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Beanspruchungen erfassen mit der mobilen Spiroergometrie
Die Spiroergometrie ist die umfassendste Untersuchung zur Abklärung der globalen kardiopulmonalen und muskulären Leistungsfähigkeit. Sie ermöglicht eine realistische Einschätzung der Belastbarkeit und eröffnet neue Wege für Gesundheitsförderung und Arbeitssicherheit.
Der Grad der körperlichen Beanspruchung am Arbeitsplatz ist ein zentraler Faktor für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden von Beschäftigten. In vielen Berufsfeldern, insbesondere solchen mit hoher körperlicher Belastung, ist eine präzise Erfassung der individuellen Beanspruchung unerlässlich, um kurz- und langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit zu vermeiden. Die Spiroergometrie, die seit kurzer Zeit von Sportwissenschaftlern:-wissenschaftlerinnen des Fachbereichs Ergonomie der AUVA-Hauptstelle eingesetzt wird, hat sich als wertvolles diagnostisches Instrument etabliert. Mit der Entwicklung mobiler Spiroergometrie-Systeme ist es möglich, Analysen direkt am Arbeitsplatz durchzuführen – eine Innovation mit weitreichenden Anwendungsmöglichkeiten.
Bei der Spiroergometrie („Cardiopulmonary Exercise Testing“), die bisher eher aus der Sportmedizin bekannt ist, werden Atemvolumen, Sauerstoffaufnahme (VO2), Kohlendioxidabgabe (VCO2), Atemfrequenz sowie Herzfrequenz und weitere Vitalparameter unter kontrollierter Belastung erfasst. Klassischerweise erfolgt die Untersuchung auf einem stationären Fahrrad-Ergometer oder Laufband im Labor, wobei jeweils die Belastung schrittweise erhöht wird. Die Untersuchung der kardiovaskulären und ventilatorischen Funktion und des Gasaustausches während eines Symptom-limitierten, maximal-gesteigerten Belastungsprotokolls gilt als Goldstandard für die Messung der körperlichen Leistungsfähigkeit sowie der limitierenden Faktoren im Falle einer verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit.
Die Analyse dieser Daten erlaubt Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems, die ventilatorische Effizienz und die metabolische Beanspruchung. Besonders relevant sind Parameter wie die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max), der ventilatorische Schwellenpunkt und der respiratorische Quotient (RQ; das Verhältnis von VCO₂ zu VO₂). Diese geben Aufschluss über die aerobe und anaerobe Leistungsfähigkeit und helfen, die Belastbarkeit sowie den körperlichen Zustand der untersuchten Person zu beurteilen. Mit der mobilen Spiroergometrie lässt sich der Energieumsatz sehr genau berechnen, da der menschliche Körper Energie vor allem durch die Oxidation von Kohlenhydraten und Fetten gewinnt.
Faustregel: 1 Liter verbrauchter Sauerstoff entspricht etwa 5 kcal Energieverbrauch. Der respiratorische Quotient (RQ) gibt Aufschluss darüber, ob der Körper hauptsächlich Fette (RQ ≈ 0,7), Kohlenhydrate (RQ ≈ 1,0) oder eine Mischung aus beiden zur Energiegewinnung nutzt. Gerade bei körperlicher Arbeit kann damit eingeschätzt werden, wie lange eine bestimmte Belastung durchzuhalten ist und wann die Ermüdung einsetzt.
Technologie in der Anwendung
Mobile Spiroergometrie-Systeme sind kompakte, tragbare Geräte. Sie bestehen in der Regel aus einer Atemmaske mit Sensoren zur Gasanalyse, einem tragbaren Messgerät, das als Datenlogger dient, sowie einem Herzfrequenzmesser und GPS-Modulen zur Bewegungserfassung. Diese Messtechnik ermöglicht die kontinuierliche Erfassung von VO2, VCO2, Atemfrequenz und Herzfrequenz während der tatsächlichen Arbeitsausführung. Die Geräte arbeiten nach dem sogenannten Breath-by-Breath-Prinzip: Jeder einzelne Atemzug wird analysiert, sodass Veränderungen des Energieverbrauchs sekundengenau verfolgt werden können. Diese Genauigkeit ist ein großer Vorteil, gerade bei Tätigkeiten mit sehr variabler Belastung. Die Daten werden nach der Messung in die Software geladen und ausgewertet, können aber bereits vor Ort am Notebook mitverfolgt werden.
