Digitalisierung
Arbeitssicherheit im Zeichen der Digitalisierung
In Zeiten fortschreitender Digitalisierung ist es wichtig, ausreichende Arbeitssicherheit der agierenden Personen zu gewährleisten. Mit dieser Thematik beschäftigt sich das Projekt AMIDS unter Leitung der TU Wien. Der folgende Artikel zeigt anhand der Praktiken von drei führenden österreichischen Pilotfabriken auf, wie Arbeitssicherheit in einem innovativen Umfeld geschaffen werden kann.
Die umfassenden Digitalisierungsinitiativen in Europa werfen zunehmend die Frage auf, wie langfristig angemessene Sicherheitsstandards gewährleistet werden können und inwiefern neue Technologien unterstützend wirken können. Das Projekt AMIDS (Austrian Manufacturing Innovation Data Space), das sich aus den Forschungsinitiativen PilotLin-X und ResearchLin-X zusammensetzt, zielt darauf ab, eine ausgewogene Balance zwischen dem Einsatz neuer Technologien und den damit einhergehenden sicherheitsrelevanten Anforderungen herzustellen.
Die AMIDS-Initiative wird von der Pilotfabrik „Industrie 4.0“ an der Technischen Universität Wien (TUW) geleitet, unter starker Beteiligung der „LIT Factory“ der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz sowie der „smartfactory@tugraz“ der Technischen Universität Graz (TUG). Ziel der Forschung ist es, einen souveränen österreichischen Datenraum zu entwickeln, der mit den europäischen Standards der „Gaia-X Association for Data and Cloud“ (AISBL) konform ist. Im Rahmen des Projekts werden zwei Anwendungsfälle untersucht, die auf moderne Technologien wie digitale Produktpässe und datenraumbasierte Innovationsökosysteme setzen. Diese komplexen Themenfelder erfordern besonderes Augenmerk auf Sicherheitsmaßnahmen, wobei insbesondere die Umsetzung in den beteiligten Pilotfabriken und deren koordinierte Zusammenarbeit von zentraler Bedeutung sind.
Pilotfabriken: Katalysatoren für Arbeitssicherheit
Pilotfabriken sind hochmoderne experimentelle Produktionsumgebungen, in denen neue digitale Technologien unter realitätsnahen Bedingungen erprobt werden. Sie bieten ein simuliertes, jedoch praxisnahes Abbild realer Fertigungsstätten – eine Laborsituation mit realen Maschinen und Logistiksystemen. Diese Rahmenbedingungen ermöglichen es Unternehmen, geplante Änderungen oder Anpassungen ihrer Produktionsprozesse in einer kontrollierten Umgebung zu testen, ehe diese am eigenen Standort implementiert werden. Dadurch können potenzielle Störungen sowie daraus resultierende Produktionsausfälle frühzeitig vermieden werden. Am Beispiel der Pilotfabrik „Industrie 4.0“ der TU Wien wird veranschaulicht, wie digitale Zwillinge genutzt werden, um kritische Prozessabweichungen frühzeitig zu identifizieren und bei Bedarf zu korrigieren. Neben der Optimierung der Produktionsprozesse steht insbesondere die Gewährleistung der Arbeitssicherheit im Fokus. Diese wird, unter anderem, durch den Einsatz laserbasierter Sensorik an bewegten Objekten, durch Mitarbeitenden-Lokalisierung und Abstandsüberwachung, kraftsensitive Robotik sowie weitere sicherheitsrelevante Technologien sichergestellt. Insbesondere in sicherheitskritischen Anwendungsfällen ist dabei die Echtzeitfähigkeit der eingesetzten Systeme von zentraler Bedeutung, um Gefährdungen unmittelbar erkennen und entsprechende Reaktionen ohne Zeitverzögerung einleiten zu können. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, setzt die Pilotfabrik „Industrie 4.0“ der TU Wien unter anderem auf ein 5G-Stand-alone-Campusnetzwerk, das durch seine hohe Bandbreite und niedrige Latenzzeiten die notwendige Kommunikationsinfrastruktur für zeitkritische sicherheitsrelevante Anwendungen bereitstellt.
