelaktivität im oberen Rücken- sowie im Nacken- und Schulterbereich signifikant reduzieren. IRT kann hier als quantitative Diagnostikmethode zur Beurteilung der Muskelaktivität und -belastung dienen. In wissenschaftlichen Studien konnte eine Korrelation von IRT-Messungen mit elektromyografischen Daten (EMG) bei geringer Muskelkontraktion nachgewiesen werden. IRT-Studien haben gezeigt, dass Thermogramme des oberen Rückenbereichs bei unterschiedlichen Haltungen markante Veränderungen aufweisen. Die Reduktion der Temperaturvariabilität im oberen Rückenbereich während des Arbeitens in aufrechter Haltung deutet auf eine gleichmäßigere Verteilung bei der Aktivierung der Rückenmuskulatur hin. Die IRT ermöglicht somit eine Beurteilung der Auswirkungen verschiedener Sitzhaltungen auf die muskuläre Belastung über einen ganzen Arbeitstag hinweg und erfasst so realitätsnahe Belastungsmuster. Durch die Identifizierung von Bereichen erhöhter oder ungleichmäßiger Muskelaktivität kann die IRT dazu beitragen, ergonomische Risikofaktoren frühzeitig zu erkennen sowie die Wirksamkeit von ergonomischen Interventionen zu überwachen. Dies ermöglicht eine Individualisierung von Arbeitsplatzanpassungen zur Prävention von Schmerzen und zur Steigerung des Komforts.
Massenscreenings der Körpertemperatur
IRT ermöglicht eine berührungslose, schnelle und flächendeckende Beurteilung der Körpertemperatur, wodurch sie sich ideal für den Einsatz in öffentlichen Bereichen wie Flughäfen, Bahnhöfen, Krankenhäusern oder in Großbetrieben eignet. Sie hilft, Personen mit potenziell erhöhter Körpertemperatur effizient zu identifizieren und so das Infektionsrisiko zu minimieren. Während der Corona-Pandemie wurde sie in diesem Zusammenhang erfolgreich eingesetzt. Zudem erlaubt sie die automatisierte Auswertung, was den Screening-Prozess beschleunigt und personalarm gestaltet.
Überwachung von körperlicher Belastung
In industriellen oder körperlich fordernden Berufen, wie beispielsweise bei Schweißern:Schweißerinnen, kann die IRT zur Beurteilung von Hitzestress eingesetzt werden. Hitzestress entsteht, wenn der Körper Wärme nicht mehr ausreichend ableiten kann, wodurch es zu Überhitzung und zu gesundheitlichen Problemen kommen kann. Eine IRT-Studie mit Industriearbeitenden zeigte eine Korrelation zwischen der Körpertemperatur und der maximalen Oberflächentemperatur in bestimmten Quadranten des Rückens. Somit könnte die IRT eine effektive Methode zur Vorhersage von thermischem Stress bei Arbeitern:Arbeiterinnen in heißen Arbeitsumgebungen darstellen und zur Bewertung der Expositionsbelastungen beitragen. Die nicht-invasive Anwendung der IRT ermöglicht eine einfache und schnelle Überwachung ohne zusätzliche Belastung für die Arbeitenden. Durch die frühzeitige Erkennung von Hitzestress können präventive Maßnahmen ergriffen werden.
Stressdetektion am Arbeitsplatz
Psychischer Stress am Arbeitsplatz ist ein zunehmendes Problem, das sich negativ auf die Gesundheit und Produktivität von Arbeitenden auswirken kann. IRT bietet hier ebenfalls eine Möglichkeit zur Erfassung physiologischer Veränderungen, die mit Stress einhergehen. Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass Stress zu Temperaturveränderungen im Gesichtsbereich führt, insbesondere in der Stirn-, Augen-, Nasen- und Mundregion. Mobile IRT, mittels spezieller Smartphone-IR-Kamera-Module, hat in Pilotstudien eine Korrelation zwischen Temperaturerhöhungen im Gesicht und steigender Stressspannung gezeigt. Somit könnte IRT zur frühzeitigen Erkennung von Stressreaktionen und zur Überwachung der Wirksamkeit von Stressmanagement-Interventionen am Arbeitsplatz eingesetzt werden. Obwohl weitere Forschungserkenntnisse erforderlich sind, deutet das Potenzial der IRT in diesem Bereich auf eine wertvolle Ergänzung zu herkömmlichen Stressbewertungsmethoden hin.
Früherkennung von Überlastung und potenziellen Verletzungen
In der Sportmedizin und Sportwissenschaft hat sich die IRT bei der Früherkennung potenzieller Verletzungen aufgrund von Überlastung oder ungleichmäßiger Belastung als nützlich erwiesen, da diese oft mit lokalen Temperaturveränderungen einhergehen. Die Analyse von Temperaturasymmetrien zwischen korrespondierenden Körperregionen (links versus rechts) kann auf potenzielle Probleme hinweisen. In wissenschaftlichen Studien hat sich diesbezüglich ein genereller Grenzwert von 0,7 °C Seitendifferenz etabliert, dessen Überschreitung auf ein physiologisches Problem hinweist, sodass eine weitere Abklärung mittels z. B. MRT, CT, Ultraschall oder anderen etablierten medizinischen Diagnoseverfahren empfohlen wird. Dieser generelle Grenzwert unterscheidet sich, hauptsächlich aufgrund verschiedener anatomischer Gegebenheiten, je nach Körperregion, z. B. Knie-Vorderseite 0,5 °C, Unterarme 0,9 °C.