Vorteile der mobilen Spiroergometrie
- Sie ermöglicht realitätsnahe Datenerhebungen unter den tatsächlichen Arbeitsbedingungen im Gegensatz zu Untersuchungen unter Laborbedingungen.
- Die mobile Analyse und individualisierte Bewertung mehrerer Arbeitnehmer:innen an verschiedenen Arbeitsplätzen oder -prozessen sind möglich.
- Frühzeitige Intervention: Auffällige Belastungen können live erkannt und durch ergonomische Maßnahmen reduziert werden.
- Langzeitbeobachtung: Mit mehrtägigen Messungen können Belastungsschwankungen und Erholungsphasen dokumentiert werden.
Physische Beanspruchung erfassen
Die Einschätzung der Schwere einer Arbeit sollte anhand objektivierbarer Parameter der physischen Beanspruchung erfolgen. Zur Gefährdungsbeurteilung von Tätigkeiten mit erhöhten körperlichen Belastungen in Bezug auf das Muskel-Skelett-System hat sich jahrelang die Leitmerkmalmethode (LMM) bewährt. Diese bewertet jedoch nicht den Grad der Beanspruchung der Mitarbeiter:innen. Die sich durch eine Belastung ergebende Beanspruchung von Mitarbeitern:Mitarbeiterinnen ist individuell, sei es muskulär oder auch kardiovaskulär. So führt ein und dieselbe Belastung bei unterschiedlichen Individuen zu unterschiedlichem Energieverbrauch.
Diese Screeningmethode steht für sechs Belastungsarten zu Verfügung:
- Heben, Halten und Tragen von Lasten
- Ziehen und Schieben von Lasten
- Manuelle Arbeitsprozesse
- Ganzkörperkräfte
- Körperfortbewegung
- Körperzwangshaltung
Methoden zur ergonomischen Risikoeinschätzung wie etwa die angesprochenen Leitmerkmalmethoden oder auch EAWS (Ergonomic Assessment Worksheet) wurden vor der Jahrtausendwende entwickelt und basieren hauptsächlich auf den damals verfügbaren 2D-statischen Messungen. Unter anderem wurden dafür Wirbelsäulen aus toten Körpern herauspräpariert, in Testmaschinen gestellt und so lange belastet, bis sie brachen. Aus diesen Versuchen wurden Rückschlüsse gezogen in Bezug auf Belastungen und die Belastbarkeit von Wirbelsäulen. Was damals nicht falsch war, kann und sollte man heute mit neuen Möglichkeiten von zum Beispiel IT-Techniken überdenken und überarbeiten. Mit Methoden der biomechanischen Simulation, der Computer-Myographie (CMG) oder mit Muskel-Skelett-Modellen wie Any Body, Open Sims oder Bob ist dies möglich. Die CMG-Methode erlaubt es auch, über die Kinematik den metabolischen Verbrauch („metabolic cost“) für Muskelgruppen zu berechnen. Der allgemeine metabolische Verbrauch, die Effizienz des menschlichen Körpers, kann dann aus mechanischer Gelenkleistung geteilt durch den metabolischen muskulären Verbrauch bestimmt werden.
Was ist „schwere Arbeit“?
Bei der Bewertung von schwerer Arbeit spielt die körperliche Leistungsfähigkeit eine relevante Rolle. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf Parametern, die den Mehraufwand, der durch die Tätigkeit entsteht, widerspiegeln. Aufgrund der einfachen Erfassung waren Vitalparameter wie Herz- oder Atemfrequenz unter Arbeitsbelastung jahrzehntelang Standardparameter für den Grad der Beanspruchung. Aus trainingswissenschaftlicher Sicht sind die Herzfrequenz, die Sauerstoffaufnahme sowie der Energieumsatz am aussagekräftigsten – diese werden bei der Spiroergometrie gemessen. Einer der wichtigsten Parameter zur Definition von schwerer Arbeit ist die Sauerstoffaufnahme (VO2) während einer Tätigkeit. Demnach spricht man bei einer VO2 während der Arbeit zwischen 33 % und 50 % der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) von körperlich schwerer Arbeit. 50 % der VO2max stellen ein oberes Limit dar, welches nicht überschritten werden sollte, um anaerobe Stoffwechselprozesse zu vermeiden.