Wettbewerbsfähigkeit im Fokus
Die Fertigungsindustrie stellt einen zentralen Pfeiler der österreichischen Volkswirtschaft dar. Vor diesem Hintergrund sind die kontinuierliche Steigerung der Produktivität sowie die Entwicklung kompetitiver Produkte von essenzieller Bedeutung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich. Insbesondere die verstärkte digitale Vernetzung zwischen etablierten und neuen Akteuren:Akteurinnen – darunter Großunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Start-ups – und den Pilotfabriken soll ein innovationsförderndes Ökosystem schaffen. Von diesem erhofft man sich langfristige Impulse für den Industriestandort Österreich, insbesondere durch signifikante Effizienz- und Leistungssteigerungen in der Produktion.
Pilotfabriken bieten eine geeignete Testumgebung, um digital gestützte Innovationen systematisch zu erproben und voranzutreiben. Entscheidend ist hierbei das Zusammenspiel von Technologie – etwa in Form robotischer Systeme – mit Arbeitssicherheit und dem Schutz der Beschäftigten. Insbesondere bei zunehmendem Automatisierungsgrad und im Sinne von „Industrie 4.0“ mit zunehmender Autonomie müssen geeignete sicherheitstechnische Algorithmen implementiert werden, um Kollisionen und Verletzungen durch kollaborierende oder autonome Systeme zu verhindern. Darüber hinaus kann der Einsatz von Automatisierungstechnologien dazu beitragen, die Anzahl monotoner und zugleich gefährlicher manueller Tätigkeiten signifikant zu reduzieren, was sich auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden auswirkt. Durch kontinuierliche Datenanalysen lassen sich potenzielle Produktionsfehler frühzeitig identifizieren, die andernfalls ein erhebliches Verletzungsrisiko für das Personal darstellen könnten.
Sichere Weiterbildung ist der Schlüssel
Weiterbildung stellt in den Pilotfabriken einen zentralen Aspekt dar, um sicherheitskritische Fehlhandlungen zu vermeiden und das Bewusstsein für potenzielle Gefahren zu schärfen. Die Pilotfabrik „Industrie 4.0“ der TU Wien setzt hierfür auf KI-unterstützte Lernmodule, die neuen Mitarbeitenden systematisch vermitteln, wie Produktionsprozesse sicher begleitet oder ausgeführt werden können. Diese Module erleichtern zudem die Umschulung von Personen aus fachfremden Bereichen, indem sie durch interaktive Trainingsformate einen niederschwelligen Zugang zur Qualifizierung ermöglichen. Ergänzend stehen vorab aufgezeichnete Schulungsvideos zur Verfügung, die strukturierte Handlungsanleitungen sowie Hinweise zu sicherheitsrelevantem Fehlverhalten enthalten. In diesen wird unter anderem demonstriert, wie Roboterinteraktionen sicher initiiert und gestoppt werden können – jeweils abhängig von konkreten Handlungen der Mitarbeitenden.
Risikomanagement anhand des Beispiels smartfactory@tugraz
An der TU Graz finden für Studierende und extern Interessierte Laborübungen statt, die den Einsatz von scheinbar immanent sicheren kollaborativen Robotern („Co-bots“) ins richtige Licht rücken. Es wird geschult, dass jede (!) Anwendung im Zusammenspiel mit einem Co-bot vorher eine Risiko-Analyse erfordert. Nach Kennenlernen der Arbeitsaufgabe müssen die Teilnehmenden die möglichen Sicherheitsrisiken erkennen und quantitativ nach den Kriterien Schwere der potenziellen Gefährdung (S), Häufigkeit der Anwendung (F), Eintrittswahrscheinlichkeit (W) und Vermeidbarkeit (P) bewerten. Entsprechend der Risiko-Kennzahl müssen vorbeugende Maßnahmen gefunden werden, dies so lange, bis die Risikokennzahl ein akzeptables Maß erreicht hat.