Ein zentraler Vorteil der IRT im Kontext der Arbeitsplatzgesundheit liegt in ihrer Fähigkeit, Überlastungen oder ungleichmäßige Belastungen frühzeitig zu erkennen. Dies ist besonders relevant in Berufen mit repetitiven Bewegungen oder hohen körperlichen Anforderungen. Die IRT kann hier helfen, individuelle thermische Muster im Arbeitsumfeld zu berücksichtigen, um Fehldiagnosen zu vermeiden, die auf starren Schwellenwerten basieren. Die frühzeitige Identifizierung von Risikobereichen ermöglicht die Implementierung präventiver Maßnahmen.
Qualitäten der IRT im Rahmen der Arbeitsplatzgesundheit
Im Vergleich zu herkömmlichen Methoden zur Beurteilung der Arbeitsplatzgesundheit bietet die IRT mehrere Vorteile:
- nicht-invasiv und ohne Strahlenbelastung: Die IRT erfordert keinen direkten Körperkontakt und ist frei von schädlicher Strahlung. IRT-Messungen sind damit auch in Bezug auf Hygienevorschriften von Vorteil, da keine Sensoren am Körper angebracht werden müssen.
- kostengünstig und portabel: Insbesondere Thermografie-Module für die Anwendung in Kombination mit dem Smartphone sind zunehmend erschwinglich und einfach einzusetzen, wenngleich ihr Anwendungsbereich im Vergleich zu speziellen medizinischen IRT-Kameras aufgrund ihrer geringeren Auflösung und Sensitivität limitiert ist.
- sofortige Verfügbarkeit der Messwerte und verständliche Visualisierung: Thermogramme liefern eine visuelle Darstellung der Temperaturverteilung und sind relativ einfach zu interpretieren.
- Untersuchung der gesamten Funktionskette: IRT ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung von Temperaturmustern über größere Körperbereiche.
- wiederholbare Messungen zur Verlaufskontrolle: Um Veränderungen im Zeitverlauf zu überwachen und die Wirksamkeit von Interventionen zu beurteilen, kann IRT beliebig oft wiederholt werden.
- Ergänzung zu anderen diagnostischen Verfahren: Die IRT kann wertvolle zusätzliche Informationen liefern, um die Ergebnisse anderer sportwissenschaftlicher Analysen wie z. B. EMG-Messungen oder medizinischer Untersuchungsmethoden wie z. B. Ultraschall, Röntgen, MRT zu ergänzen.
Obwohl die IRT möglicherweise nicht so sensitiv ist wie andere diagnostische Verfahren, ist sie wegen ihrer Sicherheit, Geschwindigkeit und Portabilität sowie ihrer nicht-invasiven Anwendung für Screenings und Überwachung im Rahmen der Arbeitsplatzgesundheit wertvoll. Die Möglichkeit, ergonomische Risiken zu bewerten, Stressreaktionen zu erkennen, das Infektionsrisiko zu verringern, körperliche Belastungen zu überwachen und Überlastungen frühzeitig zu erkennen, macht die Anwendung zu einem nützlichen Instrument, um Beschwerden vorzubeugen und das Wohlbefinden der Arbeitenden zu fördern. Ihr nicht-invasiver und verhältnismäßig kostengünstiger Einsatz erleichtert die Implementierung in verschiedenen Arbeitsumgebungen.
Zukünftige Forschungsarbeiten sollten sich auf die Standardisierung von Messprotokollen und Analysemethoden, insbesondere bei der Integration von IRT in umfassende Programme zur Arbeitsplatzgesundheit, konzentrieren, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Durch den Einsatz der Infrarot-Thermografie können Unternehmen einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit, Sicherheit und Produktivität ihrer Mitarbeitenden leisten.
Die AUVA-Fachgruppe Ergonomie der Hauptstelle etabliert aktuell den Einsatz der Thermografie in ihrer täglichen Beratungsarbeit und bietet interessierten Betrieben in Kooperation mit der Universität Innsbruck Möglichkeiten der Forschungs- und Projektarbeit an. ●
Zusammenfassung:
Wissenschaftlichen Studien zufolge sind die Einsatzmöglichkeiten der Infrarot-Thermografie (IRT) im Bereich der Arbeitsplatzgesundheit und Prävention vielfältig. Sie ermöglicht unter anderem eine Bewertung ergonomischer Risiken, die Erkennung von Stressreaktionen sowie die Früherkennung von Überlastungen. ●