Als weiteres Kriterium zur Festlegung einer Schwerarbeitsgrenze kann auch die energetische Komponente in Form des Arbeitsenergieumsatzes (AEE) herangezogen werden. Der Energieverbrauch (Joule bzw. Kalorien) oder das metabolische Äquivalent (MET) können anhand der gemessenen Sauerstoffaufnahme berechnet werden. So wird letztlich über die gemessene Sauerstoffaufnahme der Arbeitsenergieumsatz ermittelt, der mit etablierten Kenngrößen zur Bewertung der Arbeitsschwere verglichen werden kann.
Laut österreichischem Recht setzt schwere körperliche Arbeit „eine in Bezug auf die Intensität oder Dauer der Belastung über das normale Kräftepotenzial hinausgehende Verausgabung von Arbeitskraft voraus, bei der die gesamte Körpermuskulatur beansprucht wird“. In Österreich wurden deshalb fixe Grenzen für den Arbeitsenergieumsatz eingeführt. Diese liegen bei Männern bei 8374 Kilojoule (2000 Kilokalorien) pro Tag und bei Frauen bei 5862 Kilojoule (1400 Kilokalorien) pro Tag. Diese Werte stellen gerundete Durchschnittswerte dar. Sie stammen jedoch aus Berechnungen und wurden nicht anhand von Messungen bestimmt. Die Berechnung des Energieumsatzes erfolgte auf Basis von alten Standards der Arbeitsmedizin, indem man den Energieaufwand für jede einzelne Tätigkeit anhand von Tabellen aufsummierte. Unterschiede in der Physis und der körperlichen Belastbarkeit zwischen Männern und Frauen sind allgemein belegt, aber auch zwischen zwei gesunden Männern im gleichen Lebensalter können erhebliche Unterschiede in der körperlichen Belastbarkeit bestehen.
Historisch gesehen ist die körperliche Schwerarbeit verbunden mit der Vorstellung von intensiver körperlicher Aktivität, hohem Energieumsatz und hoher Sauerstoffaufnahme. Nach wie vor ist körperlich schwere Arbeit auch in der modernen Arbeitswelt existent und wird auch weiterhin existent bleiben, jedoch sind Verschiebungen von Belastungsschwerpunkten möglich. Es mag nicht immer der gesamte Körper mit großen Muskelmassen sein, der bei der Arbeit zum Einsatz kommt, vielfach stehen Teilbereiche wie das Hand-Arm-System oder der Stütz- und Halteapparat im Vordergrund. Die Verlagerung der Belastungsschwerpunkte macht es erforderlich, klassische Begriffe der Arbeitsphysiologie unter diesen Gesichtspunkten neu zu bewerten. Die vorhandenen Daten zur Beurteilung der Arbeitsschwere beruhen auf etwa vierzig Jahre alten Untersuchungen. Deshalb und auf der Grundlage der oben beschriebenen Änderungen in der Arbeitswelt stellt sich die Frage, inwieweit die Richtwerte für den Arbeitsenergieumsatz bei typischen Tätigkeiten in der heutigen Arbeitswelt überhaupt noch aktuell und für die heutigen Arbeitsplatzbeschreibungen repräsentativ sind. ●
Zusammenfassung:
Die mobile Spiroergometrie ist ein Werkzeug zur präzisen Erfassung der körperlichen Beanspruchung am Arbeitsplatz. Sie eröffnet neue Möglichkeiten für Gesundheitsförderung, Arbeitssicherheit und Ergonomie. Die Fachgruppe Ergonomie der AUVA-Hauptstelle hat die mobile Spiroergometrie im Einsatz und unterstützt bei Fragen zur physischen Beanspruchung am Arbeitsplatz. ●