Ein weiteres Beispiel eines modernen Mitarbeiter:innenschutzes an der TU Graz ist die laufende Lokalisierung von Arbeitsgeräten und der sich in diesem Arbeitssystem bewegenden Mitarbeitenden. Beide Teilsysteme tragen funkbasierte Transponder, sodass ein Ultraweitband-Netz sie fortwährend lokalisieren kann. Im Fall, dass Mitarbeitende zu nahe an ein bewegtes – und damit potenziell gefährdendes – Arbeitsgerät kommen, können die Geräte über regelungstechnische Schaltungen und Echtzeitverarbeitung unmittelbar verlangsamt oder zum Stillstand gebracht werden. Mit solchen Sicherheitssystemen kann auf sonst übliche und notwendige Schutzzäune verzichtet werden.
Sicherheit und führende Innovation der LIT Factory
Eine weitere Pilotfabrik ist die LIT Factory des Linz Institute of Technology (LIT) an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU). Sie dient als vernetzte Lehr-, Lern- und Forschungsplattform für Smart Polymer Processing, Digitalisierung und digitale Transformation. Die Einrichtung wurde im Rahmen eines FFG-Calls mit Unterstützung des Bundesministeriums für Innovation, Mobilität und Infrastruktur (BMIMI), der JKU, des Landes Oberösterreich, der Stadt Linz sowie der Industrie als Infrastrukturplattform für Forschungskooperationen am JKU-Campus aufgebaut.
Der Campus bietet ideale Voraussetzungen als Innovationszentrum für Kunststofftechnik: Die enge Verknüpfung von Polymerchemie, Mechatronik und Informatik sowie Schwerpunkte in Machine Learning und Cyber-Physical Systems im LIT fördern interdisziplinäre Forschung. Die JKU trägt Interdisziplinarität in ihrer DNA – gesellschaftliche, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Aspekte fließen in die Forschung mit ein. Die LIT Factory versteht sich dabei als offene Plattform zur Erforschung, Entwicklung, Demonstration und Lehre der Potenziale der digitalen Transformation.
Im Kontext KI-gestützter Systeme wurde ein Projekt zur Arbeitssicherheit durchgeführt – eine Kooperation zwischen der LIT Factory und dem K1-Kompetenzzentrum Pro²Future (https://www.pro2future.at). Ziel war die Analyse von Chancen, Grenzen und Risiken industrieller Assistenzsysteme auf Basis von IoT („Internet of Things“) und eingebetteter KI-Hardware.
Als Anwendungsumgebung diente die Polymer-Recycling-Halle der LIT Factory. Dort wurden reale Gefährdungsszenarien simuliert, darunter fehlende Schutzausrüstung, Luftverschmutzung, Kollisionen und unsichere Bereiche. Auf dieser Basis wurde von Pro²Future ein IoT-Prototyp entwickelt, bestehend aus mehreren heterogenen Modulen zur Erkennung und Vermeidung der identifizierten Gefahren. Die Validierung erfolgte im Rahmen einer Nutzer:innenstudie mit Between-Subjects-Design.
Die Ergebnisse zeigen ein hohes Interesse der Teilnehmenden an einem unterstützenden Sicherheitssystem sowie einen positiven Einfluss des Prototyps auf die Arbeitssicherheit. Gleichzeitig wurden jedoch auch Herausforderungen, Einschränkungen und potenzielle Risiken bei der Einführung KI-gestützter Sicherheitssysteme in realen Produktionsumgebungen deutlich.
Zusammenfassung:
AMIDS, eine Initiative unter Führung der Pilotfabrik „Industrie 4.0“ der TU Wien (TUW), mit Beteiligung der LIT Factory der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) sowie der smartfactory@tugraz der Technischen Universität Graz (TUG), beschäftigt sich unter anderem mit der Schaffung von Arbeitssicherheit in Zeiten zunehmender Digitalisierung. In Pilotfabriken wird gezeigt, wie Arbeitssicherheit in Kombination mit neuen Technologien möglich ist.